Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gin unbequemer Konservativer

den Grafen Mirbach-Sorquitteu, der auf dem achtzehnten Kongreß deutscher
Landwirte 1887 gesagt hat: "So sehr viel fehlt nicht mehr, um den Konsum
von Getreide im deutschen Reich durch die eigne Produktion zu decken. Wenn
wir nun sehr hohe Kornzölle einführten, so würde darin ein so starker Anreiz
zum MehrbaU von Getreide liegen, daß wir in allerkürzester Frist dazu kämen,
unsern Bedarf zu decken. Es würde ein Mehr über unsern Bedarf und die
Notwendigkeit des Exports ins Ausland sich herausstellen, und dann würden
wir trotz des hohen Zolles lediglich vom Weltmarktpreis abhängig werden.
Wir können ja die Getreidezölle sehr wohl erhöhen, aber nicht so -- das wäre
der größte Fehler --, daß darin ein Anreiz liegt zu einer unnatürlichen Ver¬
stärkung der Produktion von Getreide." Mit andern Worten: sollen die Korn¬
zölle preissteigernd wirken, so darf die inländische Produktion den Bedarf nicht
decken. Und die Sache liegt weit einfacher, als sie der Graf Mirbach in seinen
geschraubten Sätzen darstellt. Das Bedürfnis decken, das heißt dafür sorgen,
daß jeder, der einkaufen will, jederzeit Ware findet. Das ist nur dann der
Fall, wenn das Angebot stets die Nachfrage übersteigt. In diesem Falle ist
aber die Ware selbstverständlich billig; der Preis sinkt so tief, als er sinken
kann, ohne den Anbau von Getreide unmöglich zu machen, d. h. also min¬
destens bis auf den Tiefstand der letzten Jahre, der, wie der Augenschein be¬
weist, den Anbau noch nicht unmöglich gemacht hat. Das einzige Mittel da¬
gegen wäre ein Getreidemonopol des Staates, wodurch dieser verpflichtet würde,
das Getreide einzusperren und dadurch den Preis künstlich hoch zu halten.
Aber eine solche Maßregel vermöchte nicht einmal ein asiatischer Despot durch¬
zuführen. Wollte es ein Vezir thun, so würde ihn sein Sultan beim ersten
Brotkrawall aufhängen lassen. Die Landwirte könnten sich nur dadurch helfen,
daß sie den Roggen und Weizen ähnlich kontingentirten, wie es mit dem Spi¬
ritus und dem Zucker geschehen ist, und dadurch die Produktion immer ein
wenig unter dem Bedarf halten, was freilich bei einer Ware, deren Menge
zum Teil vom Wetter abhängt, sehr schwierig sein würde. Also: bei Deckung
des Bedarfs durch die inländische Produktion würde das Getreide gerade so
billig und unter Umstünden noch billiger sein als bei zollfreier Einfuhr, und
der deutsche Getreidepreis würde dann nicht, wie Graf Mirbach sagt, vom
Weltmarktpreise abhängig sein, sondern vielmehr auf diesen drücken helfen.

So also steht es nach Meyers und auch nach unsrer Ansicht um die
wirtschaftliche Wirkung der Zölle; nur dadurch unterscheiden wir uns von
Meyer, daß er die "Not der Landwirtschaft," die trotz der Zölle und zum
Teil infolge der Zölle eingetreten sei, für weit größer und die Lage der Grund¬
besitzer für weit gefährlicher hält, als sie nach unsrer Überzeugung ist. Die
politischen Wirkungen der Zölle aber bestehen nach ihm darin, daß sie das
Volk kriegsuntüchtig und unzufrieden machen. Die nachteilige Wirkung auf
die Volksernährung ist ja nun zum Glück durch das Überangebot des Aus-


Gin unbequemer Konservativer

den Grafen Mirbach-Sorquitteu, der auf dem achtzehnten Kongreß deutscher
Landwirte 1887 gesagt hat: „So sehr viel fehlt nicht mehr, um den Konsum
von Getreide im deutschen Reich durch die eigne Produktion zu decken. Wenn
wir nun sehr hohe Kornzölle einführten, so würde darin ein so starker Anreiz
zum MehrbaU von Getreide liegen, daß wir in allerkürzester Frist dazu kämen,
unsern Bedarf zu decken. Es würde ein Mehr über unsern Bedarf und die
Notwendigkeit des Exports ins Ausland sich herausstellen, und dann würden
wir trotz des hohen Zolles lediglich vom Weltmarktpreis abhängig werden.
