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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

heitsdienstes, ihres Strebens nach reiner Poesie unterließen die Münchner
selbstverständlich nicht, den Kampf gegen die ihnen feindlichen und unsym¬
pathischen Richtungen mit den hergebrachten Waffen zu führen, und als Schütz¬
linge eines Königs und Schutzverwandte Cvttas und der Allgemeinen Zeitung
verfügten sie über eine große Macht, sodaß sie bald zu Herrschern auf dem
Gebiete der Litteratur wurden, zumal da ihnen die von Freytag und kritisch
von Julian Schmidt vertretne Richtung, die zwar andre, realistische Tendenzen,
aber dieselben Gegner hatte, zu Hilfe kam. Als Gutzkow unter den Streichen
Julian Schmidts anscheinend dahinsank, da war auch in München große
Freude, und zu Hebbel haben sich die Münchner im allgemeinen nicht anders
gestellt als Auerbach und Genüssen, die ihn, und sie wußten wohl, warum,
nicht vertragen konnten; sie haben ihn gefürchtet, gehaßt und verfolgt, obwohl
er ihnen gewiß nicht zu nahe getreten ist, wenn er auch an ihren hübschen
Sachen nicht gerade viel Freude gehabt haben wird. Paul Heyse darf den
Ruhm für sich in Anspruch nehmen, eine ungünstige Kritik der reifsten Gedicht¬
sammlung Hebbels geschrieben zu haben; von ihm stammt auch das famose
Epigramm von der "gcihrenden Phantasie, die unter dem Eise brütet," das
mau früher immer zitirte, wenn man von Hebbel nichts kannte. Nun, wer
wollte es Paul Hause übelnehmen, daß es ihm entging, daß zur geistigen
Bewältigung der heutigen Weltzustände die zersetzende Reflexion leider ebenso
nötig war, wie zu ihrer Darstellung eine so gewaltige Naturkraft wie die
Hebbels, auch daß der Dichter nach und nach die Ausgleichung und eine
Schönheit erreichte, die freilich nicht so zu Tage liegt wie die Münchner. Ich
würde diese Dinge gar nicht erwähnen, wenn sie nicht wirklich charaktristische
sür die Münchner wären. Wer wollte leugnen, daß es gute Gesellen waren?
Aber sie sind immer mit dem Strom gezogen und haben vor dem Erfolg den
größten Respekt gehabt, so großen, daß sie, als sich später schlechte Elemente
in Deutschland seiner bemächtigten, zum Teil selbst mit diesen auskamen.
Hebbel und Gutzkow haben sie augegriffen, Lindau und Blumenthal, so viel
ich weiß, nicht. Aber ich schreibe ja keine Anklageschrift, und ein deutscher
Dichter hat am Ende besseres zu thun, als den Parnaß zu säubern. Um
1860 herum, das behaupte ich hier der jetzt herrschenden Meinung entgegen,
hatten die Münchner volles Lebensrecht; sie brachten die Poesie, die das
deutsche Bürgertum brauchte, um sich in seiner Haut und in seinem Hanse
behaglich zu fühlen, sie standen auf der Höhe der deutschen Kultur und gaben
dieser nach der poetischen Seite hin die Form -- was eigentlich keine littera¬
rische Richtung vor ihnen vermocht hatte, nicht einmal die klassische Dichtung,
die auf ausgewählte Kreise beschränkt bleiben mußte. Kein Geringerer als
Karl Goedecke hat dies übrigens anerkannt, indem er hervorhob, daß seit der
Reformation keine Poesie im Volke einen so breiten Boden gewonnen habe
wie die der Münchner; nur hätte er dies "Volk" als das charakterisiren sollen,


