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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Lin unbequemer Aonservativer

Freihändler waren. Wir haben wiederholt auf den Umstand hingewiesen, daß
unsre Agrarier bis vor zwanzig Jahren entschiedne Freihändler gewesen sind.
Daraus folgt nun zwar für die Richtigkeit der Freihandelsgrundsätze so wenig
wie aus ihrer heutigen Schutzzöllnerei für den alleinseligmachenden Schutzzoll,
es folgt aber doch daraus zweierlei. Erstens, daß man sich, wenn die Kon¬
servativen oder irgend welche andre Parteimenschen zehn Jahre lang unisono
eine Forderung erheben und jeden für einen Vaterlandsverräter erklären, der
nicht beistimme, dadurch nicht im mindesten darf imponiren oder einschüchtern
lassen, denn übers Jahr werden die Herren vielleicht das Gegenteil für patrio¬
tische Pflicht erklären; zweitens, daß Freihandel und Schutzzoll keine wesent¬
lichen Bestandteile des konservativen oder liberalen Charakters, sondern reine
Opportunitätssache sind, und daß es unmöglich jemandem zur Schande ange¬
rechnet werden kann, wenn er darüber, was augenblicklich für die Gesamtheit
des Volks nützlich oder schädlich sei, andrer Meinung ist als irgend eine
Fraktion. Zur Erhärtung dieser zwei sehr wichtigen Folgerungen wollen wir
einiges von dem, was Meyer aus den siebziger Jahren erzählt, mitteilen.
Marc Anton Niendorf wurde von den Agrariern gerade darum zum Führer
und zum Leiter ihres Organs, der Deutschen Landeszeitung, erkoren, weil er
entschiedner Freihändler war. Als solcher verwarf er auch die indirekten
Steuern. In einer Broschüre über den Landbau und die indirekten Steuern
beklagte er es 1869, daß das deutsche Volk auf den Kopf zwei Thaler in¬
direkte Auflagen zahle, und schrieb u.a.: "Glücklicherweise wird so leicht keine
Kammer dahin zu bringen sein, bei vermehrten Anforderungen des Staates
neue und höhere indirekte Auflagen zu bewilligen." Die indirekte Besteuerung,
zu der die Grenzzölle gehörten, bedeute eine vom Staate erzwungne ungerechte
Güterverteilung. "Die mit dem Einfuhrzoll beschwerte Ware bekommt einen
um diesen Zoll künstlich erhöhten Preis. Ist eine Industrie durch Zölle ge¬
schützt, so ist der, der sie betreibt, ein Privilegirter. Den Gewinn des Pri-
vilegirten bezahlt jeder Konsument. Der Fabrikant bildet so eine privilegirte
Klasse, die zwar kein Geschlechtsadel ist, die man aber sehr wohl einen Jn-
strumentsadel nennen könnte. England besaß und besitzt dieses Industrientter-
tum im ausgedehnten Maße, es schuf sogar seinen alten Erbadel des Land¬
besitzes zum Jnstrumentsadel um." "Niendorf, bemerkt Meyer hierzu, ahnte
1869 nicht, daß schon 1879 ein großer Teil des alten deutschen Erbadels die¬
selbe Verwandlung in einen privilegirten Jnstrumentsadel vollzogen, daß die
Kreuzzeitung diese Wandlung mitgemacht, und er selbst dazu seinen litterarischen
Segen gespendet haben würde." Niendorf sagt dann weiter: "Die indirekte
Steuer schafft innerhalb der Gesellschaft einen privilegirten Stand, der zwar
uicht Erbadel, wohl aber adliche Privilegien an dem Instrument des beschützten
Arbeitszweiges hat. Sie schafft künstliche Bedingungen zu Nahrungsexistenzen,
zu Haushaltestellen, die mit der Wirkungslosigkeit hoter Aufhebung^ des Schutz-


