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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Leipziger Pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts

Landen nehmen wolle, er sich mis ^.Avnt einer heimlichen und gleichwvhlu
öffentliches Aufsehen erregenden und suchenden Gesellschaft, dergleichen eS zu
Beförderung wahrer Aufklärung nicht bedürfe, nicht gebrauchen lassen, auch
der fernern Ausstreuung solcher Schriften, die auf abgedachte oder irgend eine
andre dergleichen Gesellschaft einige Beziehung hätten, bei Strafe enthalten
solle." Als ihn aber der Bürgermeister am 14. August aufs Rathaus rufen
ließ, um ihm diese Verfügung zu eröffnen, kam er nicht, sondern ließ sagen: er
habe auf dem Rathause nichts zu thun. Er war ja immer noch "Academiens"!
Seine Exmatrikulation war zwar auf deu 8. August festgesetzt gewesen, aber
um hatte wieder Walther dagegen appellirt, und so stand Pott immer noch
nnter der Gerichtsbarkeit der Universität.

Am nächsten Tage verließ er mit Walther zusammen Leipzig, angeblich
um nach Wien zu fahren, von wo sie unter vier bis sechs Wochen nicht zurück¬
kommen würden, und überließen ihrem Markthelfer die Führung des Ladens.
Da machte der Rat kurzen Prozeß und ließ den Laden für die Dauer ihrer Ab¬
wesenheit schließen. Hiervon erhielten sie in Dresden Nachricht und reichten sofort
eine Beschwerde bei der Negierung ein, auf die der Rat im November Bericht
erstattete. Aber noch war dieser Bericht nicht nach Dresden abgegangen, so trat
abermals eine unerwartete Wendung ein: im November 1789 stellte der preußische
Gesandte in Dresden auf Ansuchen Bahrdts bei der sächsischen Regierung den
Antrag, Pott zu verhaften, weil er "Bahrdts Tochter verführet und mit selbiger
nach Wien zu gehen Willens sei, auch Mittel gefunden habe, sich dessen Hand¬
schriften zu bemächtigen." Darauf wurde endlich Pott am 24. November 1789
verhaftet. Er wohnte jetzt auf der Neichsstraße bei der Mutter seines Kom¬
pagnon, der Frau Kommerzienrat Walther. Man überraschte ihn beim
Mittagessen; in einer harmlosen Schneiderstöchter aus Leipzig, der "Siever-
mannin," die bei der Fran Kommerzienrütin Gesellschafterin war und mit bei
Tische saß, glaubte man Bahrdts Tochter zu erwischen, sie wurde daher eben¬
falls mit aufs Rathaus genommen. Der Irrtum stellte sich aber bald heraus:
gleich bei seiner ersten Vernehmung erklärte Pott, Bahrdt müsse "im Gefäng¬
nisse schwach am Verstände geworden sein," er habe allerdings zwei Tochter,
aber beide seien "noch Kinder und nicht mannbar," eine sei etwa vierzehn, die
andre elf Jahre alt. Das Gerücht von der Entführung war dadurch ent¬
standen, daß man die ältere Tochter in Halle vermißt hatte; sie hatte sich aber
nur aufgemacht, um zu ihrem Vater ins Gefängnis nach Magdeburg zu gehen.
Unter den Schriftstücken, die bei Pott vorgefunden und ihm weggenommen
worden waren, war auch der Anfang zu einer Fortsetzung des "Goldsitz Su-
seka," von Poets Hand geschrieben!

Bei weitern Vernehmungen vor dem Stadtgericht, an das die Sache
nun abgegeben wurdet bekannte Pott, daßl er mit Bahrdt ausgemacht habe,
dessen Biographie zu schreiben. Bahrdt habe sie erst selber schreiben wollen;


Leipziger Pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts

Landen nehmen wolle, er sich mis ^.Avnt einer heimlichen und gleichwvhlu
öffentliches Aufsehen erregenden und suchenden Gesellschaft, dergleichen eS zu
Beförderung wahrer Aufklärung nicht bedürfe, nicht gebrauchen lassen, auch
der fernern Ausstreuung solcher Schriften, die auf abgedachte oder irgend eine
andre dergleichen Gesellschaft einige Beziehung hätten, bei Strafe enthalten
solle." Als ihn aber der Bürgermeister am 14. August aufs Rathaus rufen
ließ, um ihm diese Verfügung zu eröffnen, kam er nicht, sondern ließ sagen: er
habe auf dem Rathause nichts zu thun. Er war ja immer noch „Academiens"!
Seine Exmatrikulation war zwar auf deu 8. August festgesetzt gewesen, aber
um hatte wieder Walther dagegen appellirt, und so stand Pott immer noch
nnter der Gerichtsbarkeit der Universität.

Am nächsten Tage verließ er mit Walther zusammen Leipzig, angeblich
um nach Wien zu fahren, von wo sie unter vier bis sechs Wochen nicht zurück¬
kommen würden, und überließen ihrem Markthelfer die Führung des Ladens.
Da machte der Rat kurzen Prozeß und ließ den Laden für die Dauer ihrer Ab¬
wesenheit schließen. Hiervon erhielten sie in Dresden Nachricht und reichten sofort
eine Beschwerde bei der Negierung ein, auf die der Rat im November Bericht
erstattete. Aber noch war dieser Bericht nicht nach Dresden abgegangen, so trat
abermals eine unerwartete Wendung ein: im November 1789 stellte der preußische
Gesandte in Dresden auf Ansuchen Bahrdts bei der sächsischen Regierung den
Antrag, Pott zu verhaften, weil er „Bahrdts Tochter verführet und mit selbiger
nach Wien zu gehen Willens sei, auch Mittel gefunden habe, sich dessen Hand¬
schriften zu bemächtigen." Darauf wurde endlich Pott am 24. November 1789
verhaftet. Er wohnte jetzt auf der Neichsstraße bei der Mutter seines Kom¬
pagnon, der Frau Kommerzienrat Walther. Man überraschte ihn beim
Mittagessen; in einer harmlosen Schneiderstöchter aus Leipzig, der „Siever-
mannin," die bei der Fran Kommerzienrütin Gesellschafterin war und mit bei
Tische saß, glaubte man Bahrdts Tochter zu erwischen, sie wurde daher eben¬
falls mit aufs Rathaus genommen. Der Irrtum stellte sich aber bald heraus:
gleich bei seiner ersten Vernehmung erklärte Pott, Bahrdt müsse „im Gefäng¬
nisse schwach am Verstände geworden sein," er habe allerdings zwei Tochter,
aber beide seien „noch Kinder und nicht mannbar," eine sei etwa vierzehn, die
andre elf Jahre alt. Das Gerücht von der Entführung war dadurch ent¬
standen, daß man die ältere Tochter in Halle vermißt hatte; sie hatte sich aber
nur aufgemacht, um zu ihrem Vater ins Gefängnis nach Magdeburg zu gehen.
Unter den Schriftstücken, die bei Pott vorgefunden und ihm weggenommen
worden waren, war auch der Anfang zu einer Fortsetzung des „Goldsitz Su-
seka," von Poets Hand geschrieben!

Bei weitern Vernehmungen vor dem Stadtgericht, an das die Sache
nun abgegeben wurdet bekannte Pott, daßl er mit Bahrdt ausgemacht habe,
dessen Biographie zu schreiben. Bahrdt habe sie erst selber schreiben wollen;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/272>, abgerufen am 26.11.2024.