Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges
So kam es, daß die ersten Marschbefehle erst am 16. Juli -- also volle vier Wochen nach dem Beginn der preußischen Rüstungen -- ausgefertigt werden konnten, und zwar auch nur an die böhmischen und mährischen Truppen und an fünf mobile ungarische Kavallerieregimenter. Alle andern Truppen- körper, wie die ober-, die nieder- und die innerösterreichischen, sowie die kroatischen, steiermärkischen und die Grenzregimenter, brachen erst weit später auf und langten zum Teil erst nach dem 15. September im Lager bei Kolin an. Und das alles war nur notdürftig ausgerüstete Infanterie und Kavallerie; für die Artillierie und den Train fehlte es damals noch an Pferden. Am 29. August verfügten die in Böhmen und Mähren znsammengezognen Truppen noch über kein einziges Geschütz, von Pontons und Brückenmaterial ganz zu schweigen. Wenn Friedrich damals -- Ende August -- zum Angriff vorgegangen wäre, hätte er Österreich einfach überrannt. Das ergeben die Protokolle der Rüstungs¬ kommission und die Berichte der österreichischen Generale "mit einer geradezu niederschmetternder Gewißheit."
Statt dessen verlangte der preußische Gesandte in Wien zu drei verschiednen malen Aufklärung über den Zweck der österreichischen Rüstungen. Die An¬ fragen, einer Kriegserklärung gleich, beschleunigten die österreichische Mobil¬ machung. Es wurden neue Regimenter, namentlich aus Ungarn, Italien und den Niederlanden, in Bewegung gesetzt. Aber erst Ende September war die Feldarmee wirklich schlagfertig und die Festung Olmütz einigermaßen armirt.
Unterdes waren die Verhandlungen mit dem französischen Hofe weiter¬ geführt, aber die Teilnahme an einem Angriff auf Preußen -- das sehnsüchtige Ziel aller österreichischen Bestrebungen -- von Frankreich beharrlich abgelehnt worden. Nur für den Fall, daß Österreich angegriffen werden sollte, erklärte sich Frankreich bereit, nicht nur die vertragsmäßige Hilfe zu leisten, sondern es mit allen Kräften zu unterstützen. Noch am 20. August wußten die all¬ mächtige Marquise von Pompadour und der Ubbo Bernis, der vertraute "Günstling der Gunstdame," die beiden wärmsten Fürsprecher Österreichs, am Versailler Hofe mitzuteilen, der König werde sich nimmermehr an einem An¬ griffskriege gegen Preußen beteiligen.
So standen die Dinge, als Friedrich zum Angriff schritt. Nun drang Frankreich selbst auf den Abschluß eines engen Bündnisses mit Österreich, Worauf am 1. Mai 1757 der zweite Vertrag von Versailles zustande kam, der die Zerstücklung Preußens und die Degradirung des Königs zum Marquis von Brandenburg zum Ziele hatte.
Der kühne Entschluß Friedrichs hatte auch die-englische Partei in Peters¬ burg lahmgelegt. Rußland trat in die Koalition ein, und "das System des österreichischen Staatskanzlers war fertig." Die Habsburgische Hauspolitik feierte einen unvergleichlichen Triumph.
Die preußische Überlieferung über den Ursprung des siebenjährigen Kriegs
Grenzboten III 1396 4
Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges
So kam es, daß die ersten Marschbefehle erst am 16. Juli — also volle vier Wochen nach dem Beginn der preußischen Rüstungen — ausgefertigt werden konnten, und zwar auch nur an die böhmischen und mährischen Truppen und an fünf mobile ungarische Kavallerieregimenter. Alle andern Truppen- körper, wie die ober-, die nieder- und die innerösterreichischen, sowie die kroatischen, steiermärkischen und die Grenzregimenter, brachen erst weit später auf und langten zum Teil erst nach dem 15. September im Lager bei Kolin an. Und das alles war nur notdürftig ausgerüstete Infanterie und Kavallerie; für die Artillierie und den Train fehlte es damals noch an Pferden. Am 29. August verfügten die in Böhmen und Mähren znsammengezognen Truppen noch über kein einziges Geschütz, von Pontons und Brückenmaterial ganz zu schweigen. Wenn Friedrich damals — Ende August — zum Angriff vorgegangen wäre, hätte er Österreich einfach überrannt. Das ergeben die Protokolle der Rüstungs¬ kommission und die Berichte der österreichischen Generale „mit einer geradezu niederschmetternder Gewißheit."
Statt dessen verlangte der preußische Gesandte in Wien zu drei verschiednen malen Aufklärung über den Zweck der österreichischen Rüstungen. Die An¬ fragen, einer Kriegserklärung gleich, beschleunigten die österreichische Mobil¬ machung. Es wurden neue Regimenter, namentlich aus Ungarn, Italien und den Niederlanden, in Bewegung gesetzt. Aber erst Ende September war die Feldarmee wirklich schlagfertig und die Festung Olmütz einigermaßen armirt.
