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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Arieges

Versailler Vertrag vom 1. Mai 1756, worin beide Mächte einander ihre euro¬
päischen Besitzungen verbürgten und sich im Falle eines Angriffs zur gegen¬
seitigen Hilfeleistung verpflichteten. Alle weitergehenden österreichischen For¬
derungen, Frankreich für die Wiedergewinnung Schlesiens und die völlige
Vernichtung Preußens zu gewinnen, sanden in Versailles kein Gehör. Man
mochte dort nicht mit Unrecht fürchten, daß nach der Niederwerfung Preußens
Österreich im Verein mit England seine Waffen gegen Frankreich kehren würde.

So war die Lage im Juni 1756. Wenn Friedrich jetzt zum Angriff
vorging, so war Österreich, das mit seinen Bundesgenossen lediglich auf die
Verteidigung augewiesen war, in der glücklichen Lage, die vertragsmäßigen
Kontingente von ihnen zu fordern. Innigere Beziehungen zwischen den
Bundesgenossen herzustellen, konnte es dem Kriege überlassen. Dennoch unter¬
schützte man in Wien keineswegs die Gefahr, die von Friedrich drohte. Man
suchte ihm deshalb ängstlich jeden Vorwand zu einem Überfälle zu nehmen:
hatte man doch sogar seit 1754 die herkömmlichen Übungslager in Böhmen
und Mähren ausfallen lassen. Nichts deutete in Österreich auf einen bevor¬
stehenden Krieg.

Da traf die Nachricht von Friedrichs Rüstungen ein.

Seit dem 17. Juni 1756 waren in Preußen verschiedne, zum Teil geheim
gehaltene Maßregeln getroffen worden, die auf einen bevorstehenden Krieg hin¬
zudeuten schienen: die Armiruug der schlesischen Festungen, die Verproviantirung
der Kriegsmagazine, der Nemontenankauf, die Einberufung der Beurlaubten
und der auf Werbung befindlichen Offiziere. Ende Juni waren 27 Jnfanterie-
regimenter, 4 Grenadierbataillone, 24 Kavallerie- und 7 Garnisonregimenter,
also mehr als die Hälfte der ganzen preußischen Armee mobil. Nachdem
schließlich noch die Artillerie und die Trainfuhrwerke bespannt waren, ließ der
König die mobilen brandenburgischen und pommerschen Regimenter mit den Gar¬
nisonen wechseln, offenbar zu dem Zweck, ähnlich wie vor Ausbruch des Krieges
1744, durch Märsche und Gegenmärsche seine wahren Absichten zu verhüllen.

Auf die aus Preuße" kommenden Nachrichten trat in Wien am 8. Juli
eine Rüstungskommission zusammen. Da ein Einfall des Gegners durch
sächsisches Gebiet augenscheinlich nicht zu besorgen war, so richtete die Kom¬
mission ihr Hauptaugenmerk auf die bedrohte schlesische Grenze. Da es an
Festungen fehlte, sollten auf dieser Seite Lager gebildet werden. Aber es
fehlte auch an Menschen und Pferden. Für die Herbeischaffung der Mann¬
schaften sollten die Werbungen mit verdoppeltem Eifer betrieben und die Stände
und der ungarische Landtag zur Rekrutenlieferung angehalten werden, Ma߬
regeln, die, wie sich denken läßt, viel Zeit beanspruchten. Zunächst blieb nichts
andres übrig, als aus den vierten Bataillonen jedes deutschen Infanterie¬
regiments, die in den Garnisonen zurückblieben, die fehlenden Mannschaften
der drei übrigen zu ersetzen.


Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Arieges

Versailler Vertrag vom 1. Mai 1756, worin beide Mächte einander ihre euro¬
päischen Besitzungen verbürgten und sich im Falle eines Angriffs zur gegen¬
seitigen Hilfeleistung verpflichteten. Alle weitergehenden österreichischen For¬
derungen, Frankreich für die Wiedergewinnung Schlesiens und die völlige
Vernichtung Preußens zu gewinnen, sanden in Versailles kein Gehör. Man
mochte dort nicht mit Unrecht fürchten, daß nach der Niederwerfung Preußens
Österreich im Verein mit England seine Waffen gegen Frankreich kehren würde.

So war die Lage im Juni 1756. Wenn Friedrich jetzt zum Angriff
vorging, so war Österreich, das mit seinen Bundesgenossen lediglich auf die
Verteidigung augewiesen war, in der glücklichen Lage, die vertragsmäßigen
Kontingente von ihnen zu fordern. Innigere Beziehungen zwischen den
Bundesgenossen herzustellen, konnte es dem Kriege überlassen. Dennoch unter¬
schützte man in Wien keineswegs die Gefahr, die von Friedrich drohte. Man
suchte ihm deshalb ängstlich jeden Vorwand zu einem Überfälle zu nehmen:
hatte man doch sogar seit 1754 die herkömmlichen Übungslager in Böhmen
und Mähren ausfallen lassen. Nichts deutete in Österreich auf einen bevor¬
stehenden Krieg.

Da traf die Nachricht von Friedrichs Rüstungen ein.

Seit dem 17. Juni 1756 waren in Preußen verschiedne, zum Teil geheim
gehaltene Maßregeln getroffen worden, die auf einen bevorstehenden Krieg hin¬
zudeuten schienen: die Armiruug der schlesischen Festungen, die Verproviantirung
der Kriegsmagazine, der Nemontenankauf, die Einberufung der Beurlaubten
und der auf Werbung befindlichen Offiziere. Ende Juni waren 27 Jnfanterie-
regimenter, 4 Grenadierbataillone, 24 Kavallerie- und 7 Garnisonregimenter,
also mehr als die Hälfte der ganzen preußischen Armee mobil. Nachdem
schließlich noch die Artillerie und die Trainfuhrwerke bespannt waren, ließ der
König die mobilen brandenburgischen und pommerschen Regimenter mit den Gar¬
nisonen wechseln, offenbar zu dem Zweck, ähnlich wie vor Ausbruch des Krieges
1744, durch Märsche und Gegenmärsche seine wahren Absichten zu verhüllen.

Auf die aus Preuße» kommenden Nachrichten trat in Wien am 8. Juli
eine Rüstungskommission zusammen. Da ein Einfall des Gegners durch
sächsisches Gebiet augenscheinlich nicht zu besorgen war, so richtete die Kom¬
mission ihr Hauptaugenmerk auf die bedrohte schlesische Grenze. Da es an
Festungen fehlte, sollten auf dieser Seite Lager gebildet werden. Aber es
fehlte auch an Menschen und Pferden. Für die Herbeischaffung der Mann¬
schaften sollten die Werbungen mit verdoppeltem Eifer betrieben und die Stände
und der ungarische Landtag zur Rekrutenlieferung angehalten werden, Ma߬
regeln, die, wie sich denken läßt, viel Zeit beanspruchten. Zunächst blieb nichts
andres übrig, als aus den vierten Bataillonen jedes deutschen Infanterie¬
regiments, die in den Garnisonen zurückblieben, die fehlenden Mannschaften
der drei übrigen zu ersetzen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/32>, abgerufen am 01.09.2024.