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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

hat gegen die Strömung nach abwärts gekämpft, wie vor allem sein Roman
"Hammer und Amboß" erweist, aber in allen seinen Werken ist ein Etwas,
das nichts weniger als frisch und erquickend wirkt, und das sicher nicht bloß
aus dem Stoff, sondern aus der Seele des Dichters kommt. Daß Spielhagen
künstlerisch seinen ersten Roman nicht übertroffen hat, erwähne ich nur
beiläufig.

Ausgesprochner Decadencedichter ist dann Robert Hamerling trotz all
seines pessimistischen Idealismus. Ich will hier auf den Streit über die Be¬
deutung Hamerlings, der seit einigen Jahren entbrannt ist, nicht eingehen,
ohne Zweifel hat Hamerling große Eigenschaften, etwas Schillerisch Schwung¬
volles, sodaß man, zumal da er ein Vorkämpfer des Deutschtums in Öster¬
reich war, wohl begreift, weshalb ihn seine Landsleute so hoch halten. Aber
er hat mit seinen beiden Hauptwerken, dem "Ahasver" (1866) und dem "König
von Sion" (1869) sicherlich Hauptwerke der deutschen Frühdeeadence geschaffen,
Werke, in denen die farbig-üppige, leidenschaftlich-glühende Schilderung un¬
zweifelhaft das Gestaltete überwiegt, und die man nicht mit Unrecht mit
Makarts gleichzeitigen Bildern vergleicht. Man könnte vielleicht den Versuch
machen, die Decadence des Dichters und des Malers aus den österreichischen
Verhältnissen zu erklären, aber für die Kunst giebt es die schwarzgelben Grenz¬
pfühle im allgemeinen nicht, und im übrigen blieben ja die Erfolge der beiden
Künstler nicht auf Österreich beschränkt.

So ereilte denn auch die Münchner das Schicksal. Der einzige von ihnen,
der nie der Decadence verfallen ist, ist Geibel, Paul Heyse dagegen entging
ihr nicht. Durchaus Decadencedichter sind die Jungmünchner, an der Spitze
Hans Hopfen. Schon die Lyrik, namentlich die erotische, dieses Dichters der
mächtigen Sentlinger Bauernschlacht verrät die Decadence, in noch höheren
Grade thun es seine Romane, die seit 1863 erschienen. Bezeichnenderweise
heißt der zweite, 1867 herausgekommene "Verdorben zu Paris" -- man darf
einen unmittelbaren Einfluß der französischen Litteratur des zweiten Kaiserreichs
auf Hopfen annehmen, er hielt sich auch eine Zeit lang in Paris aus. Der
Dichter schuf ungefähr bis zur Höhe der deutschen Decadence in gleichem
Geiste fort, fo ist noch sein 1879 erschienener Roman "Die Hochzeit des Herrn
von Waldenburg" höchst bedenklich; dann gesundete er allmählich. Nicht bloß
Decadencedichter, sondern auch Decadencemensch war der Schweizer Heinrich
Leuthold, das fret-uit tsrribls des Münchner Kreises. Er vertritt zunächst
-- bei allem Talent -- den Untergang des Münchner Klassizismus im leeren
Formenkultus, und zugleich ist ihm die für alle Decadencedichter bezeichnende
"Wut auf Farbe" eigen, wie er denn zu seiner Rhapsodie "Hannibal" be¬
zeichnenderweise durch Flauberts "Salambo" angeregt wurde. Adolf Wil-
brandts Dccadenceperiode fällt namentlich in die siebziger Jahre, ebenso die
Wilhelm Jensens, der von Storm ausging, doch sehr bald von dem Zuge der


Die Alten und die Jungen

hat gegen die Strömung nach abwärts gekämpft, wie vor allem sein Roman
„Hammer und Amboß" erweist, aber in allen seinen Werken ist ein Etwas,
das nichts weniger als frisch und erquickend wirkt, und das sicher nicht bloß
aus dem Stoff, sondern aus der Seele des Dichters kommt. Daß Spielhagen
künstlerisch seinen ersten Roman nicht übertroffen hat, erwähne ich nur
beiläufig.

Ausgesprochner Decadencedichter ist dann Robert Hamerling trotz all
seines pessimistischen Idealismus. Ich will hier auf den Streit über die Be¬
deutung Hamerlings, der seit einigen Jahren entbrannt ist, nicht eingehen,
ohne Zweifel hat Hamerling große Eigenschaften, etwas Schillerisch Schwung¬
volles, sodaß man, zumal da er ein Vorkämpfer des Deutschtums in Öster¬
reich war, wohl begreift, weshalb ihn seine Landsleute so hoch halten. Aber
er hat mit seinen beiden Hauptwerken, dem „Ahasver" (1866) und dem „König
von Sion" (1869) sicherlich Hauptwerke der deutschen Frühdeeadence geschaffen,
Werke, in denen die farbig-üppige, leidenschaftlich-glühende Schilderung un¬
zweifelhaft das Gestaltete überwiegt, und die man nicht mit Unrecht mit
Makarts gleichzeitigen Bildern vergleicht. Man könnte vielleicht den Versuch
machen, die Decadence des Dichters und des Malers aus den österreichischen
Verhältnissen zu erklären, aber für die Kunst giebt es die schwarzgelben Grenz¬
pfühle im allgemeinen nicht, und im übrigen blieben ja die Erfolge der beiden
Künstler nicht auf Österreich beschränkt.

