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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Der Ausbau des Arbeiterschutzes

reformatorischen Gesetzgebungswerke. Die Thatsache, daß auch auf andern
Gebieten des Erwerbslebens ähnliche Mißstünde herrschen, wie in der Industrie,
legte den Gedanken nahe, die Grundsätze dieser Gesetzgebung auch auf sie an¬
zuwenden; es bedarf dazu, sobald erwiesen ist, daß in einem Gewerbe die Ge¬
sundheit der Arbeiter durch überlauge Arbeitszeit geschädigt wird, nur einer
Verordnung des Bundesrath auf Grund von Z 120s der Reichsgewerbeordnung.
Und so hat denn die Reichskommission für Arbeiterstatistik zuerst die Arbeitsver¬
hältnisse im Bäckereigewerbe zum Gegenstande sehr zeitgemäßer Untersuchungen
und Gesetzesvorschläge gemacht und hat vor kurzem dasselbe gegenüber den
wirtschaftlichen und sozialen Zuständen im Handelsgewerbe gethan. Die Ver¬
ordnung, die zum Schutze der Arbeiter im Bückereigewerbe und -- auch der
Konsumenten von Bäckereiwaren vom Bundesrate erlassen wurde, enthält
folgende wichtige Bestimmungen:

Die Arbeitsschicht jedes Gehilfen darf die Dauer von zwölf Stunden oder,
falls die Arbeit durch eine Pause von mindestens einer Stunde unterbrochen wird,
einschließlich dieser Pause die Dauer von dreizehn Stunden nicht überschreiten.
Die Zahl der Arbeitsschichten darf für jeden Gehilfen wöchentlich nicht mehr als
sieben betragen.

Außerhalb der zulässigen Arbeitsschichten dürfen die Gehilfen nur zu gelegent¬
lichen Dienstleistungen und höchstens eine halbe Stunde lang bei der Herstellung
des Vorteiges, im übrigen aber nicht bei der Herstellung von Waren verwendet
werden.

Zwischen je zwei Arbeitsschichten muß den Gehilfen eine nuunterbrochne Ruhe
von mindestens acht Stunden gewährt werden.

Auf die Beschäftigung von Lehrlingen finden die vorstehenden Bestimmungen
unter der Bedingung Anwendung, daß sich die zulässige Dauer der Arbeitsschicht
und die zu gewährende Ruhezeit um eben diese Zeiträume verlängern.

Es folgen dann noch Bestimmungen über die Ausnahmen, die gewährt
Werden dürfen, über die Form der Bekanntmachung der Verordnung an die
Arbeiter, über die Sonntagsruhe usw. In Kraft getreten ist die Verordnung
am 1. Juli 1396.

Wenn jemals eine sozialpolitische Verordnung durch ein erdrückendes That¬
sachenmaterial gestützt worden ist, so war es diese. Es ist bekannt, daß in
keinem Gewerbebetrieb eine solche geradezu berufsmäßige Unsauberkeit herrscht
wie im Bäckereibetriebe, und daß nirgends eine solche Ausnutzung der Arbeits¬
kraft bis zur Erschöpfung gäng und gäbe ist wie in der Backstube, ein Zustand,
der nur durch eine Verkürzung der Arbeitszeit in den Betrieben dauernd ge¬
bessert werden kann. Um so unbegreiflicher ist es, daß gerade diese Verordnung
zum Gegenstand einer Jnterpellation im preußischen Landtage gemacht wurde,
daß man gerade in Anknüpfung an sie zu einer Verurteilung unsrer sozial¬
politischen Gesetzgebung kommen konnte. Bekanntlich hat sich die konservative
Partei von dem Mißlingen des ersten Vorstoßes nicht abschrecken lassen, sondern


Der Ausbau des Arbeiterschutzes

reformatorischen Gesetzgebungswerke. Die Thatsache, daß auch auf andern
Gebieten des Erwerbslebens ähnliche Mißstünde herrschen, wie in der Industrie,
legte den Gedanken nahe, die Grundsätze dieser Gesetzgebung auch auf sie an¬
zuwenden; es bedarf dazu, sobald erwiesen ist, daß in einem Gewerbe die Ge¬
sundheit der Arbeiter durch überlauge Arbeitszeit geschädigt wird, nur einer
Verordnung des Bundesrath auf Grund von Z 120s der Reichsgewerbeordnung.
Und so hat denn die Reichskommission für Arbeiterstatistik zuerst die Arbeitsver¬
hältnisse im Bäckereigewerbe zum Gegenstande sehr zeitgemäßer Untersuchungen
und Gesetzesvorschläge gemacht und hat vor kurzem dasselbe gegenüber den
wirtschaftlichen und sozialen Zuständen im Handelsgewerbe gethan. Die Ver¬
ordnung, die zum Schutze der Arbeiter im Bückereigewerbe und — auch der
Konsumenten von Bäckereiwaren vom Bundesrate erlassen wurde, enthält
folgende wichtige Bestimmungen:

Die Arbeitsschicht jedes Gehilfen darf die Dauer von zwölf Stunden oder,
falls die Arbeit durch eine Pause von mindestens einer Stunde unterbrochen wird,
einschließlich dieser Pause die Dauer von dreizehn Stunden nicht überschreiten.
Die Zahl der Arbeitsschichten darf für jeden Gehilfen wöchentlich nicht mehr als
sieben betragen.

Außerhalb der zulässigen Arbeitsschichten dürfen die Gehilfen nur zu gelegent¬
lichen Dienstleistungen und höchstens eine halbe Stunde lang bei der Herstellung
des Vorteiges, im übrigen aber nicht bei der Herstellung von Waren verwendet
werden.

