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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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lands, das den Preis trotz der Zölle niedrig gehalten hat, aufgehoben worden.
Dagegen ist die zweite Wirkung in vollem Umfange eingetreten, denn wenn
auch der beabsichtigte Erfolg nur vorübergehend und in den letzten vier Jahren
gar nicht erreicht worden ist, so hat doch schon die böse Absicht selbst die
Volksmasse mit Mißtrauen und Abneigung gegen die leitenden Kreise erfüllt;
keine noch so künstlichen und glänzenden Beweisführungen vermögen den hä߬
lichen Klang des Wortes Brotverteuerung zu verschönern. Meyer entwickelt
nun folgenden Gedankengang. Weil in unsrer Zeit das Geld regiert, so sind
alle Kriege Handelskriege, während bis zum dreißigjährigen Kriege, wo in
Europa die Religion die Gemüter beherrscht hat, vorzugsweise um die Religion
und um religiöse Ideen Krieg geführt worden ist, wie namentlich in den Kreuz¬
zügen. Wie sonderbar, daß sich ein so gescheiter Protestant durch schwärmerische
Vorliebe sür das katholische Mittelalter zu einer so verkehrten Behauptung
fortreißen lassen kann! Weiß doch jedes Kind, welche Rolle Abenteuerlust,
Habsucht, Verschuldung der ritterlichen Gutsbesitzer und politische Berechnung
in den Kreuzzügen gespielt haben. Der heilige Bernard, der den zweiten
Kreuzzug betrieb, hatte über die kalte Gleichgiltigkeit der deutschen Herren zu
klagen, die seine feurige Predigt uur schwer zu überwinden vermochte, und der
vierte Kreuzzug schlug in ein rein weltliches Unternehmen der Venetianer und
der eroberungssüchtigen Fürsten und Ritter um, bei dem Jerusalem ganz aus
dem Spiele blieb. Hat Meyer nie etwas gehört von den Vernichtungskämpfen,
die Florenz gegen Pisa, Venedig gegen Genua geführt hat? War doch das
ganze Mittelalter mit wirtschaftlichen Kämpfen, mit Kämpfen der Zünfte gegen
die Geschlechter, der Arbeiter gegen die Zünfte, der Städte gegen einander,
der Ritter einerseits gegen die Städte und andrerseits gegen die Bauern an¬
gefüllt, und auch der große Religionskrieg zwischen Spanien und den Nieder¬
landen war ein wirtschaftlicher Befreiungskampf der aufstrebenden Holländer
gegen die den Aufschwung hemmende spanische Regierung und später zugleich
ein Konkurrenzkrieg gegen Flandern. Will Meyer aber gar den dreißigjährigen
Krieg als einen Religionskrieg hinstellen, so wird er damit bei seinen guten
Freunden, den Katholiken, anstoßen, die diese Auffassung bekanntlich entschieden
bestreiten. Aber wie es sich auch mit den mittelalterlichen Kriegen verhalten
möge, so viel steht allerdings fest, daß, nachdem die Zeit der rein dynastischen
Kriege vorüber ist, Kriege nur noch um die Lebensinteressen der Völker, d. h.
um wirtschaftliche Interessen geführt werden können, um Kolonisationsgebiete
und um Absatzgebiete für den Handel und die Industrie. Meyer meint nun,
die Völker des europäischen Festlandes würden sich über kurz oder lang zu
einem Entscheidungskampfe gegen Rußland gezwungen sehen, das ihnen den
Zugang zu Asien sperre. In diesem großen Entscheidungskampfe werde die
Macht siegen, die die am besten bezahlten Arbeiter habe. Denn bei der Form
der Kriegsführung, die durch die gewaltige Tragweite der modernen Geschosse


<Lin unbequemer Konservativer

lands, das den Preis trotz der Zölle niedrig gehalten hat, aufgehoben worden.
Dagegen ist die zweite Wirkung in vollem Umfange eingetreten, denn wenn
auch der beabsichtigte Erfolg nur vorübergehend und in den letzten vier Jahren
gar nicht erreicht worden ist, so hat doch schon die böse Absicht selbst die
Volksmasse mit Mißtrauen und Abneigung gegen die leitenden Kreise erfüllt;
keine noch so künstlichen und glänzenden Beweisführungen vermögen den hä߬
lichen Klang des Wortes Brotverteuerung zu verschönern. Meyer entwickelt
nun folgenden Gedankengang. Weil in unsrer Zeit das Geld regiert, so sind
alle Kriege Handelskriege, während bis zum dreißigjährigen Kriege, wo in
Europa die Religion die Gemüter beherrscht hat, vorzugsweise um die Religion
und um religiöse Ideen Krieg geführt worden ist, wie namentlich in den Kreuz¬
zügen. Wie sonderbar, daß sich ein so gescheiter Protestant durch schwärmerische
Vorliebe sür das katholische Mittelalter zu einer so verkehrten Behauptung
fortreißen lassen kann! Weiß doch jedes Kind, welche Rolle Abenteuerlust,
Habsucht, Verschuldung der ritterlichen Gutsbesitzer und politische Berechnung
in den Kreuzzügen gespielt haben. Der heilige Bernard, der den zweiten
Kreuzzug betrieb, hatte über die kalte Gleichgiltigkeit der deutschen Herren zu
klagen, die seine feurige Predigt uur schwer zu überwinden vermochte, und der
vierte Kreuzzug schlug in ein rein weltliches Unternehmen der Venetianer und
der eroberungssüchtigen Fürsten und Ritter um, bei dem Jerusalem ganz aus
dem Spiele blieb. Hat Meyer nie etwas gehört von den Vernichtungskämpfen,
die Florenz gegen Pisa, Venedig gegen Genua geführt hat? War doch das
ganze Mittelalter mit wirtschaftlichen Kämpfen, mit Kämpfen der Zünfte gegen
die Geschlechter, der Arbeiter gegen die Zünfte, der Städte gegen einander,
der Ritter einerseits gegen die Städte und andrerseits gegen die Bauern an¬
gefüllt, und auch der große Religionskrieg zwischen Spanien und den Nieder¬
landen war ein wirtschaftlicher Befreiungskampf der aufstrebenden Holländer
gegen die den Aufschwung hemmende spanische Regierung und später zugleich
ein Konkurrenzkrieg gegen Flandern. Will Meyer aber gar den dreißigjährigen
Krieg als einen Religionskrieg hinstellen, so wird er damit bei seinen guten
Freunden, den Katholiken, anstoßen, die diese Auffassung bekanntlich entschieden
bestreiten. Aber wie es sich auch mit den mittelalterlichen Kriegen verhalten
möge, so viel steht allerdings fest, daß, nachdem die Zeit der rein dynastischen
Kriege vorüber ist, Kriege nur noch um die Lebensinteressen der Völker, d. h.
um wirtschaftliche Interessen geführt werden können, um Kolonisationsgebiete
und um Absatzgebiete für den Handel und die Industrie. Meyer meint nun,
die Völker des europäischen Festlandes würden sich über kurz oder lang zu
einem Entscheidungskampfe gegen Rußland gezwungen sehen, das ihnen den
Zugang zu Asien sperre. In diesem großen Entscheidungskampfe werde die
Macht siegen, die die am besten bezahlten Arbeiter habe. Denn bei der Form
der Kriegsführung, die durch die gewaltige Tragweite der modernen Geschosse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/317>, abgerufen am 01.09.2024.