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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

hergebrachten kirchlichen Lehrweise unsrer positiven Geistlichkeit und unserm modernen
Denken schmerzlich empfunden hat, der einmal ernstlich über die Ursachen der immer
größer werdenden Entkirchlichung unsers Volkes nachgedacht hat. Möchten die
R. Gedanken des Verfassers uicht blos; fromme Wünsche bleibe"!


Das Evangelium der Armen. Ein Jahrgang Predigten von Bernhard Dörries,
Pfarrer in einer Vorstadt Hannovers. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 73!)6

Diese Predigtsammlung dem Leserkreise der Grenzboten zu empfehlen, bewegt
mich keineswegs allein die Thatsache, daß hier ein Mann redet, der für die religiöse
Rede an größere Kreise ungewöhnlich begabt ist und Geist und Gemüt in gleicher
Weise anzuregen versteht. Ich möchte es auch deshalb thun, weil er mit wärmster
Glaubeushingebung an Jesus und seine Heilsbotschaft das Streben verbindet, für
unsre Zeit und ihre Bedürfnisse zu sprechen, ganz ohne Rücksicht auf theologischen
Streit, aber auch ohne irgend einer religiösen Frage der Gegenwart auszuweichen
oder irgend eine lebendige Strömung unsrer Tage hochmütig und richtend ab¬
zulehnen."

Die Predigten bieten das "Evangelium der Armen nicht etwa in dem Sinne
sozialistischer Reden -- sie suchen die große wirtschaftliche Frage weder auf, noch
gehen sie ihr aus dem Wege --, noch weniger in dem Sinne, daß sie für höher
Gebildete zu einfach gehalten wären. Sie folgen dem richtigen Grundsätze, daß
für die "Armen" das Beste und geistig Anregendste gerade gut genucz ist. Aber
sie bieten das Evangelium so, wie es im Anfange von Jesus dargereicht worden
ist, als ein liebevolles Werben um die Herzen der Geringen, das den Zweck hat,
sie sittlich zu adeln und in Gott reich und selig zu machen. Dieser Ton klingt
neben der begeisterte" Liebe zu Jesus aus jeder dieser Reden, die den ganzen
Umfang der Kämpfe, Sorgen, Zweifel und Sünden der Gegenwart umspannen.
Manchen Theologen wird die ungewohnte Behandlung religiöser Fragen und das
Übergehen hergebrachter Ausdrücke und Formeln befremden -- der Verfasser, so
fern er von theologischen Streite ist, redet als überzeugter Schüler der neuern
Theologie. Aber der gebildete Laie wird sich nirgends theologisch abgestoßen fühlen,
sondern überall den warmen Oden lebendiger und wahrhaftiger Frömmigkeit spüren.


h. S.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

hergebrachten kirchlichen Lehrweise unsrer positiven Geistlichkeit und unserm modernen
Denken schmerzlich empfunden hat, der einmal ernstlich über die Ursachen der immer
größer werdenden Entkirchlichung unsers Volkes nachgedacht hat. Möchten die
R. Gedanken des Verfassers uicht blos; fromme Wünsche bleibe»!


Das Evangelium der Armen. Ein Jahrgang Predigten von Bernhard Dörries,
Pfarrer in einer Vorstadt Hannovers. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 73!)6

Diese Predigtsammlung dem Leserkreise der Grenzboten zu empfehlen, bewegt
mich keineswegs allein die Thatsache, daß hier ein Mann redet, der für die religiöse
Rede an größere Kreise ungewöhnlich begabt ist und Geist und Gemüt in gleicher
Weise anzuregen versteht. Ich möchte es auch deshalb thun, weil er mit wärmster
Glaubeushingebung an Jesus und seine Heilsbotschaft das Streben verbindet, für
unsre Zeit und ihre Bedürfnisse zu sprechen, ganz ohne Rücksicht auf theologischen
Streit, aber auch ohne irgend einer religiösen Frage der Gegenwart auszuweichen
oder irgend eine lebendige Strömung unsrer Tage hochmütig und richtend ab¬
zulehnen."

