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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Monopolisirung des Bankwesens

geblieben ist, und daß für die schließliche Stellungnahme in dieser Frage das
dunkle Gefühl entscheidend war, daß die Börse, die, ungeachtet ihrer Kassandra¬
rufe die bisherigen Gesetze überstanden habe, auch an der neuen Reform nicht
zu Grunde gehen werde. Daß ein solcher Umstand eine so hervorragende
Bedeutung für das Zustandekommen des Gesetzes erlangen konnte, spricht nicht
gerade für die Vortrefflichkeit des Gesetzes. Denn der Gesetzgeber soll seine
Entschließungen in unbefangner Würdigung der bestehenden Verhältnisse fassen,
ohne Rücksicht auf irgend welche Äußerlichkeiten oder zufälligen Erscheinungen.
Nun weiß aber jeder Kenner der Verhältnisse, daß die erhöhte Börsensteuer
und die neue Reform in Bezug auf ihre Bedeutung für die Börse überhaupt
nicht in einem Atem genannt werden können. Bei der Erhöhung der Börsen¬
steuern handelte es sich lediglich um eine Geldfrage, es mußte sür die
Verteilung dieser Steuern unter den verschiednen Interessenten ein Modus
gefunden werden; bei der Börsenreform aber sind Neuerungen geschaffen
worden, die eine tief eingreifende Wirkung auf den ganzen Organismus der
Börse haben. Hätte man sich die Tragweite dieser Maßnahmen völlig klar
gemacht, so hätte man doch vielleicht damit gezögert, ihnen Gesetzeskraft zu
geben. Denn diese Maßnahmen sind nur ein weiterer Schritt auf dem Wege,
den das Bank- und Börsenwesen seit Jahren eingeschlagen -hat, und haben
vor allem die Wirkung, den Monopolisirungsprozeß zu beschleunigen, der
diese Zweige des Erwerbslebens in der neuern Zeit ergriffen hat.

Es gab einmal eine Zeit, da war der sogenannte "mittlere Bankier" un¬
umschränkter Herrscher aus seinem Gebiete; das Geschäft konzentrirte sich haupt¬
sächlich in seinen Händen. Das Bankgeschäft war bei weitem nicht so "gro߬
artig" wie heute, aber jedenfalls nicht minder solid, und der Kommissionär
erhielt eine Gebühr, die der Mühewaltung und Verantwortlichkeit, die mit
solchen Geschäften verknüpft sind, angemessen war. Aber mit der Entwicklung
unsrer sozialen Verhältnisse haben auch die Dinge im Bankwesen ein wesentlich
verändertes Aussehen erhalten; der "mittlere" Bankier, bis dahin der Allein¬
herrscher aus seinem Gebiete, wurde auf der einen Seite hart bedrängt von
den Großbanken, auf der andern Seite von dem Bankproletariat, das dem
soliden Bankier mehr und mehr das Feld abgrub. Infolge der immer größer
werdenden Konkurrenz sanken die Kommissionsgebühren immer tiefer herab,
und gegenwärtig sind sie so niedrig geworden, daß es auf den ersten Blick
klar ist, daß die Existenzfähigkeit einer großen Anzahl solcher Kommissionäre
auf eine andre Einnahmequelle zurückzuführen sein muß. Diese Einnahmequelle
aber ist in vielen Fällen der sogenannte Kursschnitt, der unter den jetzigen
Verhältnissen eine versteckte Kommissionsgebühr bildet, und der das Bedenkliche
hat, daß er außerhalb der Vertragsbedingungen liegt. Alle Versuche, diese
Entwicklung zurückzuschrauben und wieder angemessene Kommissionsgebühren ein¬
zuführen, scheiterten teils an der Uneinigkeit der Interessenten, teils auch an


Die Monopolisirung des Bankwesens

geblieben ist, und daß für die schließliche Stellungnahme in dieser Frage das
dunkle Gefühl entscheidend war, daß die Börse, die, ungeachtet ihrer Kassandra¬
rufe die bisherigen Gesetze überstanden habe, auch an der neuen Reform nicht
zu Grunde gehen werde. Daß ein solcher Umstand eine so hervorragende
Bedeutung für das Zustandekommen des Gesetzes erlangen konnte, spricht nicht
gerade für die Vortrefflichkeit des Gesetzes. Denn der Gesetzgeber soll seine
Entschließungen in unbefangner Würdigung der bestehenden Verhältnisse fassen,
ohne Rücksicht auf irgend welche Äußerlichkeiten oder zufälligen Erscheinungen.
Nun weiß aber jeder Kenner der Verhältnisse, daß die erhöhte Börsensteuer
und die neue Reform in Bezug auf ihre Bedeutung für die Börse überhaupt
nicht in einem Atem genannt werden können. Bei der Erhöhung der Börsen¬
steuern handelte es sich lediglich um eine Geldfrage, es mußte sür die
Verteilung dieser Steuern unter den verschiednen Interessenten ein Modus
gefunden werden; bei der Börsenreform aber sind Neuerungen geschaffen
worden, die eine tief eingreifende Wirkung auf den ganzen Organismus der
Börse haben. Hätte man sich die Tragweite dieser Maßnahmen völlig klar
gemacht, so hätte man doch vielleicht damit gezögert, ihnen Gesetzeskraft zu
geben. Denn diese Maßnahmen sind nur ein weiterer Schritt auf dem Wege,
den das Bank- und Börsenwesen seit Jahren eingeschlagen -hat, und haben
vor allem die Wirkung, den Monopolisirungsprozeß zu beschleunigen, der
diese Zweige des Erwerbslebens in der neuern Zeit ergriffen hat.

