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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Ein unbequemer Konservativer

zolls ihren Boden wieder verlieren und alsdann ein Überangebot von Arbeits¬
kräften bewirken, das zu niedrigen Lohnsätzen führt. Die indirekte Steuer hat
eine Verschiebung der Nahrungsbedingungen zur Folge, sie erschwert die An-
siedlung an einer Stelle und begünstigt sie an einer andern innerhalb des
Territoriums, worin der Schutzzoll wirkt; dieser schafft daher die menschen¬
leeren Hinterländer neben den großen Fabrikstädten." Er verurteilt dann die
Absperrnngspolitik der Vereinigten Staaten und Rußlands und sagt: "Die
europäischen Staaten sollten einmütig gegen die Schutzzollmaximen dieser beiden
Staaten Protestiren, und wenn die Drohung nicht hilft, so gut diese Grenz¬
sperren und Schlagbäume mit Gewalt sprengen, wie man dies in China und
Japan gethan hat." Das also war im Anfang der siebziger Jahre der rechte
Mann für die vstelbischen Agrarier. Im Jahre 1872 erklärte der Kongreß
deutscher Landwirte: "Alle Zölle, die als Schutzzölle wirken, sind, als vor¬
zugsweise den Landbau schädigend, unbedingt verwerflich." Dann organisirten
sich die Agrarier unter dem Namen der Steuer- und Wirtschaftsrcformer und
erklärten am 22. Februar 1876: ,,Auf der Grundlage des Freihandels stehend,
sind wir Gegner der Schutzzölle." In demselben Jahre versuchten die in¬
dustriellen Schutzzöllner durch eine Broschüre des Dr. Stöpel eine Annäherung
an die Agrarier, indem sie einen Getreidezvll zu bewilligen versprachen, der
anfing, Sinn zu bekommen, da Deutschland mittlerweile aus einem getreide¬
ausführenden ein getreideeinführender Staat geworden war. Nathusius, der
Chefredakteur der Kreuzzeitung, verhielt sich zunächst noch ablehnend; er meinte,
daß ,,nur eine harmonische Verbindung aller, auch der idealsten geistigen und
sittlichen Interessen der Nation zu einem gedeihlichen Ziele führen und vor
Abwegen bewahren könne, die eine einseitige Interessen- oder Agrarpolitik ein¬
zuschlagen nur zu leicht in Gefahr stehe. Wenn gesagt worden ist, daß die
konservative Politik ihr Streben darauf richten würde, ein den einzelnen Gegen¬
stand nicht erheblich drückendes, aber doch ergiebiges Finanzzollsystem auszu¬
bilden, so ist damit schon die Verurteilung des Zollschutzsystems und die
Durchführung der allein gerechten und gesunden Freihandelspolitik ausge¬
sprochen. Ob die Nachbarn diesem Beispiele folgen oder nicht, würde für die
einheimische Volkswirtschaft gleichgiltig sein, da der Zollschutz im Auslande
die Preise der geschützten Artikel um den Betrag des Zolles zu Gunsten der
ausländischen Industriellen steigern, also unsern Export an sich nicht inhibiren
würde." Aber die Agrarier besannen sich anders, das Kartell zwischen ihnen
und den Industriellen wurde schon im nächsten Jahre vollzogen und fing von
^878 ab an, die innere Politik zu bestimmen. Daß auch das Sozialistengesetz
vorzugsweise vom Standpunkte des Unternehmerinteresses aus gebilligt worden
sei, als Sprengung der Arbeiterorganisationen und Lähmung der Lohnbewegung,
dafür beruft sich Meyer Seite 284 auf einen Ausspruch Hansemanns. Da
aber der Kapitalismus an dem innern Widerspruch kranke, daß er die


