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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Der Ausbau des Arbeiterschutzes

verführen werde. Diese Befürchtung zeugt zunächst von einem gewissen
Schwächegefühl des Kaufmannsstandes. Ist es begründet, daß das Personal,
aus dem die zukünftigen Geschäftsherren hervorgehen sollen, an dessen Gedeihen
also der Kaufmannsstand das größte Interesse hat, sittlich so wenig fest ist,
dann liegt doch darin zugleich ein schwerer Vorwurf gegen die Kaufleute als
Stand und gegen jeden einzelnen, der einen Lehrling ausbildet: der Vorwurf,
daß die Prinzipale die Erziehung der ihnen anvertrauten jungen Leute ver¬
nachlässigen. Leider ist dieser Vorwurf nicht unberechtigt. Mit der Gewerbe-
freiheit ist manche alte Gewohnheit gefallen, und manche Schranke mußte fallen,
aber eines brauchte nicht mit unterzugehen, das patriarchalische Verhältnis
zwischen den Angestellten eines Geschäfts und ihrem Geschäftsherrn, das Pflicht¬
gefühl auf der einen wie auf der andern Seite. Wenn sich aber solche be¬
drohliche Zeichen verspüren lassen, wie Hang zur Unredlichkeit, so ist das
richtige Mittel dagegen doch nicht das, den jungen Leuten ganz die Gelegen¬
heit zur Erholung zu nehmen, sondern sie ordentlich zu erziehen.

Die Absicht, die Angestellten des Handelsstandes auch gegen Gefahren,
die der Gesundheit und Sittlichkeit drohen, zu schützen, ist sehr löblich. Eine
andre Frage ist es, ob eine solche Absicht sinngemäß dnrch sondcrgesetzliche
Bestimmungen erreicht werden kann. Da über die Durchführung dieser Be¬
stimmungen eine Aufsicht walten muß, und da diese Aufsicht am zweckmäßigsten
vom Gewerbeinspektor ausgeübt werden würde, so ist sofort klar, daß dieses
Sondergesctz überflüssig ist und die ganze Frage mit einem Federstriche geregelt
wäre, wenn der Gesetzgeber das Handelsgewerbe ohne weiteres unter die Ge-
werbeinspcktion stellte; dann kämen sofort die 120a bis 120s der Reichs¬
gewerbeordnung vom 1. Mai 1892 in Anwendung. Dort heißt es: "Die
Gewerbeunternehmer sind verpflichtet, die Arbeitsräume. Betriebsvorrichtungen,
Maschinen und Gerätschaften so einzurichten, daß die Arbeiter gegen Gefahren
für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind, wie es die Natur des Betriebes
gestattet." Damit wäre nur die Wohnungsfrage noch nicht berührt. Freilich
wäre diese Einbeziehung des Handelsgewerbes nicht ohne weiteres möglich, da
nach den Schlußbestimmungen der Neichsgewerbeordnung die KZ 120 a ff. auf
Gehilfen und Lehrlinge in Handelsgeschäften keine Anwendung finden. Es
besteht aber hier eben eine Lücke in der Gewerbegesetzgebung, die so ausgefüllt
werden muß, daß Sondergesetze vermieden werden können.

Ebensowenig aber, wie Bestimmungen über Schutz der Angestellten gegen
Lebensgefahren und sittliche Gefahren in den Gesetzentwurf gehören, ebenso¬
wenig gehören die Festsetzungen in Titel II und III hinein, die von dem Dienst¬
verhältnis und der Konkurrenzklausel handeln. Es würde zu völliger Ver¬
wirrung sichren, wenn man zwei Fragen, die in das Handelsgesetzbuch gehören,
mit Hilfe eines Sondergesetzes erledigen wollte.

So löblich also die Grundgedanken des Gesetzentwurfs sind, und so sehr


Der Ausbau des Arbeiterschutzes

verführen werde. Diese Befürchtung zeugt zunächst von einem gewissen
Schwächegefühl des Kaufmannsstandes. Ist es begründet, daß das Personal,
aus dem die zukünftigen Geschäftsherren hervorgehen sollen, an dessen Gedeihen
also der Kaufmannsstand das größte Interesse hat, sittlich so wenig fest ist,
dann liegt doch darin zugleich ein schwerer Vorwurf gegen die Kaufleute als
Stand und gegen jeden einzelnen, der einen Lehrling ausbildet: der Vorwurf,
daß die Prinzipale die Erziehung der ihnen anvertrauten jungen Leute ver¬
nachlässigen. Leider ist dieser Vorwurf nicht unberechtigt. Mit der Gewerbe-
freiheit ist manche alte Gewohnheit gefallen, und manche Schranke mußte fallen,
aber eines brauchte nicht mit unterzugehen, das patriarchalische Verhältnis
zwischen den Angestellten eines Geschäfts und ihrem Geschäftsherrn, das Pflicht¬
gefühl auf der einen wie auf der andern Seite. Wenn sich aber solche be¬
drohliche Zeichen verspüren lassen, wie Hang zur Unredlichkeit, so ist das
richtige Mittel dagegen doch nicht das, den jungen Leuten ganz die Gelegen¬
heit zur Erholung zu nehmen, sondern sie ordentlich zu erziehen.

Die Absicht, die Angestellten des Handelsstandes auch gegen Gefahren,
die der Gesundheit und Sittlichkeit drohen, zu schützen, ist sehr löblich. Eine
andre Frage ist es, ob eine solche Absicht sinngemäß dnrch sondcrgesetzliche
Bestimmungen erreicht werden kann. Da über die Durchführung dieser Be¬
stimmungen eine Aufsicht walten muß, und da diese Aufsicht am zweckmäßigsten
vom Gewerbeinspektor ausgeübt werden würde, so ist sofort klar, daß dieses
Sondergesctz überflüssig ist und die ganze Frage mit einem Federstriche geregelt
wäre, wenn der Gesetzgeber das Handelsgewerbe ohne weiteres unter die Ge-
werbeinspcktion stellte; dann kämen sofort die 120a bis 120s der Reichs¬
gewerbeordnung vom 1. Mai 1892 in Anwendung. Dort heißt es: „Die
Gewerbeunternehmer sind verpflichtet, die Arbeitsräume. Betriebsvorrichtungen,
Maschinen und Gerätschaften so einzurichten, daß die Arbeiter gegen Gefahren
für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind, wie es die Natur des Betriebes
gestattet." Damit wäre nur die Wohnungsfrage noch nicht berührt. Freilich
wäre diese Einbeziehung des Handelsgewerbes nicht ohne weiteres möglich, da
nach den Schlußbestimmungen der Neichsgewerbeordnung die KZ 120 a ff. auf
Gehilfen und Lehrlinge in Handelsgeschäften keine Anwendung finden. Es
besteht aber hier eben eine Lücke in der Gewerbegesetzgebung, die so ausgefüllt
werden muß, daß Sondergesetze vermieden werden können.

Ebensowenig aber, wie Bestimmungen über Schutz der Angestellten gegen
Lebensgefahren und sittliche Gefahren in den Gesetzentwurf gehören, ebenso¬
wenig gehören die Festsetzungen in Titel II und III hinein, die von dem Dienst¬
verhältnis und der Konkurrenzklausel handeln. Es würde zu völliger Ver¬
wirrung sichren, wenn man zwei Fragen, die in das Handelsgesetzbuch gehören,
mit Hilfe eines Sondergesetzes erledigen wollte.

So löblich also die Grundgedanken des Gesetzentwurfs sind, und so sehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/213>, abgerufen am 01.09.2024.