Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein unbequemer Konservativer

Preis- und Lohntaxen zu erlassen, aber die wurden eben den veränderten Ver¬
hältnissen entsprechend immer niedriger, und weder waren die Meister mit den
Preisen, noch die Gesellen mit den Lohnen zufrieden, und gerade auf der Höhe
des Mittelalters rissen die Arbeiterunruhen nicht ab. Meyer selbst gesteht
auch zu, daß die kirchlichen Grundsätze in der Eigentumsverteilung niemals
und nirgends rein und vollständig durchgeführt worden sind, daß der Gro߬
grundbesitz, den ja vor allem auch die Kirche anhäufte, und der Rcntenkauf
schou Formen des Kapitalismus waren, ganz abgesehen von den Geldgeschäften
der italienischen Städte, die schon ganz den modern kapitalistischen Charakter
tragen. Er bemerkt ganz richtig, wenn die kirchlichen Anschauungen Hütten
durchgesetzt werden sollen, so würde es notwendig gewesen sein, ein höchstes
Maß für den Grundbesitz vorzuschreiben. Die Mobilisirung des Besitzes durch
die fortschreitende Geldwirtschaft war es ja dann auch, was dem Kapitalismus
in ganz Europa und in allen Produktionszweigen zum Siege verhalf. Auch
Meyer hebt hervor, wie wir öfter gethan haben, daß die stetig wachsende
Möglichkeit, Überschüsse des Einkommens rentabel anzulegen und dadurch das
Stammvermögen zu vergrößern, dem Reichtum eine ganz andre Bedeutung
verlieh. Der große Herr des Mittelalters hätte, wenn er nicht gerade Kauf¬
mann oder Bankier war, für Ersparnisse keine Verwendung gefunden; er mußte
sein Einkommen verzehren, also Luxus treiben: schöne Bauten errichten -- für
sich oder zu einem gemeinnützigen Zwecke --, sie mit Kunstwerken ausschmücken,
sich und sein zahlreiches Gefolge prächtig kleiden, also die Künste und das
Kunsthandwerk fördern. Als dann das Einkommen immer mehr die Geldform
annahm und die Gelegenheiten zu rentabler Anlage von Überschüssen immer
zahlreicher wurden, sing auch -- zuerst in dem mit geringem Formen- und
Farbensinn begabten Norden -- der vornehme Mann an, sich puritanisch ein¬
fach zu kleiden, und nachdem die Einfachheit des äußern Auftretens einmal in
der vornehmen Welt Mode geworden war -- der über alles Maß steigende
Reichtum in den sechziger Jahren hat bei uns in dieser Beziehung einen Um¬
schlag der Mode zuwege gebracht --, nötigten die dadurch vermehrten Über¬
schüsse zu einer immer stärkern Kapitalisirung.

Meyer geht dann zu Preußen über und beschreibt, wie dieser Staat durch
seinen militärischen Charakter schon von Anfang an gezwungen war, dem Kapi¬
talismus in der bekannten Weise, zunächst durch Bauernschutz, entgegenzu¬
wirken. In neuerer Zeit sei die Regierung vorübergehend schwankend ge¬
worden; sie habe dem Kapitalismus ungebührliche Zugeständnisse gemacht und
ihn in allen seinen Formen, auch in der des reinen Geldgeschäfts, wie die
Gründerzeit beweise, gefördert. Schwierig sei die Lage der Regierung eine
Zeit lang um deswillen gewesen, weil die beiden andern Hauptformen des
Kapitalismus, Industrie und Landwirtschaft, entgegengesetzte Anforderungen an
sie stellten, indem die Großindustriellen Schutzzöllner, die Großgrundbesitzer


Ein unbequemer Konservativer

Preis- und Lohntaxen zu erlassen, aber die wurden eben den veränderten Ver¬
hältnissen entsprechend immer niedriger, und weder waren die Meister mit den
Preisen, noch die Gesellen mit den Lohnen zufrieden, und gerade auf der Höhe
des Mittelalters rissen die Arbeiterunruhen nicht ab. Meyer selbst gesteht
auch zu, daß die kirchlichen Grundsätze in der Eigentumsverteilung niemals
und nirgends rein und vollständig durchgeführt worden sind, daß der Gro߬
grundbesitz, den ja vor allem auch die Kirche anhäufte, und der Rcntenkauf
schou Formen des Kapitalismus waren, ganz abgesehen von den Geldgeschäften
der italienischen Städte, die schon ganz den modern kapitalistischen Charakter
tragen. Er bemerkt ganz richtig, wenn die kirchlichen Anschauungen Hütten
durchgesetzt werden sollen, so würde es notwendig gewesen sein, ein höchstes
Maß für den Grundbesitz vorzuschreiben. Die Mobilisirung des Besitzes durch
die fortschreitende Geldwirtschaft war es ja dann auch, was dem Kapitalismus
in ganz Europa und in allen Produktionszweigen zum Siege verhalf. Auch
Meyer hebt hervor, wie wir öfter gethan haben, daß die stetig wachsende
Möglichkeit, Überschüsse des Einkommens rentabel anzulegen und dadurch das
Stammvermögen zu vergrößern, dem Reichtum eine ganz andre Bedeutung
verlieh. Der große Herr des Mittelalters hätte, wenn er nicht gerade Kauf¬
mann oder Bankier war, für Ersparnisse keine Verwendung gefunden; er mußte
sein Einkommen verzehren, also Luxus treiben: schöne Bauten errichten — für
sich oder zu einem gemeinnützigen Zwecke —, sie mit Kunstwerken ausschmücken,
sich und sein zahlreiches Gefolge prächtig kleiden, also die Künste und das
Kunsthandwerk fördern. Als dann das Einkommen immer mehr die Geldform
annahm und die Gelegenheiten zu rentabler Anlage von Überschüssen immer
zahlreicher wurden, sing auch — zuerst in dem mit geringem Formen- und
Farbensinn begabten Norden — der vornehme Mann an, sich puritanisch ein¬
fach zu kleiden, und nachdem die Einfachheit des äußern Auftretens einmal in
der vornehmen Welt Mode geworden war — der über alles Maß steigende
Reichtum in den sechziger Jahren hat bei uns in dieser Beziehung einen Um¬
schlag der Mode zuwege gebracht —, nötigten die dadurch vermehrten Über¬
schüsse zu einer immer stärkern Kapitalisirung.