Unterdes waren die Verhandlungen mit dem französischen Hofe weiter¬ geführt, aber die Teilnahme an einem Angriff auf Preußen — das sehnsüchtige Ziel aller österreichischen Bestrebungen — von Frankreich beharrlich abgelehnt worden. Nur für den Fall, daß Österreich angegriffen werden sollte, erklärte sich Frankreich bereit, nicht nur die vertragsmäßige Hilfe zu leisten, sondern es mit allen Kräften zu unterstützen. Noch am 20. August wußten die all¬ mächtige Marquise von Pompadour und der Ubbo Bernis, der vertraute »Günstling der Gunstdame," die beiden wärmsten Fürsprecher Österreichs, am Versailler Hofe mitzuteilen, der König werde sich nimmermehr an einem An¬ griffskriege gegen Preußen beteiligen.
So standen die Dinge, als Friedrich zum Angriff schritt. Nun drang Frankreich selbst auf den Abschluß eines engen Bündnisses mit Österreich, Worauf am 1. Mai 1757 der zweite Vertrag von Versailles zustande kam, der die Zerstücklung Preußens und die Degradirung des Königs zum Marquis von Brandenburg zum Ziele hatte.
Der kühne Entschluß Friedrichs hatte auch die-englische Partei in Peters¬ burg lahmgelegt. Rußland trat in die Koalition ein, und „das System des österreichischen Staatskanzlers war fertig." Die Habsburgische Hauspolitik feierte einen unvergleichlichen Triumph.
Die preußische Überlieferung über den Ursprung des siebenjährigen Kriegs
Grenzboten III 1396 4
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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges
So kam es, daß die ersten Marschbefehle erst am 16. Juli — also volle
vier Wochen nach dem Beginn der preußischen Rüstungen — ausgefertigt
werden konnten, und zwar auch nur an die böhmischen und mährischen Truppen
und an fünf mobile ungarische Kavallerieregimenter. Alle andern Truppen-
körper, wie die ober-, die nieder- und die innerösterreichischen, sowie die
kroatischen, steiermärkischen und die Grenzregimenter, brachen erst weit später
auf und langten zum Teil erst nach dem 15. September im Lager bei Kolin an.
Und das alles war nur notdürftig ausgerüstete Infanterie und Kavallerie; für
die Artillierie und den Train fehlte es damals noch an Pferden. Am 29. August
verfügten die in Böhmen und Mähren znsammengezognen Truppen noch über
kein einziges Geschütz, von Pontons und Brückenmaterial ganz zu schweigen.
Wenn Friedrich damals — Ende August — zum Angriff vorgegangen wäre,
hätte er Österreich einfach überrannt. Das ergeben die Protokolle der Rüstungs¬
kommission und die Berichte der österreichischen Generale „mit einer geradezu
niederschmetternder Gewißheit."
Statt dessen verlangte der preußische Gesandte in Wien zu drei verschiednen
malen Aufklärung über den Zweck der österreichischen Rüstungen. Die An¬
fragen, einer Kriegserklärung gleich, beschleunigten die österreichische Mobil¬
machung. Es wurden neue Regimenter, namentlich aus Ungarn, Italien und
den Niederlanden, in Bewegung gesetzt. Aber erst Ende September war die
Feldarmee wirklich schlagfertig und die Festung Olmütz einigermaßen armirt.
Unterdes waren die Verhandlungen mit dem französischen Hofe weiter¬
geführt, aber die Teilnahme an einem Angriff auf Preußen — das sehnsüchtige
Ziel aller österreichischen Bestrebungen — von Frankreich beharrlich abgelehnt
worden. Nur für den Fall, daß Österreich angegriffen werden sollte, erklärte
sich Frankreich bereit, nicht nur die vertragsmäßige Hilfe zu leisten, sondern
es mit allen Kräften zu unterstützen. Noch am 20. August wußten die all¬
mächtige Marquise von Pompadour und der Ubbo Bernis, der vertraute
»Günstling der Gunstdame," die beiden wärmsten Fürsprecher Österreichs, am
Versailler Hofe mitzuteilen, der König werde sich nimmermehr an einem An¬
griffskriege gegen Preußen beteiligen.
So standen die Dinge, als Friedrich zum Angriff schritt. Nun drang
Frankreich selbst auf den Abschluß eines engen Bündnisses mit Österreich,
Worauf am 1. Mai 1757 der zweite Vertrag von Versailles zustande kam, der
die Zerstücklung Preußens und die Degradirung des Königs zum Marquis
von Brandenburg zum Ziele hatte.
Der kühne Entschluß Friedrichs hatte auch die-englische Partei in Peters¬
burg lahmgelegt. Rußland trat in die Koalition ein, und „das System des
österreichischen Staatskanzlers war fertig." Die Habsburgische Hauspolitik
feierte einen unvergleichlichen Triumph.
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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/33>, abgerufen am 24.02.2025.
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