Die Predigten bieten das „Evangelium der Armen nicht etwa in dem Sinne
sozialistischer Reden — sie suchen die große wirtschaftliche Frage weder auf, noch
gehen sie ihr aus dem Wege —, noch weniger in dem Sinne, daß sie für höher
Gebildete zu einfach gehalten wären. Sie folgen dem richtigen Grundsätze, daß
für die „Armen" das Beste und geistig Anregendste gerade gut genucz ist. Aber
sie bieten das Evangelium so, wie es im Anfange von Jesus dargereicht worden
ist, als ein liebevolles Werben um die Herzen der Geringen, das den Zweck hat,
sie sittlich zu adeln und in Gott reich und selig zu machen. Dieser Ton klingt
neben der begeisterte» Liebe zu Jesus aus jeder dieser Reden, die den ganzen
Umfang der Kämpfe, Sorgen, Zweifel und Sünden der Gegenwart umspannen.
Manchen Theologen wird die ungewohnte Behandlung religiöser Fragen und das
Übergehen hergebrachter Ausdrücke und Formeln befremden — der Verfasser, so
fern er von theologischen Streite ist, redet als überzeugter Schüler der neuern
Theologie. Aber der gebildete Laie wird sich nirgends theologisch abgestoßen fühlen,
sondern überall den warmen Oden lebendiger und wahrhaftiger Frömmigkeit spüren.


h. S.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0248] Litteratur hergebrachten kirchlichen Lehrweise unsrer positiven Geistlichkeit und unserm modernen Denken schmerzlich empfunden hat, der einmal ernstlich über die Ursachen der immer größer werdenden Entkirchlichung unsers Volkes nachgedacht hat. Möchten die R. Gedanken des Verfassers uicht blos; fromme Wünsche bleibe»! Das Evangelium der Armen. Ein Jahrgang Predigten von Bernhard Dörries, Pfarrer in einer Vorstadt Hannovers. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 73!)6 Diese Predigtsammlung dem Leserkreise der Grenzboten zu empfehlen, bewegt mich keineswegs allein die Thatsache, daß hier ein Mann redet, der für die religiöse Rede an größere Kreise ungewöhnlich begabt ist und Geist und Gemüt in gleicher Weise anzuregen versteht. Ich möchte es auch deshalb thun, weil er mit wärmster Glaubeushingebung an Jesus und seine Heilsbotschaft das Streben verbindet, für unsre Zeit und ihre Bedürfnisse zu sprechen, ganz ohne Rücksicht auf theologischen Streit, aber auch ohne irgend einer religiösen Frage der Gegenwart auszuweichen oder irgend eine lebendige Strömung unsrer Tage hochmütig und richtend ab¬ zulehnen." Die Predigten bieten das „Evangelium der Armen nicht etwa in dem Sinne sozialistischer Reden — sie suchen die große wirtschaftliche Frage weder auf, noch gehen sie ihr aus dem Wege —, noch weniger in dem Sinne, daß sie für höher Gebildete zu einfach gehalten wären. Sie folgen dem richtigen Grundsätze, daß für die „Armen" das Beste und geistig Anregendste gerade gut genucz ist. Aber sie bieten das Evangelium so, wie es im Anfange von Jesus dargereicht worden ist, als ein liebevolles Werben um die Herzen der Geringen, das den Zweck hat, sie sittlich zu adeln und in Gott reich und selig zu machen. Dieser Ton klingt neben der begeisterte» Liebe zu Jesus aus jeder dieser Reden, die den ganzen Umfang der Kämpfe, Sorgen, Zweifel und Sünden der Gegenwart umspannen. Manchen Theologen wird die ungewohnte Behandlung religiöser Fragen und das Übergehen hergebrachter Ausdrücke und Formeln befremden — der Verfasser, so fern er von theologischen Streite ist, redet als überzeugter Schüler der neuern Theologie. Aber der gebildete Laie wird sich nirgends theologisch abgestoßen fühlen, sondern überall den warmen Oden lebendiger und wahrhaftiger Frömmigkeit spüren. h. S. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/248>, abgerufen am 29.11.2024.