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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Der Ausbau des Arbeitsschutzes

die Hände überm Kopf zusammenschlägt ob der unbegreiflichen Liederlichkeit
der heutigen Jugend.

Der Zwangsschluß aller Ladengeschäfte um 8 Uhr abends ist nicht der
Zweck des Gesetzes, sondern das Mittel, wodurch ein bestimmter Erfolg im
Interesse der Angestellten erreicht werden soll. Doch ist es allerdings sehr
zweifelhaft, ob dieses Mittel richtig ist. Ein einheitlicher Abendschluß ist in
Ladengeschäften nicht so einfach durchführbar, wie in der Industrie der Fabrik¬
schluß, ohne Härten oder eine große Menge von Ausnahmen aber gar nicht,
denn der Verkehr des Publikums im Laden macht den Verkäufer von der Neigung
des Käufers abhängig, seine Einkäufe zu einer bestimmten Zeit zu machen, ebenso
von der nach Jahreszeit und andern Umstünden größern oder kleinern Dring¬
lichkeit der Nachfrage. Es ist bekannt, daß es in jedem Geschüft gewisse Tages¬
zeiten und Jahreszeiten giebt, wo der Geschäftsgang besonders stark ist, und
es würde da sicher zu Unzuträglichkeiten führen, wenn der Strom des laufenden
Publikums durch gesetzliche Bestimmungen mit dem Glockenschlage abgeschnitten
werden sollte.

In der öffentlichen Besprechung des Gegenstandes ist eine große Zahl
von Gründen angeführt worden, die die Durchführung des Achtuhrladen¬
schlusses als unzulässig beweisen sollen, und es wird dabei natürlich mit
großen Übertreibungen gearbeitet. Der bedenklichste Angriffspunkt scheint uns
der zu sein, daß von den Bestimmungen über den Ladenschluß auch solche
Geschäfte betroffen werden, die ohne Personal arbeiten, wenn man auch hier
in Betracht ziehen muß, daß die materielle Schädigung nicht so groß ist. Der
Zwang aber, der auf das Streben nach Erhaltung und Verbesserung der
wirtschaftlichen Lage gerade der kleinsten Gewerbetreibenden ausgeübt wird,
muß auch dem ungerecht und volkswirtschaftlich verkehrt erscheinen, der sonst
nicht geneigt ist, sich durch die Phrase von der Polizeiaufsicht fangen zu lassen.

Gegen den Achtuhrschluß richtet sich also die Opposition gegen die Vor¬
schläge der Reichskommission mit Recht. Die Kommission hatte ihn auch
ursprünglich gar nicht beabsichtigt. Erst auf das Drängen der großen kauf¬
männischen Verbände hin wurde er mit aufgenommen. Von den neun größten
Verbänden der Kaufmannschaft, mit mehr als 200000 Mitgliedern, unter denen
die Gcschäftsherren stark vertreten sind, erklärten sich acht bedingungslos für
den Achtuhrladenschluß. Das große Geschrei von den "sozialistisch durch¬
seuchten Anhängern der grauen Theorie" zeigt also weiter nichts, als daß die
gesamte deutsche Tagespresse beinahe die Vorschläge der Kommission und ihre
Begründung gar nicht studirt hat, aber trotzdem lustig kritisirt.

Die Kaufleute betonen, daß der Ladenschluß um acht Uhr den Gehilfen
und Lehrlinge,: zu viel freie Zeit gebe, die sie uoch mehr, als es schon jetzt
infolge der Sonntagsruhe geschehe, an den Kneipenbesuch gewöhnen und, da
die Mittel, die ihnen hierzu zu Gebote stehen, knapp sind, zur Unredlichkeit


Der Ausbau des Arbeitsschutzes

die Hände überm Kopf zusammenschlägt ob der unbegreiflichen Liederlichkeit
der heutigen Jugend.

Der Zwangsschluß aller Ladengeschäfte um 8 Uhr abends ist nicht der
Zweck des Gesetzes, sondern das Mittel, wodurch ein bestimmter Erfolg im
Interesse der Angestellten erreicht werden soll. Doch ist es allerdings sehr
zweifelhaft, ob dieses Mittel richtig ist. Ein einheitlicher Abendschluß ist in
Ladengeschäften nicht so einfach durchführbar, wie in der Industrie der Fabrik¬
schluß, ohne Härten oder eine große Menge von Ausnahmen aber gar nicht,
denn der Verkehr des Publikums im Laden macht den Verkäufer von der Neigung
des Käufers abhängig, seine Einkäufe zu einer bestimmten Zeit zu machen, ebenso
von der nach Jahreszeit und andern Umstünden größern oder kleinern Dring¬
lichkeit der Nachfrage. Es ist bekannt, daß es in jedem Geschüft gewisse Tages¬
zeiten und Jahreszeiten giebt, wo der Geschäftsgang besonders stark ist, und
es würde da sicher zu Unzuträglichkeiten führen, wenn der Strom des laufenden
Publikums durch gesetzliche Bestimmungen mit dem Glockenschlage abgeschnitten
werden sollte.

