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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Der Ausbau des Arbeiterschutzes

was geschieht, wenn der Prinzipal die erforderliche Zeit nicht gewährt? Ist
er dann verpflichtet, den Angestellten weiter zu beschäftigen oder Schadenersatz
zu leisten? Wer entscheidet überhaupt, ob die "erforderliche Zeit" gewährt
worden ist oder nicht? Aus dieser Bestimmung kann sich ein Rattenkönig von
Prozessen entwickeln, deren Entscheidung sehr schwer sein wird. Jeder gut¬
denkende und -handelnde Kaufmann wird einem Angestellten, der ihm oder
dem er gekündigt hat, schon jetzt keinen Stein in den Weg legen, wenn er sein
weiteres Fortkommen sucht; Chikaneuren gegenüber aber wird die Bestimmung
wirkungslos bleiben.

Der dritte Teil des Gesetzentwurfs beschäftigt sich mit der "Konkurrenz¬
klausel." Eine Verabredung zwischen Prinzipal und Angestellten, nach der
es diesen verboten ist, nach Auflösung des Dienstverhältnisses in ein andres
Geschüft einzutreten oder ein solches selbständig zu begründen, ist unter folgenden
Voraussetzungen rechtswirksam: 1. Das Verbot darf höchstens für ein Jahr
festgesetzt werden vom Austritt aus dem Geschäft an. 2. Verboten werden
darf nur der Eintritt in ein Geschüft gleicher Art oder die Begründung eines
solchen innerhalb einer Entfernung von einem Kilometer von der Betriebsstütte
des vertragschließenden Geschäftsinhabers aus. 3. Die Konventionalstrafe darf
den doppelten Jahresgehalt des betreffenden Angestellten nicht überschreiten.
Hat der Geschäftsinhaber ohne Grund gekündigt oder durch vertragswidriges
Verhalten seinem Gehilfen Grund zur Auflösung des Dienstverhältnisses ge¬
geben, so fallen alle aus den oben genannten Festsetzungen her fließenden An¬
sprüche weg.

Man wird zugeben, daß der Arbeit der Reichskommission durchaus nicht
Genüge gethan wird, wenn man sich auf die Bestimmung des Achtuhrschlusses
der offnen Ladengeschäfte beschränkt. Der Entwurf sorgt für eine Reihe von
Maßregeln, die die hygienischen und Sicherheitsverhültnisse im kaufmännischen
Geschäft ordnen und Gefahren für die Sittlichkeit beseitigen sollen. Das ist
an sich ganz löblich, nur befremdet es, daß sich die Kommission ein Gebiet
sozialer Fürsorge hat entgehen lassen, wo Abhilfe dringen uotthut, die Für¬
sorge für die dem Personal außer den Geschäftsstunden zugewiesenen Auf¬
enthaltsorte, die Wohn- und Schlafräume. Es dürfte nur sehr wenige kauf¬
männische Geschäfte geben, die, wenn das Personal im Hause wohnt, für
menschenwürdige Räume ihrer Angestellten sorgen, und die Schlafstellen sind
ebenfalls meist von schlechter Beschaffenheit. Man redet so viel von der Ver¬
gnügungssucht der jungen Leute, von dem hüusigen Wirtshausbesuch, aber
man bedenkt nicht, daß bei dem Mangel eines Raumes, wo er sich in seinen
Mußestunden behaglich fühlen könnte, dem jungen Kaufmann von vornherein
die Lust benommen wird, sich daheim mit einem guten Buche zu beschäftigen;
es ist ganz natürlich, daß er dem ungemütlichen Aufenthalt im Hause zu ent¬
fliehen sucht, also in die Kneipe nicht ohne Schuld seines Lehrherrn gerät, der


Der Ausbau des Arbeiterschutzes

was geschieht, wenn der Prinzipal die erforderliche Zeit nicht gewährt? Ist
er dann verpflichtet, den Angestellten weiter zu beschäftigen oder Schadenersatz
zu leisten? Wer entscheidet überhaupt, ob die „erforderliche Zeit" gewährt
worden ist oder nicht? Aus dieser Bestimmung kann sich ein Rattenkönig von
Prozessen entwickeln, deren Entscheidung sehr schwer sein wird. Jeder gut¬
denkende und -handelnde Kaufmann wird einem Angestellten, der ihm oder
dem er gekündigt hat, schon jetzt keinen Stein in den Weg legen, wenn er sein
weiteres Fortkommen sucht; Chikaneuren gegenüber aber wird die Bestimmung
wirkungslos bleiben.

Der dritte Teil des Gesetzentwurfs beschäftigt sich mit der „Konkurrenz¬
klausel." Eine Verabredung zwischen Prinzipal und Angestellten, nach der
es diesen verboten ist, nach Auflösung des Dienstverhältnisses in ein andres
Geschüft einzutreten oder ein solches selbständig zu begründen, ist unter folgenden
Voraussetzungen rechtswirksam: 1. Das Verbot darf höchstens für ein Jahr
festgesetzt werden vom Austritt aus dem Geschäft an. 2. Verboten werden
darf nur der Eintritt in ein Geschüft gleicher Art oder die Begründung eines
solchen innerhalb einer Entfernung von einem Kilometer von der Betriebsstütte
des vertragschließenden Geschäftsinhabers aus. 3. Die Konventionalstrafe darf
den doppelten Jahresgehalt des betreffenden Angestellten nicht überschreiten.
Hat der Geschäftsinhaber ohne Grund gekündigt oder durch vertragswidriges
Verhalten seinem Gehilfen Grund zur Auflösung des Dienstverhältnisses ge¬
geben, so fallen alle aus den oben genannten Festsetzungen her fließenden An¬
sprüche weg.

