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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur Aonvertirungsfrage

richtung, nicht als vorübergehender Behelf in Zeiten der Not, entschieden zu
verwerfen. Wenn die fortgeschritten liberalen Parteien die Unterstützung be¬
kämpfen, die der Staat der Landwirtschaft und manchen Gewerben in Form
eines Schutzzolles oder in Form einer allerdings künstlichen Art der Brannt¬
weinbesteuerung oder endlich als Ausfuhrprämie auf Zucker usw. gewährt, so
läßt sich das damit begründen, daß in diesen Zuwendungen eine Unterstützung
einzelner Gruppen der Bevölkerung auf Kosten aller andern liegt. Aber ganz
ebenso steht es mit dem üblichen Zinsfuß. Wenn die Hoffnungen, die alle
Menschenfreunde in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts an den Aufschwung
der Technik, an die so ungeheuer erleichterte Herstellung von Gebrauchsgütern
und die so sehr verbesserte Ausnutzung der von der Natur gelieferten Kräfte
und Stoffe geknüpft haben, nicht in erwünschtem Maße in Erfüllung gegangen
sind, wenn vielmehr behauptet wird -- ob mit Recht, ist gleichgiltig --, daß
sich die allgemeine Lage verschlechtert habe, daß mindestens die Unzufriedenheit der
Bevölkerung gewachsen sei, und wenn diese behauptete Verschlechterung der
Lage und diese Unzufriedenheit dem Kapitalismus zugeschrieben wird, so dürfte
das, was an dieser Unzufriedenheit berechtigt ist, zum guten Teil der riesigen Zu¬
nahme der fest verzinslichen Staats- und Kommunalpapiere seit jener Zeit zuzu¬
schreiben sein. Der Leihwert des Kapitals, das heißt die Zugänglichkeit der
Produktionsmittel für die, die sie wirtschaftlich verwenden, ist nicht in dem
Maße gesunken, wie er vermöge der erleichterten Kapitalbildung hätte sinken
müssen, wenn dem Kapitel nicht so mächtige Unterstützung von außen zu Hilfe
gekommen wäre. Und wenn man auch die öffentlichen Anleihen mit prak¬
tischen Gründen mag verteidigen können, ihre Verzinsung mit einem Satze, der
über die durch die Marktlage unbedingt gebotne Höhe hinausgeht, ist, auch
vom liberalen Standpunkte aus, weit weniger berechtigt als gesetzliche Ma߬
nahmen, die eine Erhöhung der Bodenrenke zum Zweck haben; und vom gegen¬
sätzlichen Stanpunkte aus ließe sich selbst die Sicherung eines niedrigsten Ar¬
beitslohnes eher verteidigen als die Hochhaltung des Zinsfußes. Auch der
kleinste Rentner, der Lohnarbeiter, der ein Sparkassenbuch über ein paar hundert
Mark hat, ist stark gegenüber dem, der keinen solchen Besitz hat. Er kann,
wenn sich die Gelegenheit bietet, aus der Klasse der Lohnarbeiter in die der
Unternehmer übergehen und hat so wenigstens die Möglichkeit, allmählich in
die Klasse der wirklich Starken aufzusteigen. Eine ältere Novelle von Kretzer
schildert diesen Gang, den man übrigens in der Großstadt oft genug zu be¬
obachten Gelegenheit hat, in sehr anschaulicher Weise. Der Beamte, der
nebenbei Kapitalvermögen hat, ist seinem gleich kenntnisreichen und gleich tüch¬
tigen Kollegen gegenüber auch dann in großem Vorteil, wenn ihm sein Kapital
mir sehr bescheidne oder gar keine Zinsen bringt; denn er ist in der Lage,
wenn sich die Gelegenheit bietet, seine Kenntnisse und seine Arbeitskraft auf wirt¬
schaftlichem Gebiete auszunutzen und fo einen Ertrag aus ihnen zu ziehen, den