Lin unbequemer Aonservativer

Freihändler waren. Wir haben wiederholt auf den Umstand hingewiesen, daß
unsre Agrarier bis vor zwanzig Jahren entschiedne Freihändler gewesen sind.
Daraus folgt nun zwar für die Richtigkeit der Freihandelsgrundsätze so wenig
wie aus ihrer heutigen Schutzzöllnerei für den alleinseligmachenden Schutzzoll,
es folgt aber doch daraus zweierlei. Erstens, daß man sich, wenn die Kon¬
servativen oder irgend welche andre Parteimenschen zehn Jahre lang unisono
eine Forderung erheben und jeden für einen Vaterlandsverräter erklären, der
nicht beistimme, dadurch nicht im mindesten darf imponiren oder einschüchtern
lassen, denn übers Jahr werden die Herren vielleicht das Gegenteil für patrio¬
tische Pflicht erklären; zweitens, daß Freihandel und Schutzzoll keine wesent¬
lichen Bestandteile des konservativen oder liberalen Charakters, sondern reine
Opportunitätssache sind, und daß es unmöglich jemandem zur Schande ange¬
rechnet werden kann, wenn er darüber, was augenblicklich für die Gesamtheit
des Volks nützlich oder schädlich sei, andrer Meinung ist als irgend eine
Fraktion. Zur Erhärtung dieser zwei sehr wichtigen Folgerungen wollen wir
einiges von dem, was Meyer aus den siebziger Jahren erzählt, mitteilen.
Marc Anton Niendorf wurde von den Agrariern gerade darum zum Führer
und zum Leiter ihres Organs, der Deutschen Landeszeitung, erkoren, weil er
entschiedner Freihändler war. Als solcher verwarf er auch die indirekten
Steuern. In einer Broschüre über den Landbau und die indirekten Steuern
beklagte er es 1869, daß das deutsche Volk auf den Kopf zwei Thaler in¬
direkte Auflagen zahle, und schrieb u.a.: „Glücklicherweise wird so leicht keine
Kammer dahin zu bringen sein, bei vermehrten Anforderungen des Staates
neue und höhere indirekte Auflagen zu bewilligen." Die indirekte Besteuerung,
zu der die Grenzzölle gehörten, bedeute eine vom Staate erzwungne ungerechte
Güterverteilung. „Die mit dem Einfuhrzoll beschwerte Ware bekommt einen
um diesen Zoll künstlich erhöhten Preis. Ist eine Industrie durch Zölle ge¬
schützt, so ist der, der sie betreibt, ein Privilegirter. Den Gewinn des Pri-
vilegirten bezahlt jeder Konsument. Der Fabrikant bildet so eine privilegirte
Klasse, die zwar kein Geschlechtsadel ist, die man aber sehr wohl einen Jn-
strumentsadel nennen könnte. England besaß und besitzt dieses Industrientter-
tum im ausgedehnten Maße, es schuf sogar seinen alten Erbadel des Land¬
besitzes zum Jnstrumentsadel um." „Niendorf, bemerkt Meyer hierzu, ahnte
1869 nicht, daß schon 1879 ein großer Teil des alten deutschen Erbadels die¬
selbe Verwandlung in einen privilegirten Jnstrumentsadel vollzogen, daß die
Kreuzzeitung diese Wandlung mitgemacht, und er selbst dazu seinen litterarischen
Segen gespendet haben würde." Niendorf sagt dann weiter: „Die indirekte
Steuer schafft innerhalb der Gesellschaft einen privilegirten Stand, der zwar
uicht Erbadel, wohl aber adliche Privilegien an dem Instrument des beschützten
Arbeitszweiges hat. Sie schafft künstliche Bedingungen zu Nahrungsexistenzen,
zu Haushaltestellen, die mit der Wirkungslosigkeit hoter Aufhebung^ des Schutz-


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[0312] Lin unbequemer Aonservativer Freihändler waren. Wir haben wiederholt auf den Umstand hingewiesen, daß unsre Agrarier bis vor zwanzig Jahren entschiedne Freihändler gewesen sind. Daraus folgt nun zwar für die Richtigkeit der Freihandelsgrundsätze so wenig wie aus ihrer heutigen Schutzzöllnerei für den alleinseligmachenden Schutzzoll, es folgt aber doch daraus zweierlei. Erstens, daß man sich, wenn die Kon¬ servativen oder irgend welche andre Parteimenschen zehn Jahre lang unisono eine Forderung erheben und jeden für einen Vaterlandsverräter erklären, der nicht beistimme, dadurch nicht im mindesten darf imponiren oder einschüchtern lassen, denn übers Jahr werden die Herren vielleicht das Gegenteil für patrio¬ tische Pflicht erklären; zweitens, daß Freihandel und Schutzzoll keine wesent¬ lichen Bestandteile des konservativen oder liberalen Charakters, sondern reine Opportunitätssache sind, und daß es unmöglich jemandem zur Schande ange¬ rechnet werden kann, wenn er darüber, was augenblicklich für die Gesamtheit des Volks nützlich oder schädlich sei, andrer Meinung ist als irgend eine Fraktion. Zur Erhärtung dieser zwei sehr wichtigen Folgerungen wollen wir einiges von dem, was Meyer aus den siebziger Jahren erzählt, mitteilen. Marc Anton Niendorf wurde von den Agrariern gerade darum zum Führer und zum Leiter ihres Organs, der Deutschen Landeszeitung, erkoren, weil er entschiedner Freihändler war. Als solcher verwarf er auch die indirekten Steuern. In einer Broschüre über den Landbau und die indirekten Steuern beklagte er es 1869, daß das deutsche Volk auf den Kopf zwei Thaler in¬ direkte Auflagen zahle, und schrieb u.a.: „Glücklicherweise wird so leicht keine Kammer dahin zu bringen sein, bei vermehrten Anforderungen des Staates neue und höhere indirekte Auflagen zu bewilligen." Die indirekte Besteuerung, zu der die Grenzzölle gehörten, bedeute eine vom Staate erzwungne ungerechte Güterverteilung. „Die mit dem Einfuhrzoll beschwerte Ware bekommt einen um diesen Zoll künstlich erhöhten Preis. Ist eine Industrie durch Zölle ge¬ schützt, so ist der, der sie betreibt, ein Privilegirter. Den Gewinn des Pri- vilegirten bezahlt jeder Konsument. Der Fabrikant bildet so eine privilegirte Klasse, die zwar kein Geschlechtsadel ist, die man aber sehr wohl einen Jn- strumentsadel nennen könnte. England besaß und besitzt dieses Industrientter- tum im ausgedehnten Maße, es schuf sogar seinen alten Erbadel des Land¬ besitzes zum Jnstrumentsadel um." „Niendorf, bemerkt Meyer hierzu, ahnte 1869 nicht, daß schon 1879 ein großer Teil des alten deutschen Erbadels die¬ selbe Verwandlung in einen privilegirten Jnstrumentsadel vollzogen, daß die Kreuzzeitung diese Wandlung mitgemacht, und er selbst dazu seinen litterarischen Segen gespendet haben würde." Niendorf sagt dann weiter: „Die indirekte Steuer schafft innerhalb der Gesellschaft einen privilegirten Stand, der zwar uicht Erbadel, wohl aber adliche Privilegien an dem Instrument des beschützten Arbeitszweiges hat. Sie schafft künstliche Bedingungen zu Nahrungsexistenzen, zu Haushaltestellen, die mit der Wirkungslosigkeit hoter Aufhebung^ des Schutz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/312>, abgerufen am 01.09.2024.