Meyer geht dann zu Preußen über und beschreibt, wie dieser Staat durch
seinen militärischen Charakter schon von Anfang an gezwungen war, dem Kapi¬
talismus in der bekannten Weise, zunächst durch Bauernschutz, entgegenzu¬
wirken. In neuerer Zeit sei die Regierung vorübergehend schwankend ge¬
worden; sie habe dem Kapitalismus ungebührliche Zugeständnisse gemacht und
ihn in allen seinen Formen, auch in der des reinen Geldgeschäfts, wie die
Gründerzeit beweise, gefördert. Schwierig sei die Lage der Regierung eine
Zeit lang um deswillen gewesen, weil die beiden andern Hauptformen des
Kapitalismus, Industrie und Landwirtschaft, entgegengesetzte Anforderungen an
sie stellten, indem die Großindustriellen Schutzzöllner, die Großgrundbesitzer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223253"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein unbequemer Konservativer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_913" prev="#ID_912"> Preis- und Lohntaxen zu erlassen, aber die wurden eben den veränderten Ver¬<lb/>
hältnissen entsprechend immer niedriger, und weder waren die Meister mit den<lb/>
Preisen, noch die Gesellen mit den Lohnen zufrieden, und gerade auf der Höhe<lb/>
des Mittelalters rissen die Arbeiterunruhen nicht ab. Meyer selbst gesteht<lb/>
auch zu, daß die kirchlichen Grundsätze in der Eigentumsverteilung niemals<lb/>
und nirgends rein und vollständig durchgeführt worden sind, daß der Gro߬<lb/>
grundbesitz, den ja vor allem auch die Kirche anhäufte, und der Rcntenkauf<lb/>
schou Formen des Kapitalismus waren, ganz abgesehen von den Geldgeschäften<lb/>
der italienischen Städte, die schon ganz den modern kapitalistischen Charakter<lb/>
tragen. Er bemerkt ganz richtig, wenn die kirchlichen Anschauungen Hütten<lb/>
durchgesetzt werden sollen, so würde es notwendig gewesen sein, ein höchstes<lb/>
Maß für den Grundbesitz vorzuschreiben. Die Mobilisirung des Besitzes durch<lb/>
die fortschreitende Geldwirtschaft war es ja dann auch, was dem Kapitalismus<lb/>
in ganz Europa und in allen Produktionszweigen zum Siege verhalf. Auch<lb/>
Meyer hebt hervor, wie wir öfter gethan haben, daß die stetig wachsende<lb/>
Möglichkeit, Überschüsse des Einkommens rentabel anzulegen und dadurch das<lb/>
Stammvermögen zu vergrößern, dem Reichtum eine ganz andre Bedeutung<lb/>
verlieh. Der große Herr des Mittelalters hätte, wenn er nicht gerade Kauf¬<lb/>
mann oder Bankier war, für Ersparnisse keine Verwendung gefunden; er mußte<lb/>
sein Einkommen verzehren, also Luxus treiben: schöne Bauten errichten &#x2014; für<lb/>
sich oder zu einem gemeinnützigen Zwecke &#x2014;, sie mit Kunstwerken ausschmücken,<lb/>
sich und sein zahlreiches Gefolge prächtig kleiden, also die Künste und das<lb/>
Kunsthandwerk fördern. Als dann das Einkommen immer mehr die Geldform<lb/>
annahm und die Gelegenheiten zu rentabler Anlage von Überschüssen immer<lb/>
zahlreicher wurden, sing auch &#x2014; zuerst in dem mit geringem Formen- und<lb/>
Farbensinn begabten Norden &#x2014; der vornehme Mann an, sich puritanisch ein¬<lb/>
fach zu kleiden, und nachdem die Einfachheit des äußern Auftretens einmal in<lb/>
der vornehmen Welt Mode geworden war &#x2014; der über alles Maß steigende<lb/>
Reichtum in den sechziger Jahren hat bei uns in dieser Beziehung einen Um¬<lb/>
schlag der Mode zuwege gebracht &#x2014;, nötigten die dadurch vermehrten Über¬<lb/>
schüsse zu einer immer stärkern Kapitalisirung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_914" next="#ID_915"> Meyer geht dann zu Preußen über und beschreibt, wie dieser Staat durch<lb/>
seinen militärischen Charakter schon von Anfang an gezwungen war, dem Kapi¬<lb/>
talismus in der bekannten Weise, zunächst durch Bauernschutz, entgegenzu¬<lb/>