Zur Aonvertirungsfrage

richtung, nicht als vorübergehender Behelf in Zeiten der Not, entschieden zu
verwerfen. Wenn die fortgeschritten liberalen Parteien die Unterstützung be¬
kämpfen, die der Staat der Landwirtschaft und manchen Gewerben in Form
eines Schutzzolles oder in Form einer allerdings künstlichen Art der Brannt¬
weinbesteuerung oder endlich als Ausfuhrprämie auf Zucker usw. gewährt, so
läßt sich das damit begründen, daß in diesen Zuwendungen eine Unterstützung
einzelner Gruppen der Bevölkerung auf Kosten aller andern liegt. Aber ganz
ebenso steht es mit dem üblichen Zinsfuß. Wenn die Hoffnungen, die alle
Menschenfreunde in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts an den Aufschwung
der Technik, an die so ungeheuer erleichterte Herstellung von Gebrauchsgütern
und die so sehr verbesserte Ausnutzung der von der Natur gelieferten Kräfte
und Stoffe geknüpft haben, nicht in erwünschtem Maße in Erfüllung gegangen
sind, wenn vielmehr behauptet wird — ob mit Recht, ist gleichgiltig —, daß
sich die allgemeine Lage verschlechtert habe, daß mindestens die Unzufriedenheit der
Bevölkerung gewachsen sei, und wenn diese behauptete Verschlechterung der
Lage und diese Unzufriedenheit dem Kapitalismus zugeschrieben wird, so dürfte
das, was an dieser Unzufriedenheit berechtigt ist, zum guten Teil der riesigen Zu¬
nahme der fest verzinslichen Staats- und Kommunalpapiere seit jener Zeit zuzu¬
schreiben sein. Der Leihwert des Kapitals, das heißt die Zugänglichkeit der
Produktionsmittel für die, die sie wirtschaftlich verwenden, ist nicht in dem
Maße gesunken, wie er vermöge der erleichterten Kapitalbildung hätte sinken
müssen, wenn dem Kapitel nicht so mächtige Unterstützung von außen zu Hilfe
gekommen wäre. Und wenn man auch die öffentlichen Anleihen mit prak¬
tischen Gründen mag verteidigen können, ihre Verzinsung mit einem Satze, der
über die durch die Marktlage unbedingt gebotne Höhe hinausgeht, ist, auch
vom liberalen Standpunkte aus, weit weniger berechtigt als gesetzliche Ma߬
nahmen, die eine Erhöhung der Bodenrenke zum Zweck haben; und vom gegen¬
sätzlichen Stanpunkte aus ließe sich selbst die Sicherung eines niedrigsten Ar¬
beitslohnes eher verteidigen als die Hochhaltung des Zinsfußes. Auch der
kleinste Rentner, der Lohnarbeiter, der ein Sparkassenbuch über ein paar hundert
Mark hat, ist stark gegenüber dem, der keinen solchen Besitz hat. Er kann,
wenn sich die Gelegenheit bietet, aus der Klasse der Lohnarbeiter in die der
Unternehmer übergehen und hat so wenigstens die Möglichkeit, allmählich in
die Klasse der wirklich Starken aufzusteigen. Eine ältere Novelle von Kretzer
schildert diesen Gang, den man übrigens in der Großstadt oft genug zu be¬
obachten Gelegenheit hat, in sehr anschaulicher Weise. Der Beamte, der
nebenbei Kapitalvermögen hat, ist seinem gleich kenntnisreichen und gleich tüch¬
tigen Kollegen gegenüber auch dann in großem Vorteil, wenn ihm sein Kapital
mir sehr bescheidne oder gar keine Zinsen bringt; denn er ist in der Lage,
wenn sich die Gelegenheit bietet, seine Kenntnisse und seine Arbeitskraft auf wirt¬
schaftlichem Gebiete auszunutzen und fo einen Ertrag aus ihnen zu ziehen, den