Zwischen je zwei Arbeitsschichten muß den Gehilfen eine nuunterbrochne Ruhe
von mindestens acht Stunden gewährt werden.

Auf die Beschäftigung von Lehrlingen finden die vorstehenden Bestimmungen
unter der Bedingung Anwendung, daß sich die zulässige Dauer der Arbeitsschicht
und die zu gewährende Ruhezeit um eben diese Zeiträume verlängern.

Es folgen dann noch Bestimmungen über die Ausnahmen, die gewährt
Werden dürfen, über die Form der Bekanntmachung der Verordnung an die
Arbeiter, über die Sonntagsruhe usw. In Kraft getreten ist die Verordnung
am 1. Juli 1396.

Wenn jemals eine sozialpolitische Verordnung durch ein erdrückendes That¬
sachenmaterial gestützt worden ist, so war es diese. Es ist bekannt, daß in
keinem Gewerbebetrieb eine solche geradezu berufsmäßige Unsauberkeit herrscht
wie im Bäckereibetriebe, und daß nirgends eine solche Ausnutzung der Arbeits¬
kraft bis zur Erschöpfung gäng und gäbe ist wie in der Backstube, ein Zustand,
der nur durch eine Verkürzung der Arbeitszeit in den Betrieben dauernd ge¬
bessert werden kann. Um so unbegreiflicher ist es, daß gerade diese Verordnung
zum Gegenstand einer Jnterpellation im preußischen Landtage gemacht wurde,
daß man gerade in Anknüpfung an sie zu einer Verurteilung unsrer sozial¬
politischen Gesetzgebung kommen konnte. Bekanntlich hat sich die konservative
Partei von dem Mißlingen des ersten Vorstoßes nicht abschrecken lassen, sondern


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[0208] Der Ausbau des Arbeiterschutzes reformatorischen Gesetzgebungswerke. Die Thatsache, daß auch auf andern Gebieten des Erwerbslebens ähnliche Mißstünde herrschen, wie in der Industrie, legte den Gedanken nahe, die Grundsätze dieser Gesetzgebung auch auf sie an¬ zuwenden; es bedarf dazu, sobald erwiesen ist, daß in einem Gewerbe die Ge¬ sundheit der Arbeiter durch überlauge Arbeitszeit geschädigt wird, nur einer Verordnung des Bundesrath auf Grund von Z 120s der Reichsgewerbeordnung. Und so hat denn die Reichskommission für Arbeiterstatistik zuerst die Arbeitsver¬ hältnisse im Bäckereigewerbe zum Gegenstande sehr zeitgemäßer Untersuchungen und Gesetzesvorschläge gemacht und hat vor kurzem dasselbe gegenüber den wirtschaftlichen und sozialen Zuständen im Handelsgewerbe gethan. Die Ver¬ ordnung, die zum Schutze der Arbeiter im Bückereigewerbe und — auch der Konsumenten von Bäckereiwaren vom Bundesrate erlassen wurde, enthält folgende wichtige Bestimmungen: Die Arbeitsschicht jedes Gehilfen darf die Dauer von zwölf Stunden oder, falls die Arbeit durch eine Pause von mindestens einer Stunde unterbrochen wird, einschließlich dieser Pause die Dauer von dreizehn Stunden nicht überschreiten. Die Zahl der Arbeitsschichten darf für jeden Gehilfen wöchentlich nicht mehr als sieben betragen. Außerhalb der zulässigen Arbeitsschichten dürfen die Gehilfen nur zu gelegent¬ lichen Dienstleistungen und höchstens eine halbe Stunde lang bei der Herstellung des Vorteiges, im übrigen aber nicht bei der Herstellung von Waren verwendet werden. Zwischen je zwei Arbeitsschichten muß den Gehilfen eine nuunterbrochne Ruhe von mindestens acht Stunden gewährt werden. Auf die Beschäftigung von Lehrlingen finden die vorstehenden Bestimmungen unter der Bedingung Anwendung, daß sich die zulässige Dauer der Arbeitsschicht und die zu gewährende Ruhezeit um eben diese Zeiträume verlängern. Es folgen dann noch Bestimmungen über die Ausnahmen, die gewährt Werden dürfen, über die Form der Bekanntmachung der Verordnung an die Arbeiter, über die Sonntagsruhe usw. In Kraft getreten ist die Verordnung am 1. Juli 1396. Wenn jemals eine sozialpolitische Verordnung durch ein erdrückendes That¬ sachenmaterial gestützt worden ist, so war es diese. Es ist bekannt, daß in keinem Gewerbebetrieb eine solche geradezu berufsmäßige Unsauberkeit herrscht wie im Bäckereibetriebe, und daß nirgends eine solche Ausnutzung der Arbeits¬ kraft bis zur Erschöpfung gäng und gäbe ist wie in der Backstube, ein Zustand, der nur durch eine Verkürzung der Arbeitszeit in den Betrieben dauernd ge¬ bessert werden kann. Um so unbegreiflicher ist es, daß gerade diese Verordnung zum Gegenstand einer Jnterpellation im preußischen Landtage gemacht wurde, daß man gerade in Anknüpfung an sie zu einer Verurteilung unsrer sozial¬ politischen Gesetzgebung kommen konnte. Bekanntlich hat sich die konservative Partei von dem Mißlingen des ersten Vorstoßes nicht abschrecken lassen, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/208>, abgerufen am 01.09.2024.