Man wird zugeben, daß der Arbeit der Reichskommission durchaus nicht
Genüge gethan wird, wenn man sich auf die Bestimmung des Achtuhrschlusses
der offnen Ladengeschäfte beschränkt. Der Entwurf sorgt für eine Reihe von
Maßregeln, die die hygienischen und Sicherheitsverhültnisse im kaufmännischen
Geschäft ordnen und Gefahren für die Sittlichkeit beseitigen sollen. Das ist
an sich ganz löblich, nur befremdet es, daß sich die Kommission ein Gebiet
sozialer Fürsorge hat entgehen lassen, wo Abhilfe dringen uotthut, die Für¬
sorge für die dem Personal außer den Geschäftsstunden zugewiesenen Auf¬
enthaltsorte, die Wohn- und Schlafräume. Es dürfte nur sehr wenige kauf¬
männische Geschäfte geben, die, wenn das Personal im Hause wohnt, für
menschenwürdige Räume ihrer Angestellten sorgen, und die Schlafstellen sind
ebenfalls meist von schlechter Beschaffenheit. Man redet so viel von der Ver¬
gnügungssucht der jungen Leute, von dem hüusigen Wirtshausbesuch, aber
man bedenkt nicht, daß bei dem Mangel eines Raumes, wo er sich in seinen
Mußestunden behaglich fühlen könnte, dem jungen Kaufmann von vornherein
die Lust benommen wird, sich daheim mit einem guten Buche zu beschäftigen;
es ist ganz natürlich, daß er dem ungemütlichen Aufenthalt im Hause zu ent¬
fliehen sucht, also in die Kneipe nicht ohne Schuld seines Lehrherrn gerät, der


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[0211] Der Ausbau des Arbeiterschutzes was geschieht, wenn der Prinzipal die erforderliche Zeit nicht gewährt? Ist er dann verpflichtet, den Angestellten weiter zu beschäftigen oder Schadenersatz zu leisten? Wer entscheidet überhaupt, ob die „erforderliche Zeit" gewährt worden ist oder nicht? Aus dieser Bestimmung kann sich ein Rattenkönig von Prozessen entwickeln, deren Entscheidung sehr schwer sein wird. Jeder gut¬ denkende und -handelnde Kaufmann wird einem Angestellten, der ihm oder dem er gekündigt hat, schon jetzt keinen Stein in den Weg legen, wenn er sein weiteres Fortkommen sucht; Chikaneuren gegenüber aber wird die Bestimmung wirkungslos bleiben. Der dritte Teil des Gesetzentwurfs beschäftigt sich mit der „Konkurrenz¬ klausel." Eine Verabredung zwischen Prinzipal und Angestellten, nach der es diesen verboten ist, nach Auflösung des Dienstverhältnisses in ein andres Geschüft einzutreten oder ein solches selbständig zu begründen, ist unter folgenden Voraussetzungen rechtswirksam: 1. Das Verbot darf höchstens für ein Jahr festgesetzt werden vom Austritt aus dem Geschäft an. 2. Verboten werden darf nur der Eintritt in ein Geschüft gleicher Art oder die Begründung eines solchen innerhalb einer Entfernung von einem Kilometer von der Betriebsstütte des vertragschließenden Geschäftsinhabers aus. 3. Die Konventionalstrafe darf den doppelten Jahresgehalt des betreffenden Angestellten nicht überschreiten. Hat der Geschäftsinhaber ohne Grund gekündigt oder durch vertragswidriges Verhalten seinem Gehilfen Grund zur Auflösung des Dienstverhältnisses ge¬ geben, so fallen alle aus den oben genannten Festsetzungen her fließenden An¬ sprüche weg. Man wird zugeben, daß der Arbeit der Reichskommission durchaus nicht Genüge gethan wird, wenn man sich auf die Bestimmung des Achtuhrschlusses der offnen Ladengeschäfte beschränkt. Der Entwurf sorgt für eine Reihe von Maßregeln, die die hygienischen und Sicherheitsverhültnisse im kaufmännischen Geschäft ordnen und Gefahren für die Sittlichkeit beseitigen sollen. Das ist an sich ganz löblich, nur befremdet es, daß sich die Kommission ein Gebiet sozialer Fürsorge hat entgehen lassen, wo Abhilfe dringen uotthut, die Für¬ sorge für die dem Personal außer den Geschäftsstunden zugewiesenen Auf¬ enthaltsorte, die Wohn- und Schlafräume. Es dürfte nur sehr wenige kauf¬ männische Geschäfte geben, die, wenn das Personal im Hause wohnt, für menschenwürdige Räume ihrer Angestellten sorgen, und die Schlafstellen sind ebenfalls meist von schlechter Beschaffenheit. Man redet so viel von der Ver¬ gnügungssucht der jungen Leute, von dem hüusigen Wirtshausbesuch, aber man bedenkt nicht, daß bei dem Mangel eines Raumes, wo er sich in seinen Mußestunden behaglich fühlen könnte, dem jungen Kaufmann von vornherein die Lust benommen wird, sich daheim mit einem guten Buche zu beschäftigen; es ist ganz natürlich, daß er dem ungemütlichen Aufenthalt im Hause zu ent¬ fliehen sucht, also in die Kneipe nicht ohne Schuld seines Lehrherrn gerät, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/211>, abgerufen am 25.11.2024.