Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Die Alten und die Jungen ristischerwcise sind sie mit einer Ausnahme keine Reichsdeutschen, und der Da ist zuerst Konrad Ferdinand Meyer zu nennen, der Schweizer Dichter, Der zweite dieser Dichter, Martin Greif, trat noch kurz vor 1870 hervor Die Dichter, die in den siebziger Jahren das eigentlich Neue brachten, Ludwig Anzengruber, dessen "Pfarrer von Kirchfeld" 1870 auf die Bühne Die Alten und die Jungen ristischerwcise sind sie mit einer Ausnahme keine Reichsdeutschen, und der Da ist zuerst Konrad Ferdinand Meyer zu nennen, der Schweizer Dichter, Der zweite dieser Dichter, Martin Greif, trat noch kurz vor 1870 hervor Die Dichter, die in den siebziger Jahren das eigentlich Neue brachten, Ludwig Anzengruber, dessen „Pfarrer von Kirchfeld" 1870 auf die Bühne <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0328" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223270"/> <fw type="header" place="top"> Die Alten und die Jungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_948" prev="#ID_947"> ristischerwcise sind sie mit einer Ausnahme keine Reichsdeutschen, und der<lb/> eine Reichsdeutsche ist kein Norddeutscher.</p><lb/> <p xml:id="ID_949"> Da ist zuerst Konrad Ferdinand Meyer zu nennen, der Schweizer Dichter,<lb/> der nach eignem Geständnis dnrch die Ereignisse des Jahres 1870 zu deutscher<lb/> Litteratur getrieben wurde. Man stellt ihn jetzt gelegentlich über Keller und<lb/> macht ihn dadurch zum größten Dichter unsrer Zeit; so hoch ich aber auch<lb/> Meyers Gedichte, Novellen und Romane halte, diese Schätzung kann ich nicht<lb/> gelten lassen. Allein der „Grüne Heinrich" wiegt die Gesamtthätigkeit Meyers<lb/> auf, der denn doch ganz entschiedner Spezialist und Manierist ist. Seine<lb/> Künstlerschaft in Ehren, aber seine Werke können ihrem ganzen Wesen nach<lb/> nicht die allgemeine Bedeutung beanspruchen wie die Kellers, Welt, Leben und<lb/> Zeit sind weder so mannichfach noch so groß in ihnen wiedergespiegelt wie in<lb/> denen des ältern Landsmanns, es sind Kunstwerke im engern Sinne, die nur<lb/> der künstlerisch Gebildete vollständig zu genießen vermag. Aber ihre Stellung<lb/> in der deutschen Litteratur werden sie behaupte:?; sie mit dem archäologischen<lb/> Roman der Zeit ihres Ursprungs zusammenzuwerfen wäre einfach ein Ver¬<lb/> brechen.</p><lb/> <p xml:id="ID_950"> Der zweite dieser Dichter, Martin Greif, trat noch kurz vor 1870 hervor<lb/> und hat dann sehr langsam seinen Weg gemacht. Jetzt räumt man ihm viel¬<lb/> fach die erste Stelle unter den Lyrikern unsrer Zeit ein. Man hat ihn einen<lb/> Goethianer genannt, und als solchen könnte man ihn zu den Münchner Klassi-<lb/> zisten in Beziehung setzen, aber man thut es besser nicht. Greif ist als Lyriker<lb/> durchaus selbständig, auch kein Epigone und schließt sich unsern großen nach-<lb/> tlassischen Lyrikern Mörike, Hebbel, Storm würdig an, wenn er auch nicht ganz<lb/> ihre Höhe erreicht und ungleich ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_951"> Die Dichter, die in den siebziger Jahren das eigentlich Neue brachten,<lb/> stammten aus Österreich. Ju einem Aufsatze Hebbels findet man das<lb/> merkwürdige Wort, die nächste Negenerirung der deutschen Litteratur sei von<lb/> Österreich zu erwarten; hier finde sich am meisten ungebrvchner Boden, und<lb/> selbst die hier so häufige Rassenkreuzung werfe ein bedeutendes Gewicht mit<lb/> in die Wagschale. Dieses Wort hat sich wenigstens zum Teil als richtig er¬<lb/> wiesen, jn es gilt, wenn man für Österreich den deutschen Osten überhaupt<lb/> setzt, auch noch für die neuste Litteratur. Von Hamerling abgesehen, der<lb/> anch erst in den siebziger Jahren seine Geltung erlangte, tritt nach 1870 das<lb/> neue Österreich mit drei bedeutenden Talenten in die Schranken: mit Anzen-<lb/> gruber, Rosegger und Marie von Ebner-Eschenbach, von denen wenigstens die<lb/> letztgenannte haibslawischeu Blutes ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_952" next="#ID_953"> Ludwig Anzengruber, dessen „Pfarrer von Kirchfeld" 1870 auf die Bühne<lb/> kam, und der in den folgenden zwanzig Jahren bis zu seinein verhältnismäßig<lb/> früher Tode noch neunzehn Dramen, zwei Dorfrvnmue und mehrere Bände<lb/> kleiner Geschichten schrieb, ist ohne Zweifel die bedeutendste Erscheinung von</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0328]
Die Alten und die Jungen
ristischerwcise sind sie mit einer Ausnahme keine Reichsdeutschen, und der
eine Reichsdeutsche ist kein Norddeutscher.
