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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Ein unbequemer Konservativer

oktor Rudolf Meyer hat um das Jahr 1870 herum mit Rod-
bertus und dem Kreuzzeitungs-Wagener zusammen die Politik
betrieben, die er heute noch für die allein und wahrhaft kon¬
servative hält, ist dann 1877 wegen der Schrift: "Politische
Gründer und die Korruption in Deutschland" zu Gefängnis ver¬
urteilt worden, hat sich der Strafe durch die Flucht nach der Schweiz, dann
nach Osterreich entzogen, ein paar Jahre in Amerika zugebracht, die dortige
Landwirtschaft in eigner Praxis kennen gelernt und seit 1889 abwechselnd in
Österreich und in Frankreich gelebt. In Österreich hat er zu mehreren Staats¬
männern, namentlich dem Grafen Belcredi, und mit der konservativ-ultramon¬
tanen Presse Beziehungen angeknüpft. Zur konservativen Presse des deutschen
Reichs konnte er kein Verhältnis mehr gewinnen, weil die konservative Partei
Preußens gerade in dem Jahre, wo Meyer das Vaterland verließ, eine große
Schwenkung gemacht hatte, während er der alte geblieben war. Er veröffent¬
lichte einige Aufsätze in den Historisch-Politischen Blättern -- mit der Germania
hatte er schon vor 1877 in Verbindung gestanden -- und dann, weil er, wie
es scheint, auch von den Katholiken als ein unsichrer Kantonist abgestoßen
wurde, in der sozialdemokratischen Neuen Zeit. Dadurch machte er sich nach
unsern deutscheu litterarischen Sitten für die "gute" Gesellschaft und die "gute"
Presse unmöglich, und man hatte in diesen Kreisen einen willkommnen Grund,
ein sehr unbequemes Buch, das er vor zwei Jahren herausgab, unbeachtet zu
lassen. Allein diese unsre spießbürgerlichen Sitten sind für die geistige Ent¬
wicklung Deutschlands sehr nachteilig, weil sie Gedanken und Thatsachen, deren
Kenntnis, Erwägung und Beachtung sür das Vaterland notwendig ist, aus
dem Gesichtskreise gerade der Einflußreichsten unter den Gebildeten verbannen.
Wir wollen deshalb das Buch Meyers und zwei weitere, die er seitdem noch
herausgegeben hat, *) einer Besprechung unterziehen. In vielen Stücken kommt



Der Kapitalismus ein as siöols. -- Das Sinken der Grundrente und
dessen mögliche soziale und politische Folgen. -- Hundert Jahre konservativer Politik
und Litteratur. I. Litteratur. Alle drei bei Franz Doll (Verlagsbuchhandlung Austria),
Wien und Leipzig; die beiden ersten 1394, das dritte ohne Jahreszahl.


Ein unbequemer Konservativer

oktor Rudolf Meyer hat um das Jahr 1870 herum mit Rod-
bertus und dem Kreuzzeitungs-Wagener zusammen die Politik
betrieben, die er heute noch für die allein und wahrhaft kon¬
servative hält, ist dann 1877 wegen der Schrift: „Politische
Gründer und die Korruption in Deutschland" zu Gefängnis ver¬
urteilt worden, hat sich der Strafe durch die Flucht nach der Schweiz, dann
nach Osterreich entzogen, ein paar Jahre in Amerika zugebracht, die dortige
Landwirtschaft in eigner Praxis kennen gelernt und seit 1889 abwechselnd in
Österreich und in Frankreich gelebt. In Österreich hat er zu mehreren Staats¬
männern, namentlich dem Grafen Belcredi, und mit der konservativ-ultramon¬
tanen Presse Beziehungen angeknüpft. Zur konservativen Presse des deutschen
Reichs konnte er kein Verhältnis mehr gewinnen, weil die konservative Partei
Preußens gerade in dem Jahre, wo Meyer das Vaterland verließ, eine große
Schwenkung gemacht hatte, während er der alte geblieben war. Er veröffent¬
lichte einige Aufsätze in den Historisch-Politischen Blättern — mit der Germania
hatte er schon vor 1877 in Verbindung gestanden — und dann, weil er, wie
es scheint, auch von den Katholiken als ein unsichrer Kantonist abgestoßen
wurde, in der sozialdemokratischen Neuen Zeit. Dadurch machte er sich nach
unsern deutscheu litterarischen Sitten für die „gute" Gesellschaft und die „gute"
Presse unmöglich, und man hatte in diesen Kreisen einen willkommnen Grund,
ein sehr unbequemes Buch, das er vor zwei Jahren herausgab, unbeachtet zu
lassen. Allein diese unsre spießbürgerlichen Sitten sind für die geistige Ent¬
wicklung Deutschlands sehr nachteilig, weil sie Gedanken und Thatsachen, deren
Kenntnis, Erwägung und Beachtung sür das Vaterland notwendig ist, aus
dem Gesichtskreise gerade der Einflußreichsten unter den Gebildeten verbannen.
Wir wollen deshalb das Buch Meyers und zwei weitere, die er seitdem noch
herausgegeben hat, *) einer Besprechung unterziehen. In vielen Stücken kommt