Wir können ja die Getreidezölle sehr wohl erhöhen, aber nicht so — das wäre
der größte Fehler —, daß darin ein Anreiz liegt zu einer unnatürlichen Ver¬
stärkung der Produktion von Getreide." Mit andern Worten: sollen die Korn¬
zölle preissteigernd wirken, so darf die inländische Produktion den Bedarf nicht
decken. Und die Sache liegt weit einfacher, als sie der Graf Mirbach in seinen
geschraubten Sätzen darstellt. Das Bedürfnis decken, das heißt dafür sorgen,
daß jeder, der einkaufen will, jederzeit Ware findet. Das ist nur dann der
Fall, wenn das Angebot stets die Nachfrage übersteigt. In diesem Falle ist
aber die Ware selbstverständlich billig; der Preis sinkt so tief, als er sinken
kann, ohne den Anbau von Getreide unmöglich zu machen, d. h. also min¬
destens bis auf den Tiefstand der letzten Jahre, der, wie der Augenschein be¬
weist, den Anbau noch nicht unmöglich gemacht hat. Das einzige Mittel da¬
gegen wäre ein Getreidemonopol des Staates, wodurch dieser verpflichtet würde,
das Getreide einzusperren und dadurch den Preis künstlich hoch zu halten.
Aber eine solche Maßregel vermöchte nicht einmal ein asiatischer Despot durch¬
zuführen. Wollte es ein Vezir thun, so würde ihn sein Sultan beim ersten
Brotkrawall aufhängen lassen. Die Landwirte könnten sich nur dadurch helfen,
daß sie den Roggen und Weizen ähnlich kontingentirten, wie es mit dem Spi¬
ritus und dem Zucker geschehen ist, und dadurch die Produktion immer ein
wenig unter dem Bedarf halten, was freilich bei einer Ware, deren Menge
zum Teil vom Wetter abhängt, sehr schwierig sein würde. Also: bei Deckung
des Bedarfs durch die inländische Produktion würde das Getreide gerade so
billig und unter Umstünden noch billiger sein als bei zollfreier Einfuhr, und
der deutsche Getreidepreis würde dann nicht, wie Graf Mirbach sagt, vom
Weltmarktpreise abhängig sein, sondern vielmehr auf diesen drücken helfen.