So ereilte denn auch die Münchner das Schicksal. Der einzige von ihnen,
der nie der Decadence verfallen ist, ist Geibel, Paul Heyse dagegen entging
ihr nicht. Durchaus Decadencedichter sind die Jungmünchner, an der Spitze
Hans Hopfen. Schon die Lyrik, namentlich die erotische, dieses Dichters der
mächtigen Sentlinger Bauernschlacht verrät die Decadence, in noch höheren
Grade thun es seine Romane, die seit 1863 erschienen. Bezeichnenderweise
heißt der zweite, 1867 herausgekommene „Verdorben zu Paris" — man darf
einen unmittelbaren Einfluß der französischen Litteratur des zweiten Kaiserreichs
auf Hopfen annehmen, er hielt sich auch eine Zeit lang in Paris aus. Der
Dichter schuf ungefähr bis zur Höhe der deutschen Decadence in gleichem
Geiste fort, fo ist noch sein 1879 erschienener Roman „Die Hochzeit des Herrn
von Waldenburg" höchst bedenklich; dann gesundete er allmählich. Nicht bloß
Decadencedichter, sondern auch Decadencemensch war der Schweizer Heinrich
Leuthold, das fret-uit tsrribls des Münchner Kreises. Er vertritt zunächst
— bei allem Talent — den Untergang des Münchner Klassizismus im leeren
Formenkultus, und zugleich ist ihm die für alle Decadencedichter bezeichnende
„Wut auf Farbe" eigen, wie er denn zu seiner Rhapsodie „Hannibal" be¬
zeichnenderweise durch Flauberts „Salambo" angeregt wurde. Adolf Wil-
brandts Dccadenceperiode fällt namentlich in die siebziger Jahre, ebenso die
Wilhelm Jensens, der von Storm ausging, doch sehr bald von dem Zuge der


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[0324] Die Alten und die Jungen hat gegen die Strömung nach abwärts gekämpft, wie vor allem sein Roman „Hammer und Amboß" erweist, aber in allen seinen Werken ist ein Etwas, das nichts weniger als frisch und erquickend wirkt, und das sicher nicht bloß aus dem Stoff, sondern aus der Seele des Dichters kommt. Daß Spielhagen künstlerisch seinen ersten Roman nicht übertroffen hat, erwähne ich nur beiläufig. Ausgesprochner Decadencedichter ist dann Robert Hamerling trotz all seines pessimistischen Idealismus. Ich will hier auf den Streit über die Be¬ deutung Hamerlings, der seit einigen Jahren entbrannt ist, nicht eingehen, ohne Zweifel hat Hamerling große Eigenschaften, etwas Schillerisch Schwung¬ volles, sodaß man, zumal da er ein Vorkämpfer des Deutschtums in Öster¬ reich war, wohl begreift, weshalb ihn seine Landsleute so hoch halten. Aber er hat mit seinen beiden Hauptwerken, dem „Ahasver" (1866) und dem „König von Sion" (1869) sicherlich Hauptwerke der deutschen Frühdeeadence geschaffen, Werke, in denen die farbig-üppige, leidenschaftlich-glühende Schilderung un¬ zweifelhaft das Gestaltete überwiegt, und die man nicht mit Unrecht mit Makarts gleichzeitigen Bildern vergleicht. Man könnte vielleicht den Versuch machen, die Decadence des Dichters und des Malers aus den österreichischen Verhältnissen zu erklären, aber für die Kunst giebt es die schwarzgelben Grenz¬ pfühle im allgemeinen nicht, und im übrigen blieben ja die Erfolge der beiden Künstler nicht auf Österreich beschränkt. So ereilte denn auch die Münchner das Schicksal. Der einzige von ihnen, der nie der Decadence verfallen ist, ist Geibel, Paul Heyse dagegen entging ihr nicht. Durchaus Decadencedichter sind die Jungmünchner, an der Spitze Hans Hopfen. Schon die Lyrik, namentlich die erotische, dieses Dichters der mächtigen Sentlinger Bauernschlacht verrät die Decadence, in noch höheren Grade thun es seine Romane, die seit 1863 erschienen. Bezeichnenderweise heißt der zweite, 1867 herausgekommene „Verdorben zu Paris" — man darf einen unmittelbaren Einfluß der französischen Litteratur des zweiten Kaiserreichs auf Hopfen annehmen, er hielt sich auch eine Zeit lang in Paris aus. Der Dichter schuf ungefähr bis zur Höhe der deutschen Decadence in gleichem Geiste fort, fo ist noch sein 1879 erschienener Roman „Die Hochzeit des Herrn von Waldenburg" höchst bedenklich; dann gesundete er allmählich. Nicht bloß Decadencedichter, sondern auch Decadencemensch war der Schweizer Heinrich Leuthold, das fret-uit tsrribls des Münchner Kreises. Er vertritt zunächst — bei allem Talent — den Untergang des Münchner Klassizismus im leeren Formenkultus, und zugleich ist ihm die für alle Decadencedichter bezeichnende „Wut auf Farbe" eigen, wie er denn zu seiner Rhapsodie „Hannibal" be¬ zeichnenderweise durch Flauberts „Salambo" angeregt wurde. Adolf Wil- brandts Dccadenceperiode fällt namentlich in die siebziger Jahre, ebenso die Wilhelm Jensens, der von Storm ausging, doch sehr bald von dem Zuge der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/324>, abgerufen am 01.09.2024.