Da ist zuerst Konrad Ferdinand Meyer zu nennen, der Schweizer Dichter,
der nach eignem Geständnis dnrch die Ereignisse des Jahres 1870 zu deutscher
Litteratur getrieben wurde. Man stellt ihn jetzt gelegentlich über Keller und
macht ihn dadurch zum größten Dichter unsrer Zeit; so hoch ich aber auch
Meyers Gedichte, Novellen und Romane halte, diese Schätzung kann ich nicht
gelten lassen. Allein der „Grüne Heinrich" wiegt die Gesamtthätigkeit Meyers
auf, der denn doch ganz entschiedner Spezialist und Manierist ist. Seine
Künstlerschaft in Ehren, aber seine Werke können ihrem ganzen Wesen nach
nicht die allgemeine Bedeutung beanspruchen wie die Kellers, Welt, Leben und
Zeit sind weder so mannichfach noch so groß in ihnen wiedergespiegelt wie in
denen des ältern Landsmanns, es sind Kunstwerke im engern Sinne, die nur
der künstlerisch Gebildete vollständig zu genießen vermag. Aber ihre Stellung
in der deutschen Litteratur werden sie behaupte:?; sie mit dem archäologischen
Roman der Zeit ihres Ursprungs zusammenzuwerfen wäre einfach ein Ver¬
brechen.
Der zweite dieser Dichter, Martin Greif, trat noch kurz vor 1870 hervor
und hat dann sehr langsam seinen Weg gemacht. Jetzt räumt man ihm viel¬
fach die erste Stelle unter den Lyrikern unsrer Zeit ein. Man hat ihn einen
Goethianer genannt, und als solchen könnte man ihn zu den Münchner Klassi-
zisten in Beziehung setzen, aber man thut es besser nicht. Greif ist als Lyriker
durchaus selbständig, auch kein Epigone und schließt sich unsern großen nach-
tlassischen Lyrikern Mörike, Hebbel, Storm würdig an, wenn er auch nicht ganz
ihre Höhe erreicht und ungleich ist.
Die Dichter, die in den siebziger Jahren das eigentlich Neue brachten,
stammten aus Österreich. Ju einem Aufsatze Hebbels findet man das
merkwürdige Wort, die nächste Negenerirung der deutschen Litteratur sei von
Österreich zu erwarten; hier finde sich am meisten ungebrvchner Boden, und
selbst die hier so häufige Rassenkreuzung werfe ein bedeutendes Gewicht mit
in die Wagschale. Dieses Wort hat sich wenigstens zum Teil als richtig er¬
wiesen, jn es gilt, wenn man für Österreich den deutschen Osten überhaupt
setzt, auch noch für die neuste Litteratur. Von Hamerling abgesehen, der
anch erst in den siebziger Jahren seine Geltung erlangte, tritt nach 1870 das
neue Österreich mit drei bedeutenden Talenten in die Schranken: mit Anzen-
gruber, Rosegger und Marie von Ebner-Eschenbach, von denen wenigstens die
letztgenannte haibslawischeu Blutes ist.
Ludwig Anzengruber, dessen „Pfarrer von Kirchfeld" 1870 auf die Bühne
kam, und der in den folgenden zwanzig Jahren bis zu seinein verhältnismäßig
früher Tode noch neunzehn Dramen, zwei Dorfrvnmue und mehrere Bände
kleiner Geschichten schrieb, ist ohne Zweifel die bedeutendste Erscheinung von
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