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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Der Ausbau des Arbeiterschutzes

is der deutsche Reichstag die Einsetzung der Reichskommission
für Arbeiterstatistik beschloß, hatte man im Sinne, eine Ein¬
richtung zu schaffen, die zur Beurteilung sozialer Zustände das not¬
wendige statistische Material liefern sollte. Kein Mensch witterte
eine Gefahr hinter dieser statistischen Kommission. Inzwischen hat
sie aber ihre Aufgabe mit außerordentlichem Ernst und anerkennenswerten
Eifer angefaßt, und die Ergebnisse der Arbeiten, mit denen sie hervorgetreten
ist, machen Plötzlich die Gemüter stutzig, die hinter jeder sozialpolitischen Ma߬
nahme den Weg zum Zukunftsstaate wittern. Man hatte also nichts eiligeres
zu thun, als am 7. Mai im preußischen Abgeordnetenhause eine Jnterpellation
zu stellen, in der die Negierung ernstlich befragt wurde, wie sie sich zu dem
gefährlichen Treiben der Kommission stelle, die sozialistisch rettungslos ver¬
seucht sei, in der man ferner mit männlichem, der Situation angemessenen
Ernst unverhohlen seine Verwunderung aussprach, daß sich aus einem unter
allgemeinem Beifall gebornen und einst so normal beanlcigten Kinde ein solcher
Wechselbalg entwickelt habe, dem man unter den übrigen, an der Mutterbrust
der Verfassungsmüßigkeit großgepäppelten gesitteten Kindern fürderhin ohne
dringende Gefahr keinen Platz lassen dürfe. Und männiglich, was sich staat-
oder vielmehr "ftaats"erhaltend nennt, klatschte Beifall.

Auf den Vorwurf der sozialistische,? Durchseuchung der Reichskommission
für Arbeiterstatistik, "die unter dem Einfluß eines Sozialdemokraten und eines
der Sozialdemokratie affiliirten Professors steht," hat der frühere Leiter der
Kommission, der Kurator der Universität Bonn.Dr. von Rottenburg in Ur. 321
der Nationalzeitung eine deutliche Antwort erteilt, die uns der Mühe über¬
hebt, auf diesen Teil der förmlich erhobnen Anklage einzugehen. Dagegen hat
er auf die sachlichen Einwände gegen die Arbeiten der Kommission wenig oder
nichts erwidert, und diese bleiben daher noch zu untersuchen. Unsre sozial¬
politische Gesetzgebung hat, beginnend mit der Regelung der Arbeitsverhältnisse
der "weiblichen und jugendlichen" Arbeiter in den Fabriken, allmählich die
ganze Industrie umsponnen mit einem, , wenn auch im einzelnen vielleicht noch
mangelhaften, so doch dem einheitlichen Grundgedanken nach großartigen sözia




Der Ausbau des Arbeiterschutzes

is der deutsche Reichstag die Einsetzung der Reichskommission
für Arbeiterstatistik beschloß, hatte man im Sinne, eine Ein¬
richtung zu schaffen, die zur Beurteilung sozialer Zustände das not¬
wendige statistische Material liefern sollte. Kein Mensch witterte
eine Gefahr hinter dieser statistischen Kommission. Inzwischen hat
sie aber ihre Aufgabe mit außerordentlichem Ernst und anerkennenswerten
Eifer angefaßt, und die Ergebnisse der Arbeiten, mit denen sie hervorgetreten
ist, machen Plötzlich die Gemüter stutzig, die hinter jeder sozialpolitischen Ma߬
nahme den Weg zum Zukunftsstaate wittern. Man hatte also nichts eiligeres
zu thun, als am 7. Mai im preußischen Abgeordnetenhause eine Jnterpellation
zu stellen, in der die Negierung ernstlich befragt wurde, wie sie sich zu dem
gefährlichen Treiben der Kommission stelle, die sozialistisch rettungslos ver¬
seucht sei, in der man ferner mit männlichem, der Situation angemessenen
Ernst unverhohlen seine Verwunderung aussprach, daß sich aus einem unter
allgemeinem Beifall gebornen und einst so normal beanlcigten Kinde ein solcher
Wechselbalg entwickelt habe, dem man unter den übrigen, an der Mutterbrust
der Verfassungsmüßigkeit großgepäppelten gesitteten Kindern fürderhin ohne
dringende Gefahr keinen Platz lassen dürfe. Und männiglich, was sich staat-
oder vielmehr „ftaats"erhaltend nennt, klatschte Beifall.