wirken. In neuerer Zeit sei die Regierung vorübergehend schwankend ge¬<lb/>
worden; sie habe dem Kapitalismus ungebührliche Zugeständnisse gemacht und<lb/>
ihn in allen seinen Formen, auch in der des reinen Geldgeschäfts, wie die<lb/>
Gründerzeit beweise, gefördert. Schwierig sei die Lage der Regierung eine<lb/>
Zeit lang um deswillen gewesen, weil die beiden andern Hauptformen des<lb/>
Kapitalismus, Industrie und Landwirtschaft, entgegengesetzte Anforderungen an<lb/>
sie stellten, indem die Großindustriellen Schutzzöllner, die Großgrundbesitzer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0311] Ein unbequemer Konservativer Preis- und Lohntaxen zu erlassen, aber die wurden eben den veränderten Ver¬ hältnissen entsprechend immer niedriger, und weder waren die Meister mit den Preisen, noch die Gesellen mit den Lohnen zufrieden, und gerade auf der Höhe des Mittelalters rissen die Arbeiterunruhen nicht ab. Meyer selbst gesteht auch zu, daß die kirchlichen Grundsätze in der Eigentumsverteilung niemals und nirgends rein und vollständig durchgeführt worden sind, daß der Gro߬ grundbesitz, den ja vor allem auch die Kirche anhäufte, und der Rcntenkauf schou Formen des Kapitalismus waren, ganz abgesehen von den Geldgeschäften der italienischen Städte, die schon ganz den modern kapitalistischen Charakter tragen. Er bemerkt ganz richtig, wenn die kirchlichen Anschauungen Hütten durchgesetzt werden sollen, so würde es notwendig gewesen sein, ein höchstes Maß für den Grundbesitz vorzuschreiben. Die Mobilisirung des Besitzes durch die fortschreitende Geldwirtschaft war es ja dann auch, was dem Kapitalismus in ganz Europa und in allen Produktionszweigen zum Siege verhalf. Auch Meyer hebt hervor, wie wir öfter gethan haben, daß die stetig wachsende Möglichkeit, Überschüsse des Einkommens rentabel anzulegen und dadurch das Stammvermögen zu vergrößern, dem Reichtum eine ganz andre Bedeutung verlieh. Der große Herr des Mittelalters hätte, wenn er nicht gerade Kauf¬ mann oder Bankier war, für Ersparnisse keine Verwendung gefunden; er mußte sein Einkommen verzehren, also Luxus treiben: schöne Bauten errichten — für sich oder zu einem gemeinnützigen Zwecke —, sie mit Kunstwerken ausschmücken, sich und sein zahlreiches Gefolge prächtig kleiden, also die Künste und das Kunsthandwerk fördern. Als dann das Einkommen immer mehr die Geldform annahm und die Gelegenheiten zu rentabler Anlage von Überschüssen immer zahlreicher wurden, sing auch — zuerst in dem mit geringem Formen- und Farbensinn begabten Norden — der vornehme Mann an, sich puritanisch ein¬ fach zu kleiden, und nachdem die Einfachheit des äußern Auftretens einmal in der vornehmen Welt Mode geworden war — der über alles Maß steigende Reichtum in den sechziger Jahren hat bei uns in dieser Beziehung einen Um¬ schlag der Mode zuwege gebracht —, nötigten die dadurch vermehrten Über¬ schüsse zu einer immer stärkern Kapitalisirung. Meyer geht dann zu Preußen über und beschreibt, wie dieser Staat durch seinen militärischen Charakter schon von Anfang an gezwungen war, dem Kapi¬ talismus in der bekannten Weise, zunächst durch Bauernschutz, entgegenzu¬ wirken. In neuerer Zeit sei die Regierung vorübergehend schwankend ge¬ worden; sie habe dem Kapitalismus ungebührliche Zugeständnisse gemacht und ihn in allen seinen Formen, auch in der des reinen Geldgeschäfts, wie die Gründerzeit beweise, gefördert. Schwierig sei die Lage der Regierung eine Zeit lang um deswillen gewesen, weil die beiden andern Hauptformen des Kapitalismus, Industrie und Landwirtschaft, entgegengesetzte Anforderungen an sie stellten, indem die Großindustriellen Schutzzöllner, die Großgrundbesitzer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/311
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/311>, abgerufen am 01.09.2024.