So also steht es nach Meyers und auch nach unsrer Ansicht um die
wirtschaftliche Wirkung der Zölle; nur dadurch unterscheiden wir uns von
Meyer, daß er die „Not der Landwirtschaft," die trotz der Zölle und zum
Teil infolge der Zölle eingetreten sei, für weit größer und die Lage der Grund¬
besitzer für weit gefährlicher hält, als sie nach unsrer Überzeugung ist. Die
politischen Wirkungen der Zölle aber bestehen nach ihm darin, daß sie das
Volk kriegsuntüchtig und unzufrieden machen. Die nachteilige Wirkung auf
die Volksernährung ist ja nun zum Glück durch das Überangebot des Aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223258"/>
          <fw type="header" place="top"> Gin unbequemer Konservativer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_920" prev="#ID_919"> den Grafen Mirbach-Sorquitteu, der auf dem achtzehnten Kongreß deutscher<lb/>
Landwirte 1887 gesagt hat: &#x201E;So sehr viel fehlt nicht mehr, um den Konsum<lb/>
von Getreide im deutschen Reich durch die eigne Produktion zu decken. Wenn<lb/>
wir nun sehr hohe Kornzölle einführten, so würde darin ein so starker Anreiz<lb/>
zum MehrbaU von Getreide liegen, daß wir in allerkürzester Frist dazu kämen,<lb/>
unsern Bedarf zu decken. Es würde ein Mehr über unsern Bedarf und die<lb/>
Notwendigkeit des Exports ins Ausland sich herausstellen, und dann würden<lb/>
wir trotz des hohen Zolles lediglich vom Weltmarktpreis abhängig werden.<lb/>
Wir können ja die Getreidezölle sehr wohl erhöhen, aber nicht so &#x2014; das wäre<lb/>
der größte Fehler &#x2014;, daß darin ein Anreiz liegt zu einer unnatürlichen Ver¬<lb/>
stärkung der Produktion von Getreide." Mit andern Worten: sollen die Korn¬<lb/>
zölle preissteigernd wirken, so darf die inländische Produktion den Bedarf nicht<lb/>
decken. Und die Sache liegt weit einfacher, als sie der Graf Mirbach in seinen<lb/>
geschraubten Sätzen darstellt. Das Bedürfnis decken, das heißt dafür sorgen,<lb/>
daß jeder, der einkaufen will, jederzeit Ware findet. Das ist nur dann der<lb/>
Fall, wenn das Angebot stets die Nachfrage übersteigt. In diesem Falle ist<lb/>
aber die Ware selbstverständlich billig; der Preis sinkt so tief, als er sinken<lb/>
kann, ohne den Anbau von Getreide unmöglich zu machen, d. h. also min¬<lb/>
destens bis auf den Tiefstand der letzten Jahre, der, wie der Augenschein be¬<lb/>
weist, den Anbau noch nicht unmöglich gemacht hat. Das einzige Mittel da¬<lb/>
gegen wäre ein Getreidemonopol des Staates, wodurch dieser verpflichtet würde,<lb/>
das Getreide einzusperren und dadurch den Preis künstlich hoch zu halten.<lb/>
Aber eine solche Maßregel vermöchte nicht einmal ein asiatischer Despot durch¬<lb/>
zuführen. Wollte es ein Vezir thun, so würde ihn sein Sultan beim ersten<lb/>
Brotkrawall aufhängen lassen. Die Landwirte könnten sich nur dadurch helfen,<lb/>
daß sie den Roggen und Weizen ähnlich kontingentirten, wie es mit dem Spi¬<lb/>
ritus und dem Zucker geschehen ist, und dadurch die Produktion immer ein<lb/>
wenig unter dem Bedarf halten, was freilich bei einer Ware, deren Menge<lb/>
zum Teil vom Wetter abhängt, sehr schwierig sein würde. Also: bei Deckung<lb/>
des Bedarfs durch die inländische Produktion würde das Getreide gerade so<lb/>
billig und unter Umstünden noch billiger sein als bei zollfreier Einfuhr, und<lb/>
der deutsche Getreidepreis würde dann nicht, wie Graf Mirbach sagt, vom<lb/>
Weltmarktpreise abhängig sein, sondern vielmehr auf diesen drücken helfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_921" next="#ID_922"> So also steht es nach Meyers und auch nach unsrer Ansicht um die<lb/>
wirtschaftliche Wirkung der Zölle; nur dadurch unterscheiden wir uns von<lb/>
Meyer, daß er die &#x201E;Not der Landwirtschaft," die trotz der Zölle und zum<lb/>
