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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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an war krank. Unsre Leser werden sich des mit vieler Sachkennt¬
nis geschriebnen Aufsatzes von K. Lange im Jahrgang 1895 (Heft
30 und 31) erinnern, worin der großen Enttäuschung Ausdruck ge¬
geben war, die die ersten beiden Hefte der anspruchsvollen, kostbaren
Zeitschrift bei zahlreichen Freunden der Kunst und der Litteratur
hervorgerufen hatten. Es war da ausgesprochen, daß, wenn es so
weiter ginge, man einem offenbaren Bankerott entgegenzusehen habe. Dieselbe Ein¬
sicht hat inzwischen den Aufsichtsrat und den Vorstand veranlaßt, das Unternehmen
zu ,,saniren," wie es in der Börsensprache heißt, zwar nicht finanziell (was bei den
anfangs gezeichneten 100 000 Mark noch nicht nötig war), aber geschäftlich, in der
Organisation. Das Personal hat gewechselt, es ist eine neue Redaktionskommission
gebildet worden, und mit einem neuen ausdrücklichen und schärfern Programm
nach den beiden Seiten der Litteratur und der Kunst hin ist der also geheilte Pan
mit den drei letzten Heften seines ersten Jahrgangs wieder in die Welt hinaus¬
gelassen worden. Der allgemeine Eindruck, gegenüber den ersten beiden Heften,
dürfte sein: Pan macht keine so tollen Sprünge mehr, er ist anständiger ge¬
worden und vollführt nicht mehr solche Ungebührlichkeiten, die unserm Mitarbeiter
damals Anstoß gaben, aber dafür ist er auch weniger ,,gspaßig." Er ist sogar
ein wenig lehrhaft geworden und hat jetzt den besten Willen, uns zu unterhalten,
aber er, ist nun eigentlich kein Pan,.mehr, obwohl der Bockfüßler im Bilde, in
Zierleisten und Schlußstttcken noch eben so oft wie früher erscheint. Bütten-
Papier und Karton sind ebenfalls geblieben und machen uns anspruchsvoll. Großes
und Jmponirendes, was mit einem Schlage allem Räsonniren ein Ende machen
könnte, bringt er aber trotz alledem nicht. Und wenn wir es versuchen, uns mit
dem mancherlei Kleinen eingehender zu beschäftigen, so kommt uns bisweilen das
Gähnen an. Und dazu brauchte mau doch eigentlich keinen Pan.

Wir wollen zuerst die Litteratur auf uns wirken lassen, dann die Kunst.
Cäsar Flcnschlen, der Literarhistoriker der Modernen, giebt uns im 4. Hefte die
Voraussetzungen: ,,Zur modernen Dichtung/' auf Grund deren wir die ,,Realisten,"
die "Generation von 1860" verstehen können, die feit dem Ende der achtziger Jahre
die neue Bewegung in der Litteratur geschaffen hat. Das heißt, geschaffen haben
sie eigentlich noch nichts, es wäre auch ganz unrecht, das so schnell zu verlangen.
Goethe und Schiller haben viel länger dazu gebraucht und hatten außerdem noch
"ein Vierteljahrhundert vorher Lessing als Vorbereiter und Bahnbrecher" nötig.
Zudem sind jetzt die "Aufgaben und Ziele so groß und weittragend, wie sie sich
die Kunst einer frühern Periode wohl kaum zu stellen wagte. Man darf nur
nicht gleich mit allzu hohen und allzu eiligen Erwartungen kommen wollen und
gleich klassische Werke fordern. Das ist immer mißlich und enttäuschend." Wir




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an war krank. Unsre Leser werden sich des mit vieler Sachkennt¬
nis geschriebnen Aufsatzes von K. Lange im Jahrgang 1895 (Heft
30 und 31) erinnern, worin der großen Enttäuschung Ausdruck ge¬
geben war, die die ersten beiden Hefte der anspruchsvollen, kostbaren
Zeitschrift bei zahlreichen Freunden der Kunst und der Litteratur
hervorgerufen hatten. Es war da ausgesprochen, daß, wenn es so
weiter ginge, man einem offenbaren Bankerott entgegenzusehen habe. Dieselbe Ein¬
sicht hat inzwischen den Aufsichtsrat und den Vorstand veranlaßt, das Unternehmen
zu ,,saniren," wie es in der Börsensprache heißt, zwar nicht finanziell (was bei den
anfangs gezeichneten 100 000 Mark noch nicht nötig war), aber geschäftlich, in der
Organisation. Das Personal hat gewechselt, es ist eine neue Redaktionskommission
gebildet worden, und mit einem neuen ausdrücklichen und schärfern Programm
nach den beiden Seiten der Litteratur und der Kunst hin ist der also geheilte Pan
mit den drei letzten Heften seines ersten Jahrgangs wieder in die Welt hinaus¬
gelassen worden. Der allgemeine Eindruck, gegenüber den ersten beiden Heften,
dürfte sein: Pan macht keine so tollen Sprünge mehr, er ist anständiger ge¬
worden und vollführt nicht mehr solche Ungebührlichkeiten, die unserm Mitarbeiter
damals Anstoß gaben, aber dafür ist er auch weniger ,,gspaßig." Er ist sogar
ein wenig lehrhaft geworden und hat jetzt den besten Willen, uns zu unterhalten,
aber er, ist nun eigentlich kein Pan,.mehr, obwohl der Bockfüßler im Bilde, in
Zierleisten und Schlußstttcken noch eben so oft wie früher erscheint. Bütten-
Papier und Karton sind ebenfalls geblieben und machen uns anspruchsvoll. Großes
und Jmponirendes, was mit einem Schlage allem Räsonniren ein Ende machen
könnte, bringt er aber trotz alledem nicht. Und wenn wir es versuchen, uns mit
dem mancherlei Kleinen eingehender zu beschäftigen, so kommt uns bisweilen das
Gähnen an. Und dazu brauchte mau doch eigentlich keinen Pan.