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[0259] Zur Aonvertirungsfrage richtung, nicht als vorübergehender Behelf in Zeiten der Not, entschieden zu verwerfen. Wenn die fortgeschritten liberalen Parteien die Unterstützung be¬ kämpfen, die der Staat der Landwirtschaft und manchen Gewerben in Form eines Schutzzolles oder in Form einer allerdings künstlichen Art der Brannt¬ weinbesteuerung oder endlich als Ausfuhrprämie auf Zucker usw. gewährt, so läßt sich das damit begründen, daß in diesen Zuwendungen eine Unterstützung einzelner Gruppen der Bevölkerung auf Kosten aller andern liegt. Aber ganz ebenso steht es mit dem üblichen Zinsfuß. Wenn die Hoffnungen, die alle Menschenfreunde in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts an den Aufschwung der Technik, an die so ungeheuer erleichterte Herstellung von Gebrauchsgütern und die so sehr verbesserte Ausnutzung der von der Natur gelieferten Kräfte und Stoffe geknüpft haben, nicht in erwünschtem Maße in Erfüllung gegangen sind, wenn vielmehr behauptet wird — ob mit Recht, ist gleichgiltig —, daß sich die allgemeine Lage verschlechtert habe, daß mindestens die Unzufriedenheit der Bevölkerung gewachsen sei, und wenn diese behauptete Verschlechterung der Lage und diese Unzufriedenheit dem Kapitalismus zugeschrieben wird, so dürfte das, was an dieser Unzufriedenheit berechtigt ist, zum guten Teil der riesigen Zu¬ nahme der fest verzinslichen Staats- und Kommunalpapiere seit jener Zeit zuzu¬ schreiben sein. Der Leihwert des Kapitals, das heißt die Zugänglichkeit der Produktionsmittel für die, die sie wirtschaftlich verwenden, ist nicht in dem Maße gesunken, wie er vermöge der erleichterten Kapitalbildung hätte sinken müssen, wenn dem Kapitel nicht so mächtige Unterstützung von außen zu Hilfe gekommen wäre. Und wenn man auch die öffentlichen Anleihen mit prak¬ tischen Gründen mag verteidigen können, ihre Verzinsung mit einem Satze, der über die durch die Marktlage unbedingt gebotne Höhe hinausgeht, ist, auch vom liberalen Standpunkte aus, weit weniger berechtigt als gesetzliche Ma߬ nahmen, die eine Erhöhung der Bodenrenke zum Zweck haben; und vom gegen¬ sätzlichen Stanpunkte aus ließe sich selbst die Sicherung eines niedrigsten Ar¬ beitslohnes eher verteidigen als die Hochhaltung des Zinsfußes. Auch der kleinste Rentner, der Lohnarbeiter, der ein Sparkassenbuch über ein paar hundert Mark hat, ist stark gegenüber dem, der keinen solchen Besitz hat. Er kann, wenn sich die Gelegenheit bietet, aus der Klasse der Lohnarbeiter in die der Unternehmer übergehen und hat so wenigstens die Möglichkeit, allmählich in die Klasse der wirklich Starken aufzusteigen. Eine ältere Novelle von Kretzer schildert diesen Gang, den man übrigens in der Großstadt oft genug zu be¬ obachten Gelegenheit hat, in sehr anschaulicher Weise. Der Beamte, der nebenbei Kapitalvermögen hat, ist seinem gleich kenntnisreichen und gleich tüch¬ tigen Kollegen gegenüber auch dann in großem Vorteil, wenn ihm sein Kapital mir sehr bescheidne oder gar keine Zinsen bringt; denn er ist in der Lage, wenn sich die Gelegenheit bietet, seine Kenntnisse und seine Arbeitskraft auf wirt¬ schaftlichem Gebiete auszunutzen und fo einen Ertrag aus ihnen zu ziehen, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/259>, abgerufen am 01.09.2024.