Teil infolge der Zölle eingetreten sei, für weit größer und die Lage der Grund¬<lb/>
besitzer für weit gefährlicher hält, als sie nach unsrer Überzeugung ist. Die<lb/>
politischen Wirkungen der Zölle aber bestehen nach ihm darin, daß sie das<lb/>
Volk kriegsuntüchtig und unzufrieden machen. Die nachteilige Wirkung auf<lb/>
die Volksernährung ist ja nun zum Glück durch das Überangebot des Aus-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0316] Gin unbequemer Konservativer den Grafen Mirbach-Sorquitteu, der auf dem achtzehnten Kongreß deutscher Landwirte 1887 gesagt hat: „So sehr viel fehlt nicht mehr, um den Konsum von Getreide im deutschen Reich durch die eigne Produktion zu decken. Wenn wir nun sehr hohe Kornzölle einführten, so würde darin ein so starker Anreiz zum MehrbaU von Getreide liegen, daß wir in allerkürzester Frist dazu kämen, unsern Bedarf zu decken. Es würde ein Mehr über unsern Bedarf und die Notwendigkeit des Exports ins Ausland sich herausstellen, und dann würden wir trotz des hohen Zolles lediglich vom Weltmarktpreis abhängig werden. Wir können ja die Getreidezölle sehr wohl erhöhen, aber nicht so — das wäre der größte Fehler —, daß darin ein Anreiz liegt zu einer unnatürlichen Ver¬ stärkung der Produktion von Getreide." Mit andern Worten: sollen die Korn¬ zölle preissteigernd wirken, so darf die inländische Produktion den Bedarf nicht decken. Und die Sache liegt weit einfacher, als sie der Graf Mirbach in seinen geschraubten Sätzen darstellt. Das Bedürfnis decken, das heißt dafür sorgen, daß jeder, der einkaufen will, jederzeit Ware findet. Das ist nur dann der Fall, wenn das Angebot stets die Nachfrage übersteigt. In diesem Falle ist aber die Ware selbstverständlich billig; der Preis sinkt so tief, als er sinken kann, ohne den Anbau von Getreide unmöglich zu machen, d. h. also min¬ destens bis auf den Tiefstand der letzten Jahre, der, wie der Augenschein be¬ weist, den Anbau noch nicht unmöglich gemacht hat. Das einzige Mittel da¬ gegen wäre ein Getreidemonopol des Staates, wodurch dieser verpflichtet würde, das Getreide einzusperren und dadurch den Preis künstlich hoch zu halten. Aber eine solche Maßregel vermöchte nicht einmal ein asiatischer Despot durch¬ zuführen. Wollte es ein Vezir thun, so würde ihn sein Sultan beim ersten Brotkrawall aufhängen lassen. Die Landwirte könnten sich nur dadurch helfen, daß sie den Roggen und Weizen ähnlich kontingentirten, wie es mit dem Spi¬ ritus und dem Zucker geschehen ist, und dadurch die Produktion immer ein wenig unter dem Bedarf halten, was freilich bei einer Ware, deren Menge zum Teil vom Wetter abhängt, sehr schwierig sein würde. Also: bei Deckung des Bedarfs durch die inländische Produktion würde das Getreide gerade so billig und unter Umstünden noch billiger sein als bei zollfreier Einfuhr, und der deutsche Getreidepreis würde dann nicht, wie Graf Mirbach sagt, vom Weltmarktpreise abhängig sein, sondern vielmehr auf diesen drücken helfen. So also steht es nach Meyers und auch nach unsrer Ansicht um die wirtschaftliche Wirkung der Zölle; nur dadurch unterscheiden wir uns von Meyer, daß er die „Not der Landwirtschaft," die trotz der Zölle und zum Teil infolge der Zölle eingetreten sei, für weit größer und die Lage der Grund¬ besitzer für weit gefährlicher hält, als sie nach unsrer Überzeugung ist. Die politischen Wirkungen der Zölle aber bestehen nach ihm darin, daß sie das Volk kriegsuntüchtig und unzufrieden machen. Die nachteilige Wirkung auf die Volksernährung ist ja nun zum Glück durch das Überangebot des Aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/316
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/316>, abgerufen am 01.09.2024.