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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die schlechte Wirtschaft in der Arbeiterversicherung

allein von den Arbeitgebern abhängt, während die Interessen, deren Wahrung
der Zweck der ganzen Einrichtung ist und die den Gegenstand dieser so¬
genannten Selbstverwaltung bilden, die der Arbeiter sind. Wer zahlt,
soll verwalten -- das klingt recht schön; aber wenn das, was gezahlt wird,
lediglich zur Deckung der rechtlich wohlbegründeten Ansprüche eines Fremden,
ja einer andern Partei dient, wie es hier der Fall ist, dann gewinnt die
Sache ein andres Gesicht, dann wird die gepriesene ideale Selbstverwaltung
in Wirklichkeit eine Verwaltung fremder, ja entgegengesetzter Interesse". Und
man soll doch auch nicht vergessen, daß die Arbeiterunfallversichcrnug zum
guten Teil nichts andres ist, als eine Ablösung der alten allgemein rechtlichen
Haftpflicht des Unternehmers gegenüber dem Arbeiter.

Daß solch eine verkehrte Selbstverwaltung nicht dazu angethan ist, den
sozialen Frieden zu fördern, liegt auf der Hand, und das Ergebnis
unsrer Arbeiterunfallversicheruug im Nahmen der ganzen Arbeiterversichernng
hat das hinreichend bestätigt. Trotzdem haben wir die Selbstverwaltung in
unsrer Unfallversicherung den Österreichern als Muster hingestellt im Gegensatz
zu einem energischen! Eingreifen des Staats, aber eben nur in Bezug auf ganz
bestimmte Verwaltungszwecke. Die Selbstverwaltung ist vorzüglich am Platze,
soweit es sich um die Umlegung und Beitreibung der an die verunglückten Ar¬
beiter zu zahlenden Summen im Kreise der Unternehmer handelt, sie ist auch
zweckmäßig mit zu verwenden auf dem Gebiete der Unfallverhütung. Hier
wird sie vor schlechter Wirtschaft schützen. Aber nicht am Platze ist die Selbst¬
verwaltung, d. h. die Verwaltung durch die Unternehmer, sobald sie über diese
Grenzen hinausgreift, sobald sie sich namentlich auf die Behandlung der zur
Entschädigung berechtigten Gegenpartei, der Arbeiter, erstreckt. Ganz besonders
verkehrt ist das neuerdings mit so reklamehaftem Selbstlob von Organen der
Unfallberufsgenosfenschaften gerühmte Bestreben dieser Nrbeitgeberverbände,
durch eigne ärztliche Behandlung, womöglich in besondern von ihnen ge¬
gründeten, erhaltnen und vor allem von ihnen allein verwalteten Heilanstalten
auf eine bessere Wirtschaft, d. h. auf die Herabdrückung der zu zahlen¬
den Unfallinvnlidenpensionen, hinzuwirken. Wir verkennen gewiß nicht,
daß es die beste Fürsorge sür den verunglückten Arbeiter ist, ihm durch
sorgfältige ärztliche Behandlung einen möglichst hohen Grad von Arbeits¬
fähigkeit wiederzugeben. Wir wissen, daß in den Kreisen der Arbeiter
nur zu häusig das Bestreben vorwaltet, durch Simulation, ja durch
mangelhafte Heilung der Unfallschäden bequeme und hohe Invaliden-
Pensionen herauszuschlagen. Wir beklagen dieses durch die sozialdemokratischen
Hetzereien eher vermehrte als verminderte, jedenfalls niemals von sozial¬
demokratischer Seite bekämpfte niedrige Anstandsniveau der deutscheu Arbeiter¬
schaft tief. Aber einen größern Mangel an staatsmännischer Befähigung
könnte das heutige Geschlecht gar nicht verraten, als wenn man in den


Die schlechte Wirtschaft in der Arbeiterversicherung

allein von den Arbeitgebern abhängt, während die Interessen, deren Wahrung
der Zweck der ganzen Einrichtung ist und die den Gegenstand dieser so¬
genannten Selbstverwaltung bilden, die der Arbeiter sind. Wer zahlt,
soll verwalten — das klingt recht schön; aber wenn das, was gezahlt wird,
lediglich zur Deckung der rechtlich wohlbegründeten Ansprüche eines Fremden,
ja einer andern Partei dient, wie es hier der Fall ist, dann gewinnt die
Sache ein andres Gesicht, dann wird die gepriesene ideale Selbstverwaltung
in Wirklichkeit eine Verwaltung fremder, ja entgegengesetzter Interesse». Und
man soll doch auch nicht vergessen, daß die Arbeiterunfallversichcrnug zum
guten Teil nichts andres ist, als eine Ablösung der alten allgemein rechtlichen
Haftpflicht des Unternehmers gegenüber dem Arbeiter.