Wir wollen zuerst die Litteratur auf uns wirken lassen, dann die Kunst.
Cäsar Flcnschlen, der Literarhistoriker der Modernen, giebt uns im 4. Hefte die
Voraussetzungen: ,,Zur modernen Dichtung/' auf Grund deren wir die ,,Realisten,"
die „Generation von 1860" verstehen können, die feit dem Ende der achtziger Jahre
die neue Bewegung in der Litteratur geschaffen hat. Das heißt, geschaffen haben
sie eigentlich noch nichts, es wäre auch ganz unrecht, das so schnell zu verlangen.
Goethe und Schiller haben viel länger dazu gebraucht und hatten außerdem noch
„ein Vierteljahrhundert vorher Lessing als Vorbereiter und Bahnbrecher" nötig.
Zudem sind jetzt die „Aufgaben und Ziele so groß und weittragend, wie sie sich
die Kunst einer frühern Periode wohl kaum zu stellen wagte. Man darf nur
nicht gleich mit allzu hohen und allzu eiligen Erwartungen kommen wollen und
gleich klassische Werke fordern. Das ist immer mißlich und enttäuschend." Wir


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[0331] [Abbildung] Der geheilte par an war krank. Unsre Leser werden sich des mit vieler Sachkennt¬ nis geschriebnen Aufsatzes von K. Lange im Jahrgang 1895 (Heft 30 und 31) erinnern, worin der großen Enttäuschung Ausdruck ge¬ geben war, die die ersten beiden Hefte der anspruchsvollen, kostbaren Zeitschrift bei zahlreichen Freunden der Kunst und der Litteratur hervorgerufen hatten. Es war da ausgesprochen, daß, wenn es so weiter ginge, man einem offenbaren Bankerott entgegenzusehen habe. Dieselbe Ein¬ sicht hat inzwischen den Aufsichtsrat und den Vorstand veranlaßt, das Unternehmen zu ,,saniren," wie es in der Börsensprache heißt, zwar nicht finanziell (was bei den anfangs gezeichneten 100 000 Mark noch nicht nötig war), aber geschäftlich, in der Organisation. Das Personal hat gewechselt, es ist eine neue Redaktionskommission gebildet worden, und mit einem neuen ausdrücklichen und schärfern Programm nach den beiden Seiten der Litteratur und der Kunst hin ist der also geheilte Pan mit den drei letzten Heften seines ersten Jahrgangs wieder in die Welt hinaus¬ gelassen worden. Der allgemeine Eindruck, gegenüber den ersten beiden Heften, dürfte sein: Pan macht keine so tollen Sprünge mehr, er ist anständiger ge¬ worden und vollführt nicht mehr solche Ungebührlichkeiten, die unserm Mitarbeiter damals Anstoß gaben, aber dafür ist er auch weniger ,,gspaßig." Er ist sogar ein wenig lehrhaft geworden und hat jetzt den besten Willen, uns zu unterhalten, aber er, ist nun eigentlich kein Pan,.mehr, obwohl der Bockfüßler im Bilde, in Zierleisten und Schlußstttcken noch eben so oft wie früher erscheint. Bütten- Papier und Karton sind ebenfalls geblieben und machen uns anspruchsvoll. Großes und Jmponirendes, was mit einem Schlage allem Räsonniren ein Ende machen könnte, bringt er aber trotz alledem nicht. Und wenn wir es versuchen, uns mit dem mancherlei Kleinen eingehender zu beschäftigen, so kommt uns bisweilen das Gähnen an. Und dazu brauchte mau doch eigentlich keinen Pan. Wir wollen zuerst die Litteratur auf uns wirken lassen, dann die Kunst. Cäsar Flcnschlen, der Literarhistoriker der Modernen, giebt uns im 4. Hefte die Voraussetzungen: ,,Zur modernen Dichtung/' auf Grund deren wir die ,,Realisten," die „Generation von 1860" verstehen können, die feit dem Ende der achtziger Jahre die neue Bewegung in der Litteratur geschaffen hat. Das heißt, geschaffen haben sie eigentlich noch nichts, es wäre auch ganz unrecht, das so schnell zu verlangen. Goethe und Schiller haben viel länger dazu gebraucht und hatten außerdem noch „ein Vierteljahrhundert vorher Lessing als Vorbereiter und Bahnbrecher" nötig. Zudem sind jetzt die „Aufgaben und Ziele so groß und weittragend, wie sie sich die Kunst einer frühern Periode wohl kaum zu stellen wagte. Man darf nur nicht gleich mit allzu hohen und allzu eiligen Erwartungen kommen wollen und gleich klassische Werke fordern. Das ist immer mißlich und enttäuschend." Wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/331>, abgerufen am 26.11.2024.