In der öffentlichen Besprechung des Gegenstandes ist eine große Zahl
von Gründen angeführt worden, die die Durchführung des Achtuhrladen¬
schlusses als unzulässig beweisen sollen, und es wird dabei natürlich mit
großen Übertreibungen gearbeitet. Der bedenklichste Angriffspunkt scheint uns
der zu sein, daß von den Bestimmungen über den Ladenschluß auch solche
Geschäfte betroffen werden, die ohne Personal arbeiten, wenn man auch hier
in Betracht ziehen muß, daß die materielle Schädigung nicht so groß ist. Der
Zwang aber, der auf das Streben nach Erhaltung und Verbesserung der
wirtschaftlichen Lage gerade der kleinsten Gewerbetreibenden ausgeübt wird,
muß auch dem ungerecht und volkswirtschaftlich verkehrt erscheinen, der sonst
nicht geneigt ist, sich durch die Phrase von der Polizeiaufsicht fangen zu lassen.

Gegen den Achtuhrschluß richtet sich also die Opposition gegen die Vor¬
schläge der Reichskommission mit Recht. Die Kommission hatte ihn auch
ursprünglich gar nicht beabsichtigt. Erst auf das Drängen der großen kauf¬
männischen Verbände hin wurde er mit aufgenommen. Von den neun größten
Verbänden der Kaufmannschaft, mit mehr als 200000 Mitgliedern, unter denen
die Gcschäftsherren stark vertreten sind, erklärten sich acht bedingungslos für
den Achtuhrladenschluß. Das große Geschrei von den „sozialistisch durch¬
seuchten Anhängern der grauen Theorie" zeigt also weiter nichts, als daß die
gesamte deutsche Tagespresse beinahe die Vorschläge der Kommission und ihre
Begründung gar nicht studirt hat, aber trotzdem lustig kritisirt.

Die Kaufleute betonen, daß der Ladenschluß um acht Uhr den Gehilfen
und Lehrlinge,: zu viel freie Zeit gebe, die sie uoch mehr, als es schon jetzt
infolge der Sonntagsruhe geschehe, an den Kneipenbesuch gewöhnen und, da
die Mittel, die ihnen hierzu zu Gebote stehen, knapp sind, zur Unredlichkeit


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[0212] Der Ausbau des Arbeitsschutzes die Hände überm Kopf zusammenschlägt ob der unbegreiflichen Liederlichkeit der heutigen Jugend. Der Zwangsschluß aller Ladengeschäfte um 8 Uhr abends ist nicht der Zweck des Gesetzes, sondern das Mittel, wodurch ein bestimmter Erfolg im Interesse der Angestellten erreicht werden soll. Doch ist es allerdings sehr zweifelhaft, ob dieses Mittel richtig ist. Ein einheitlicher Abendschluß ist in Ladengeschäften nicht so einfach durchführbar, wie in der Industrie der Fabrik¬ schluß, ohne Härten oder eine große Menge von Ausnahmen aber gar nicht, denn der Verkehr des Publikums im Laden macht den Verkäufer von der Neigung des Käufers abhängig, seine Einkäufe zu einer bestimmten Zeit zu machen, ebenso von der nach Jahreszeit und andern Umstünden größern oder kleinern Dring¬ lichkeit der Nachfrage. Es ist bekannt, daß es in jedem Geschüft gewisse Tages¬ zeiten und Jahreszeiten giebt, wo der Geschäftsgang besonders stark ist, und es würde da sicher zu Unzuträglichkeiten führen, wenn der Strom des laufenden Publikums durch gesetzliche Bestimmungen mit dem Glockenschlage abgeschnitten werden sollte. In der öffentlichen Besprechung des Gegenstandes ist eine große Zahl von Gründen angeführt worden, die die Durchführung des Achtuhrladen¬ schlusses als unzulässig beweisen sollen, und es wird dabei natürlich mit großen Übertreibungen gearbeitet. Der bedenklichste Angriffspunkt scheint uns der zu sein, daß von den Bestimmungen über den Ladenschluß auch solche Geschäfte betroffen werden, die ohne Personal arbeiten, wenn man auch hier in Betracht ziehen muß, daß die materielle Schädigung nicht so groß ist. Der Zwang aber, der auf das Streben nach Erhaltung und Verbesserung der wirtschaftlichen Lage gerade der kleinsten Gewerbetreibenden ausgeübt wird, muß auch dem ungerecht und volkswirtschaftlich verkehrt erscheinen, der sonst nicht geneigt ist, sich durch die Phrase von der Polizeiaufsicht fangen zu lassen. Gegen den Achtuhrschluß richtet sich also die Opposition gegen die Vor¬ schläge der Reichskommission mit Recht. Die Kommission hatte ihn auch ursprünglich gar nicht beabsichtigt. Erst auf das Drängen der großen kauf¬ männischen Verbände hin wurde er mit aufgenommen. Von den neun größten Verbänden der Kaufmannschaft, mit mehr als 200000 Mitgliedern, unter denen die Gcschäftsherren stark vertreten sind, erklärten sich acht bedingungslos für den Achtuhrladenschluß. Das große Geschrei von den „sozialistisch durch¬ seuchten Anhängern der grauen Theorie" zeigt also weiter nichts, als daß die gesamte deutsche Tagespresse beinahe die Vorschläge der Kommission und ihre Begründung gar nicht studirt hat, aber trotzdem lustig kritisirt. Die Kaufleute betonen, daß der Ladenschluß um acht Uhr den Gehilfen und Lehrlinge,: zu viel freie Zeit gebe, die sie uoch mehr, als es schon jetzt infolge der Sonntagsruhe geschehe, an den Kneipenbesuch gewöhnen und, da die Mittel, die ihnen hierzu zu Gebote stehen, knapp sind, zur Unredlichkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/212>, abgerufen am 25.11.2024.