Auf den Vorwurf der sozialistische,? Durchseuchung der Reichskommission
für Arbeiterstatistik, „die unter dem Einfluß eines Sozialdemokraten und eines
der Sozialdemokratie affiliirten Professors steht," hat der frühere Leiter der
Kommission, der Kurator der Universität Bonn.Dr. von Rottenburg in Ur. 321
der Nationalzeitung eine deutliche Antwort erteilt, die uns der Mühe über¬
hebt, auf diesen Teil der förmlich erhobnen Anklage einzugehen. Dagegen hat
er auf die sachlichen Einwände gegen die Arbeiten der Kommission wenig oder
nichts erwidert, und diese bleiben daher noch zu untersuchen. Unsre sozial¬
politische Gesetzgebung hat, beginnend mit der Regelung der Arbeitsverhältnisse
der „weiblichen und jugendlichen" Arbeiter in den Fabriken, allmählich die
ganze Industrie umsponnen mit einem, , wenn auch im einzelnen vielleicht noch
mangelhaften, so doch dem einheitlichen Grundgedanken nach großartigen sözia


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[0207] [Abbildung] Der Ausbau des Arbeiterschutzes is der deutsche Reichstag die Einsetzung der Reichskommission für Arbeiterstatistik beschloß, hatte man im Sinne, eine Ein¬ richtung zu schaffen, die zur Beurteilung sozialer Zustände das not¬ wendige statistische Material liefern sollte. Kein Mensch witterte eine Gefahr hinter dieser statistischen Kommission. Inzwischen hat sie aber ihre Aufgabe mit außerordentlichem Ernst und anerkennenswerten Eifer angefaßt, und die Ergebnisse der Arbeiten, mit denen sie hervorgetreten ist, machen Plötzlich die Gemüter stutzig, die hinter jeder sozialpolitischen Ma߬ nahme den Weg zum Zukunftsstaate wittern. Man hatte also nichts eiligeres zu thun, als am 7. Mai im preußischen Abgeordnetenhause eine Jnterpellation zu stellen, in der die Negierung ernstlich befragt wurde, wie sie sich zu dem gefährlichen Treiben der Kommission stelle, die sozialistisch rettungslos ver¬ seucht sei, in der man ferner mit männlichem, der Situation angemessenen Ernst unverhohlen seine Verwunderung aussprach, daß sich aus einem unter allgemeinem Beifall gebornen und einst so normal beanlcigten Kinde ein solcher Wechselbalg entwickelt habe, dem man unter den übrigen, an der Mutterbrust der Verfassungsmüßigkeit großgepäppelten gesitteten Kindern fürderhin ohne dringende Gefahr keinen Platz lassen dürfe. Und männiglich, was sich staat- oder vielmehr „ftaats"erhaltend nennt, klatschte Beifall. Auf den Vorwurf der sozialistische,? Durchseuchung der Reichskommission für Arbeiterstatistik, „die unter dem Einfluß eines Sozialdemokraten und eines der Sozialdemokratie affiliirten Professors steht," hat der frühere Leiter der Kommission, der Kurator der Universität Bonn.Dr. von Rottenburg in Ur. 321 der Nationalzeitung eine deutliche Antwort erteilt, die uns der Mühe über¬ hebt, auf diesen Teil der förmlich erhobnen Anklage einzugehen. Dagegen hat er auf die sachlichen Einwände gegen die Arbeiten der Kommission wenig oder nichts erwidert, und diese bleiben daher noch zu untersuchen. Unsre sozial¬ politische Gesetzgebung hat, beginnend mit der Regelung der Arbeitsverhältnisse der „weiblichen und jugendlichen" Arbeiter in den Fabriken, allmählich die ganze Industrie umsponnen mit einem, , wenn auch im einzelnen vielleicht noch mangelhaften, so doch dem einheitlichen Grundgedanken nach großartigen sözia

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/207>, abgerufen am 24.11.2024.