Es gab einmal eine Zeit, da war der sogenannte „mittlere Bankier" un¬
umschränkter Herrscher aus seinem Gebiete; das Geschäft konzentrirte sich haupt¬
sächlich in seinen Händen. Das Bankgeschäft war bei weitem nicht so „gro߬
artig" wie heute, aber jedenfalls nicht minder solid, und der Kommissionär
erhielt eine Gebühr, die der Mühewaltung und Verantwortlichkeit, die mit
solchen Geschäften verknüpft sind, angemessen war. Aber mit der Entwicklung
unsrer sozialen Verhältnisse haben auch die Dinge im Bankwesen ein wesentlich
verändertes Aussehen erhalten; der „mittlere" Bankier, bis dahin der Allein¬
herrscher aus seinem Gebiete, wurde auf der einen Seite hart bedrängt von
den Großbanken, auf der andern Seite von dem Bankproletariat, das dem
soliden Bankier mehr und mehr das Feld abgrub. Infolge der immer größer
werdenden Konkurrenz sanken die Kommissionsgebühren immer tiefer herab,
und gegenwärtig sind sie so niedrig geworden, daß es auf den ersten Blick
klar ist, daß die Existenzfähigkeit einer großen Anzahl solcher Kommissionäre
auf eine andre Einnahmequelle zurückzuführen sein muß. Diese Einnahmequelle
aber ist in vielen Fällen der sogenannte Kursschnitt, der unter den jetzigen
Verhältnissen eine versteckte Kommissionsgebühr bildet, und der das Bedenkliche
hat, daß er außerhalb der Vertragsbedingungen liegt. Alle Versuche, diese
Entwicklung zurückzuschrauben und wieder angemessene Kommissionsgebühren ein¬
zuführen, scheiterten teils an der Uneinigkeit der Interessenten, teils auch an


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[0304] Die Monopolisirung des Bankwesens geblieben ist, und daß für die schließliche Stellungnahme in dieser Frage das dunkle Gefühl entscheidend war, daß die Börse, die, ungeachtet ihrer Kassandra¬ rufe die bisherigen Gesetze überstanden habe, auch an der neuen Reform nicht zu Grunde gehen werde. Daß ein solcher Umstand eine so hervorragende Bedeutung für das Zustandekommen des Gesetzes erlangen konnte, spricht nicht gerade für die Vortrefflichkeit des Gesetzes. Denn der Gesetzgeber soll seine Entschließungen in unbefangner Würdigung der bestehenden Verhältnisse fassen, ohne Rücksicht auf irgend welche Äußerlichkeiten oder zufälligen Erscheinungen. Nun weiß aber jeder Kenner der Verhältnisse, daß die erhöhte Börsensteuer und die neue Reform in Bezug auf ihre Bedeutung für die Börse überhaupt nicht in einem Atem genannt werden können. Bei der Erhöhung der Börsen¬ steuern handelte es sich lediglich um eine Geldfrage, es mußte sür die Verteilung dieser Steuern unter den verschiednen Interessenten ein Modus gefunden werden; bei der Börsenreform aber sind Neuerungen geschaffen worden, die eine tief eingreifende Wirkung auf den ganzen Organismus der Börse haben. Hätte man sich die Tragweite dieser Maßnahmen völlig klar gemacht, so hätte man doch vielleicht damit gezögert, ihnen Gesetzeskraft zu geben. Denn diese Maßnahmen sind nur ein weiterer Schritt auf dem Wege, den das Bank- und Börsenwesen seit Jahren eingeschlagen -hat, und haben vor allem die Wirkung, den Monopolisirungsprozeß zu beschleunigen, der diese Zweige des Erwerbslebens in der neuern Zeit ergriffen hat. Es gab einmal eine Zeit, da war der sogenannte „mittlere Bankier" un¬ umschränkter Herrscher aus seinem Gebiete; das Geschäft konzentrirte sich haupt¬ sächlich in seinen Händen. Das Bankgeschäft war bei weitem nicht so „gro߬ artig" wie heute, aber jedenfalls nicht minder solid, und der Kommissionär erhielt eine Gebühr, die der Mühewaltung und Verantwortlichkeit, die mit solchen Geschäften verknüpft sind, angemessen war. Aber mit der Entwicklung unsrer sozialen Verhältnisse haben auch die Dinge im Bankwesen ein wesentlich verändertes Aussehen erhalten; der „mittlere" Bankier, bis dahin der Allein¬ herrscher aus seinem Gebiete, wurde auf der einen Seite hart bedrängt von den Großbanken, auf der andern Seite von dem Bankproletariat, das dem soliden Bankier mehr und mehr das Feld abgrub. Infolge der immer größer werdenden Konkurrenz sanken die Kommissionsgebühren immer tiefer herab, und gegenwärtig sind sie so niedrig geworden, daß es auf den ersten Blick klar ist, daß die Existenzfähigkeit einer großen Anzahl solcher Kommissionäre auf eine andre Einnahmequelle zurückzuführen sein muß. Diese Einnahmequelle aber ist in vielen Fällen der sogenannte Kursschnitt, der unter den jetzigen Verhältnissen eine versteckte Kommissionsgebühr bildet, und der das Bedenkliche hat, daß er außerhalb der Vertragsbedingungen liegt. Alle Versuche, diese Entwicklung zurückzuschrauben und wieder angemessene Kommissionsgebühren ein¬ zuführen, scheiterten teils an der Uneinigkeit der Interessenten, teils auch an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/304>, abgerufen am 01.09.2024.