Daß solch eine verkehrte Selbstverwaltung nicht dazu angethan ist, den
sozialen Frieden zu fördern, liegt auf der Hand, und das Ergebnis
unsrer Arbeiterunfallversicheruug im Nahmen der ganzen Arbeiterversichernng
hat das hinreichend bestätigt. Trotzdem haben wir die Selbstverwaltung in
unsrer Unfallversicherung den Österreichern als Muster hingestellt im Gegensatz
zu einem energischen! Eingreifen des Staats, aber eben nur in Bezug auf ganz
bestimmte Verwaltungszwecke. Die Selbstverwaltung ist vorzüglich am Platze,
soweit es sich um die Umlegung und Beitreibung der an die verunglückten Ar¬
beiter zu zahlenden Summen im Kreise der Unternehmer handelt, sie ist auch
zweckmäßig mit zu verwenden auf dem Gebiete der Unfallverhütung. Hier
wird sie vor schlechter Wirtschaft schützen. Aber nicht am Platze ist die Selbst¬
verwaltung, d. h. die Verwaltung durch die Unternehmer, sobald sie über diese
Grenzen hinausgreift, sobald sie sich namentlich auf die Behandlung der zur
Entschädigung berechtigten Gegenpartei, der Arbeiter, erstreckt. Ganz besonders
verkehrt ist das neuerdings mit so reklamehaftem Selbstlob von Organen der
Unfallberufsgenosfenschaften gerühmte Bestreben dieser Nrbeitgeberverbände,
durch eigne ärztliche Behandlung, womöglich in besondern von ihnen ge¬
gründeten, erhaltnen und vor allem von ihnen allein verwalteten Heilanstalten
auf eine bessere Wirtschaft, d. h. auf die Herabdrückung der zu zahlen¬
den Unfallinvnlidenpensionen, hinzuwirken. Wir verkennen gewiß nicht,
daß es die beste Fürsorge sür den verunglückten Arbeiter ist, ihm durch
sorgfältige ärztliche Behandlung einen möglichst hohen Grad von Arbeits¬
fähigkeit wiederzugeben. Wir wissen, daß in den Kreisen der Arbeiter
nur zu häusig das Bestreben vorwaltet, durch Simulation, ja durch
mangelhafte Heilung der Unfallschäden bequeme und hohe Invaliden-
Pensionen herauszuschlagen. Wir beklagen dieses durch die sozialdemokratischen
Hetzereien eher vermehrte als verminderte, jedenfalls niemals von sozial¬
demokratischer Seite bekämpfte niedrige Anstandsniveau der deutscheu Arbeiter¬
schaft tief. Aber einen größern Mangel an staatsmännischer Befähigung
könnte das heutige Geschlecht gar nicht verraten, als wenn man in den


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[0252] Die schlechte Wirtschaft in der Arbeiterversicherung allein von den Arbeitgebern abhängt, während die Interessen, deren Wahrung der Zweck der ganzen Einrichtung ist und die den Gegenstand dieser so¬ genannten Selbstverwaltung bilden, die der Arbeiter sind. Wer zahlt, soll verwalten — das klingt recht schön; aber wenn das, was gezahlt wird, lediglich zur Deckung der rechtlich wohlbegründeten Ansprüche eines Fremden, ja einer andern Partei dient, wie es hier der Fall ist, dann gewinnt die Sache ein andres Gesicht, dann wird die gepriesene ideale Selbstverwaltung in Wirklichkeit eine Verwaltung fremder, ja entgegengesetzter Interesse». Und man soll doch auch nicht vergessen, daß die Arbeiterunfallversichcrnug zum guten Teil nichts andres ist, als eine Ablösung der alten allgemein rechtlichen Haftpflicht des Unternehmers gegenüber dem Arbeiter. Daß solch eine verkehrte Selbstverwaltung nicht dazu angethan ist, den sozialen Frieden zu fördern, liegt auf der Hand, und das Ergebnis unsrer Arbeiterunfallversicheruug im Nahmen der ganzen Arbeiterversichernng hat das hinreichend bestätigt. Trotzdem haben wir die Selbstverwaltung in unsrer Unfallversicherung den Österreichern als Muster hingestellt im Gegensatz zu einem energischen! Eingreifen des Staats, aber eben nur in Bezug auf ganz bestimmte Verwaltungszwecke. Die Selbstverwaltung ist vorzüglich am Platze, soweit es sich um die Umlegung und Beitreibung der an die verunglückten Ar¬ beiter zu zahlenden Summen im Kreise der Unternehmer handelt, sie ist auch zweckmäßig mit zu verwenden auf dem Gebiete der Unfallverhütung. Hier wird sie vor schlechter Wirtschaft schützen. Aber nicht am Platze ist die Selbst¬ verwaltung, d. h. die Verwaltung durch die Unternehmer, sobald sie über diese Grenzen hinausgreift, sobald sie sich namentlich auf die Behandlung der zur Entschädigung berechtigten Gegenpartei, der Arbeiter, erstreckt. Ganz besonders verkehrt ist das neuerdings mit so reklamehaftem Selbstlob von Organen der Unfallberufsgenosfenschaften gerühmte Bestreben dieser Nrbeitgeberverbände, durch eigne ärztliche Behandlung, womöglich in besondern von ihnen ge¬ gründeten, erhaltnen und vor allem von ihnen allein verwalteten Heilanstalten auf eine bessere Wirtschaft, d. h. auf die Herabdrückung der zu zahlen¬ den Unfallinvnlidenpensionen, hinzuwirken. Wir verkennen gewiß nicht, daß es die beste Fürsorge sür den verunglückten Arbeiter ist, ihm durch sorgfältige ärztliche Behandlung einen möglichst hohen Grad von Arbeits¬ fähigkeit wiederzugeben. Wir wissen, daß in den Kreisen der Arbeiter nur zu häusig das Bestreben vorwaltet, durch Simulation, ja durch mangelhafte Heilung der Unfallschäden bequeme und hohe Invaliden- Pensionen herauszuschlagen. Wir beklagen dieses durch die sozialdemokratischen Hetzereien eher vermehrte als verminderte, jedenfalls niemals von sozial¬ demokratischer Seite bekämpfte niedrige Anstandsniveau der deutscheu Arbeiter¬ schaft tief. Aber einen größern Mangel an staatsmännischer Befähigung könnte das heutige Geschlecht gar nicht verraten, als wenn man in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/252>, abgerufen am 25.11.2024.