Der Kapitalismus ein as siöols. — Das Sinken der Grundrente und
dessen mögliche soziale und politische Folgen. — Hundert Jahre konservativer Politik
und Litteratur. I. Litteratur. Alle drei bei Franz Doll (Verlagsbuchhandlung Austria),
Wien und Leipzig; die beiden ersten 1394, das dritte ohne Jahreszahl.
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[0308] [Abbildung] Ein unbequemer Konservativer oktor Rudolf Meyer hat um das Jahr 1870 herum mit Rod- bertus und dem Kreuzzeitungs-Wagener zusammen die Politik betrieben, die er heute noch für die allein und wahrhaft kon¬ servative hält, ist dann 1877 wegen der Schrift: „Politische Gründer und die Korruption in Deutschland" zu Gefängnis ver¬ urteilt worden, hat sich der Strafe durch die Flucht nach der Schweiz, dann nach Osterreich entzogen, ein paar Jahre in Amerika zugebracht, die dortige Landwirtschaft in eigner Praxis kennen gelernt und seit 1889 abwechselnd in Österreich und in Frankreich gelebt. In Österreich hat er zu mehreren Staats¬ männern, namentlich dem Grafen Belcredi, und mit der konservativ-ultramon¬ tanen Presse Beziehungen angeknüpft. Zur konservativen Presse des deutschen Reichs konnte er kein Verhältnis mehr gewinnen, weil die konservative Partei Preußens gerade in dem Jahre, wo Meyer das Vaterland verließ, eine große Schwenkung gemacht hatte, während er der alte geblieben war. Er veröffent¬ lichte einige Aufsätze in den Historisch-Politischen Blättern — mit der Germania hatte er schon vor 1877 in Verbindung gestanden — und dann, weil er, wie es scheint, auch von den Katholiken als ein unsichrer Kantonist abgestoßen wurde, in der sozialdemokratischen Neuen Zeit. Dadurch machte er sich nach unsern deutscheu litterarischen Sitten für die „gute" Gesellschaft und die „gute" Presse unmöglich, und man hatte in diesen Kreisen einen willkommnen Grund, ein sehr unbequemes Buch, das er vor zwei Jahren herausgab, unbeachtet zu lassen. Allein diese unsre spießbürgerlichen Sitten sind für die geistige Ent¬ wicklung Deutschlands sehr nachteilig, weil sie Gedanken und Thatsachen, deren Kenntnis, Erwägung und Beachtung sür das Vaterland notwendig ist, aus dem Gesichtskreise gerade der Einflußreichsten unter den Gebildeten verbannen. Wir wollen deshalb das Buch Meyers und zwei weitere, die er seitdem noch herausgegeben hat, *) einer Besprechung unterziehen. In vielen Stücken kommt Der Kapitalismus ein as siöols. — Das Sinken der Grundrente und dessen mögliche soziale und politische Folgen. — Hundert Jahre konservativer Politik und Litteratur. I. Litteratur. Alle drei bei Franz Doll (Verlagsbuchhandlung Austria), Wien und Leipzig; die beiden ersten 1394, das dritte ohne Jahreszahl.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/308>, abgerufen am 01.09.2024.