Die Alten und die Jungen

heitsdienstes, ihres Strebens nach reiner Poesie unterließen die Münchner
selbstverständlich nicht, den Kampf gegen die ihnen feindlichen und unsym¬
pathischen Richtungen mit den hergebrachten Waffen zu führen, und als Schütz¬
linge eines Königs und Schutzverwandte Cvttas und der Allgemeinen Zeitung
verfügten sie über eine große Macht, sodaß sie bald zu Herrschern auf dem
Gebiete der Litteratur wurden, zumal da ihnen die von Freytag und kritisch
von Julian Schmidt vertretne Richtung, die zwar andre, realistische Tendenzen,
aber dieselben Gegner hatte, zu Hilfe kam. Als Gutzkow unter den Streichen
Julian Schmidts anscheinend dahinsank, da war auch in München große
Freude, und zu Hebbel haben sich die Münchner im allgemeinen nicht anders
gestellt als Auerbach und Genüssen, die ihn, und sie wußten wohl, warum,
nicht vertragen konnten; sie haben ihn gefürchtet, gehaßt und verfolgt, obwohl
er ihnen gewiß nicht zu nahe getreten ist, wenn er auch an ihren hübschen
Sachen nicht gerade viel Freude gehabt haben wird. Paul Heyse darf den
Ruhm für sich in Anspruch nehmen, eine ungünstige Kritik der reifsten Gedicht¬
sammlung Hebbels geschrieben zu haben; von ihm stammt auch das famose
Epigramm von der „gcihrenden Phantasie, die unter dem Eise brütet," das
mau früher immer zitirte, wenn man von Hebbel nichts kannte. Nun, wer
wollte es Paul Hause übelnehmen, daß es ihm entging, daß zur geistigen
Bewältigung der heutigen Weltzustände die zersetzende Reflexion leider ebenso
nötig war, wie zu ihrer Darstellung eine so gewaltige Naturkraft wie die
Hebbels, auch daß der Dichter nach und nach die Ausgleichung und eine
Schönheit erreichte, die freilich nicht so zu Tage liegt wie die Münchner. Ich
würde diese Dinge gar nicht erwähnen, wenn sie nicht wirklich charaktristische
sür die Münchner wären. Wer wollte leugnen, daß es gute Gesellen waren?
Aber sie sind immer mit dem Strom gezogen und haben vor dem Erfolg den
größten Respekt gehabt, so großen, daß sie, als sich später schlechte Elemente
in Deutschland seiner bemächtigten, zum Teil selbst mit diesen auskamen.
Hebbel und Gutzkow haben sie augegriffen, Lindau und Blumenthal, so viel
ich weiß, nicht. Aber ich schreibe ja keine Anklageschrift, und ein deutscher
Dichter hat am Ende besseres zu thun, als den Parnaß zu säubern. Um
1860 herum, das behaupte ich hier der jetzt herrschenden Meinung entgegen,
hatten die Münchner volles Lebensrecht; sie brachten die Poesie, die das
deutsche Bürgertum brauchte, um sich in seiner Haut und in seinem Hanse
behaglich zu fühlen, sie standen auf der Höhe der deutschen Kultur und gaben
dieser nach der poetischen Seite hin die Form — was eigentlich keine littera¬
rische Richtung vor ihnen vermocht hatte, nicht einmal die klassische Dichtung,
die auf ausgewählte Kreise beschränkt bleiben mußte. Kein Geringerer als
Karl Goedecke hat dies übrigens anerkannt, indem er hervorhob, daß seit der
Reformation keine Poesie im Volke einen so breiten Boden gewonnen habe
wie die der Münchner; nur hätte er dies „Volk" als das charakterisiren sollen,


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[0283] Die Alten und die Jungen heitsdienstes, ihres Strebens nach reiner Poesie unterließen die Münchner selbstverständlich nicht, den Kampf gegen die ihnen feindlichen und unsym¬ pathischen Richtungen mit den hergebrachten Waffen zu führen, und als Schütz¬ linge eines Königs und Schutzverwandte Cvttas und der Allgemeinen Zeitung verfügten sie über eine große Macht, sodaß sie bald zu Herrschern auf dem Gebiete der Litteratur wurden, zumal da ihnen die von Freytag und kritisch von Julian Schmidt vertretne Richtung, die zwar andre, realistische Tendenzen, aber dieselben Gegner hatte, zu Hilfe kam. Als Gutzkow unter den Streichen Julian Schmidts anscheinend dahinsank, da war auch in München große Freude, und zu Hebbel haben sich die Münchner im allgemeinen nicht anders gestellt als Auerbach und Genüssen, die ihn, und sie wußten wohl, warum, nicht vertragen konnten; sie haben ihn gefürchtet, gehaßt und verfolgt, obwohl er ihnen gewiß nicht zu nahe getreten ist, wenn er auch an ihren hübschen Sachen nicht gerade viel Freude gehabt haben wird. Paul Heyse darf den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, eine ungünstige Kritik der reifsten Gedicht¬ sammlung Hebbels geschrieben zu haben; von ihm stammt auch das famose Epigramm von der „gcihrenden Phantasie, die unter dem Eise brütet," das mau früher immer zitirte, wenn man von Hebbel nichts kannte. Nun, wer wollte es Paul Hause übelnehmen, daß es ihm entging, daß zur geistigen Bewältigung der heutigen Weltzustände die zersetzende Reflexion leider ebenso nötig war, wie zu ihrer Darstellung eine so gewaltige Naturkraft wie die Hebbels, auch daß der Dichter nach und nach die Ausgleichung und eine Schönheit erreichte, die freilich nicht so zu Tage liegt wie die Münchner. Ich würde diese Dinge gar nicht erwähnen, wenn sie nicht wirklich charaktristische sür die Münchner wären. Wer wollte leugnen, daß es gute Gesellen waren? Aber sie sind immer mit dem Strom gezogen und haben vor dem Erfolg den größten Respekt gehabt, so großen, daß sie, als sich später schlechte Elemente in Deutschland seiner bemächtigten, zum Teil selbst mit diesen auskamen. Hebbel und Gutzkow haben sie augegriffen, Lindau und Blumenthal, so viel ich weiß, nicht. Aber ich schreibe ja keine Anklageschrift, und ein deutscher Dichter hat am Ende besseres zu thun, als den Parnaß zu säubern. Um 1860 herum, das behaupte ich hier der jetzt herrschenden Meinung entgegen, hatten die Münchner volles Lebensrecht; sie brachten die Poesie, die das deutsche Bürgertum brauchte, um sich in seiner Haut und in seinem Hanse behaglich zu fühlen, sie standen auf der Höhe der deutschen Kultur und gaben dieser nach der poetischen Seite hin die Form — was eigentlich keine littera¬ rische Richtung vor ihnen vermocht hatte, nicht einmal die klassische Dichtung, die auf ausgewählte Kreise beschränkt bleiben mußte. Kein Geringerer als Karl Goedecke hat dies übrigens anerkannt, indem er hervorhob, daß seit der Reformation keine Poesie im Volke einen so breiten Boden gewonnen habe wie die der Münchner; nur hätte er dies „Volk" als das charakterisiren sollen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/283>, abgerufen am 27.11.2024.