Grenzboten III 1896 8!)
Ein unbequemer Konservativer

zolls ihren Boden wieder verlieren und alsdann ein Überangebot von Arbeits¬
kräften bewirken, das zu niedrigen Lohnsätzen führt. Die indirekte Steuer hat
eine Verschiebung der Nahrungsbedingungen zur Folge, sie erschwert die An-
siedlung an einer Stelle und begünstigt sie an einer andern innerhalb des
Territoriums, worin der Schutzzoll wirkt; dieser schafft daher die menschen¬
leeren Hinterländer neben den großen Fabrikstädten." Er verurteilt dann die
Absperrnngspolitik der Vereinigten Staaten und Rußlands und sagt: „Die
europäischen Staaten sollten einmütig gegen die Schutzzollmaximen dieser beiden
Staaten Protestiren, und wenn die Drohung nicht hilft, so gut diese Grenz¬
sperren und Schlagbäume mit Gewalt sprengen, wie man dies in China und
Japan gethan hat." Das also war im Anfang der siebziger Jahre der rechte
Mann für die vstelbischen Agrarier. Im Jahre 1872 erklärte der Kongreß
deutscher Landwirte: „Alle Zölle, die als Schutzzölle wirken, sind, als vor¬
zugsweise den Landbau schädigend, unbedingt verwerflich." Dann organisirten
sich die Agrarier unter dem Namen der Steuer- und Wirtschaftsrcformer und
erklärten am 22. Februar 1876: ,,Auf der Grundlage des Freihandels stehend,
sind wir Gegner der Schutzzölle." In demselben Jahre versuchten die in¬
dustriellen Schutzzöllner durch eine Broschüre des Dr. Stöpel eine Annäherung
an die Agrarier, indem sie einen Getreidezvll zu bewilligen versprachen, der
anfing, Sinn zu bekommen, da Deutschland mittlerweile aus einem getreide¬
ausführenden ein getreideeinführender Staat geworden war. Nathusius, der
Chefredakteur der Kreuzzeitung, verhielt sich zunächst noch ablehnend; er meinte,
daß ,,nur eine harmonische Verbindung aller, auch der idealsten geistigen und
sittlichen Interessen der Nation zu einem gedeihlichen Ziele führen und vor
Abwegen bewahren könne, die eine einseitige Interessen- oder Agrarpolitik ein¬
zuschlagen nur zu leicht in Gefahr stehe. Wenn gesagt worden ist, daß die
konservative Politik ihr Streben darauf richten würde, ein den einzelnen Gegen¬
stand nicht erheblich drückendes, aber doch ergiebiges Finanzzollsystem auszu¬
bilden, so ist damit schon die Verurteilung des Zollschutzsystems und die
Durchführung der allein gerechten und gesunden Freihandelspolitik ausge¬
sprochen. Ob die Nachbarn diesem Beispiele folgen oder nicht, würde für die
einheimische Volkswirtschaft gleichgiltig sein, da der Zollschutz im Auslande
die Preise der geschützten Artikel um den Betrag des Zolles zu Gunsten der
ausländischen Industriellen steigern, also unsern Export an sich nicht inhibiren
würde." Aber die Agrarier besannen sich anders, das Kartell zwischen ihnen
und den Industriellen wurde schon im nächsten Jahre vollzogen und fing von
^878 ab an, die innere Politik zu bestimmen. Daß auch das Sozialistengesetz
vorzugsweise vom Standpunkte des Unternehmerinteresses aus gebilligt worden
sei, als Sprengung der Arbeiterorganisationen und Lähmung der Lohnbewegung,
dafür beruft sich Meyer Seite 284 auf einen Ausspruch Hansemanns. Da
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[0313] Ein unbequemer Konservativer zolls ihren Boden wieder verlieren und alsdann ein Überangebot von Arbeits¬ kräften bewirken, das zu niedrigen Lohnsätzen führt. Die indirekte Steuer hat eine Verschiebung der Nahrungsbedingungen zur Folge, sie erschwert die An- siedlung an einer Stelle und begünstigt sie an einer andern innerhalb des Territoriums, worin der Schutzzoll wirkt; dieser schafft daher die menschen¬ leeren Hinterländer neben den großen Fabrikstädten." Er verurteilt dann die Absperrnngspolitik der Vereinigten Staaten und Rußlands und sagt: „Die europäischen Staaten sollten einmütig gegen die Schutzzollmaximen dieser beiden Staaten Protestiren, und wenn die Drohung nicht hilft, so gut diese Grenz¬ sperren und Schlagbäume mit Gewalt sprengen, wie man dies in China und Japan gethan hat." Das also war im Anfang der siebziger Jahre der rechte Mann für die vstelbischen Agrarier. Im Jahre 1872 erklärte der Kongreß deutscher Landwirte: „Alle Zölle, die als Schutzzölle wirken, sind, als vor¬ zugsweise den Landbau schädigend, unbedingt verwerflich." Dann organisirten sich die Agrarier unter dem Namen der Steuer- und Wirtschaftsrcformer und erklärten am 22. Februar 1876: ,,Auf der Grundlage des Freihandels stehend, sind wir Gegner der Schutzzölle." In demselben Jahre versuchten die in¬ dustriellen Schutzzöllner durch eine Broschüre des Dr. Stöpel eine Annäherung an die Agrarier, indem sie einen Getreidezvll zu bewilligen versprachen, der anfing, Sinn zu bekommen, da Deutschland mittlerweile aus einem getreide¬ ausführenden ein getreideeinführender Staat geworden war. Nathusius, der Chefredakteur der Kreuzzeitung, verhielt sich zunächst noch ablehnend; er meinte, daß ,,nur eine harmonische Verbindung aller, auch der idealsten geistigen und sittlichen Interessen der Nation zu einem gedeihlichen Ziele führen und vor Abwegen bewahren könne, die eine einseitige Interessen- oder Agrarpolitik ein¬ zuschlagen nur zu leicht in Gefahr stehe. Wenn gesagt worden ist, daß die konservative Politik ihr Streben darauf richten würde, ein den einzelnen Gegen¬ stand nicht erheblich drückendes, aber doch ergiebiges Finanzzollsystem auszu¬ bilden, so ist damit schon die Verurteilung des Zollschutzsystems und die Durchführung der allein gerechten und gesunden Freihandelspolitik ausge¬ sprochen. Ob die Nachbarn diesem Beispiele folgen oder nicht, würde für die einheimische Volkswirtschaft gleichgiltig sein, da der Zollschutz im Auslande die Preise der geschützten Artikel um den Betrag des Zolles zu Gunsten der ausländischen Industriellen steigern, also unsern Export an sich nicht inhibiren würde." Aber die Agrarier besannen sich anders, das Kartell zwischen ihnen und den Industriellen wurde schon im nächsten Jahre vollzogen und fing von ^878 ab an, die innere Politik zu bestimmen. Daß auch das Sozialistengesetz vorzugsweise vom Standpunkte des Unternehmerinteresses aus gebilligt worden sei, als Sprengung der Arbeiterorganisationen und Lähmung der Lohnbewegung, dafür beruft sich Meyer Seite 284 auf einen Ausspruch Hansemanns. Da aber der Kapitalismus an dem innern Widerspruch kranke, daß er die Grenzboten III 1896 8!)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/313>, abgerufen am 01.09.2024.