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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur Litteraturgeschichte

Georg Ebers, Felix Decbr, Julius Wolfs usw. gewidmet sind. Ganz anders,
den Thatsachen entsprechend, klärend und überzeugend, gliedert sich der massen¬
hafte Stoff in Klees Darstellung, obwohl sie viel knapper ist. Er unterscheidet
die Nachwirkungen der klassischen Dichtung und der Romantik, die Mischung in
den eklektischen Talenten der Epigonenzeit, er hebt die Vorläufer der realistischen
Dichtung heraus, er ordnet das junge Deutschland, die politischen Dichter und
die Tendeuzdichter des vierten und fünften Jahrzehnt unsers Jahrhunderts dem
gemeinsamen Grundzug des politisch-religiösen Liberalismus unter, er setzt
Hebbel und Otto Ludwig in ihr Recht als die ersten und bedeutendsten mo¬
dernen Dichter, er verfolgt die realistische Entwicklung von Freytag bis Anzeu-
gruber mit sicherm Blick, er überblickt den innern Zug der Litteratur bis
zum jüngsten Naturalismus, verwahrt sich kräftig gegen die öde Auslauduach-
cchmerei, gegen die aufgeblasene Sensationslust und zersetzende Gemütlosigkeit
wie gegen die Unreife und Unklarheit der jüngsten Schule, aber er sucht auch
in dieser Gährung die entwicklungsfähigen Keime zu erkennen. Vor allem
trennt er in seinen kurzeu Andeutungen über den Entmicklnugsgang der deut¬
schen Dichtung seit 1870 die selbständige und künstlerisch strebende Dichtung
von der bloßen Mode- und Uuterhaltuugslitteratur. Daß man anch bei Klee
einzelne Namen (wie Adolf Wilbrcmdt, I. V. Widmann, Arthur Fitger u. a.)
vermißt, ist unwesentlich, es kommt sür den nächsten Zweck nicht auf Voll¬
ständigkeit des Namen- und Titelregisters an, sondern auf Weckung und Er¬
haltung des Gefühls bei der Jugend, daß es neben der akademischen Erstarrung
eine Entwicklung, neben dem Niedergang einen Aufschwung giebt.

Auch in Bezug auf Plastik und Schärfe des Stils überragen Klees
"Grundziige" die vielverbreiteten Vorgänger und namentlich Kluges Handbuch,
das Sätze wie "Einige seiner Idyllen dichtete Boß in niedersächsischer Sprache
und gab so Anregung zur Benutzung des Dialekts, wie dies Hebbel. Usteri,
in neuester Zeit Klaus Groth, Fritz Reuter u. a. gethan haben," durch sieben¬
undzwanzig Auflagen trägt. Der Stil ist zwar bei solcher Gruppirung und
Übersicht uicht die Hauptsache, doch ist es gut, wenn die Jungen anch hier
mustergiltigen Satzbau und die klare Bestimmtheit des Ausdrucks finden, die
aus der klaren Bestimmtheit der Anschanung und des Urteils hervorgeht.

Klees Buch wird seinen Weg macheu und den verdienten Eingang in die
Schulen finden, denn der Verfasser ist der Mann dazu, bei spätern Auflagen
alle Vorzüge seiner Arbeit noch zu steigern und sie auf der Höhe der wissen¬
schaftlichen Sicherheit und des pädagogischen Tales zu erhalten, die er im
ersten Anlauf erreicht hat.




Grenzbowl III 189624
Zur Litteraturgeschichte

Georg Ebers, Felix Decbr, Julius Wolfs usw. gewidmet sind. Ganz anders,
den Thatsachen entsprechend, klärend und überzeugend, gliedert sich der massen¬
hafte Stoff in Klees Darstellung, obwohl sie viel knapper ist. Er unterscheidet
die Nachwirkungen der klassischen Dichtung und der Romantik, die Mischung in
den eklektischen Talenten der Epigonenzeit, er hebt die Vorläufer der realistischen
Dichtung heraus, er ordnet das junge Deutschland, die politischen Dichter und
die Tendeuzdichter des vierten und fünften Jahrzehnt unsers Jahrhunderts dem
gemeinsamen Grundzug des politisch-religiösen Liberalismus unter, er setzt
Hebbel und Otto Ludwig in ihr Recht als die ersten und bedeutendsten mo¬
dernen Dichter, er verfolgt die realistische Entwicklung von Freytag bis Anzeu-
gruber mit sicherm Blick, er überblickt den innern Zug der Litteratur bis
zum jüngsten Naturalismus, verwahrt sich kräftig gegen die öde Auslauduach-
cchmerei, gegen die aufgeblasene Sensationslust und zersetzende Gemütlosigkeit
wie gegen die Unreife und Unklarheit der jüngsten Schule, aber er sucht auch
in dieser Gährung die entwicklungsfähigen Keime zu erkennen. Vor allem
trennt er in seinen kurzeu Andeutungen über den Entmicklnugsgang der deut¬
schen Dichtung seit 1870 die selbständige und künstlerisch strebende Dichtung
von der bloßen Mode- und Uuterhaltuugslitteratur. Daß man anch bei Klee
einzelne Namen (wie Adolf Wilbrcmdt, I. V. Widmann, Arthur Fitger u. a.)
vermißt, ist unwesentlich, es kommt sür den nächsten Zweck nicht auf Voll¬
ständigkeit des Namen- und Titelregisters an, sondern auf Weckung und Er¬
haltung des Gefühls bei der Jugend, daß es neben der akademischen Erstarrung
eine Entwicklung, neben dem Niedergang einen Aufschwung giebt.

Auch in Bezug auf Plastik und Schärfe des Stils überragen Klees
„Grundziige" die vielverbreiteten Vorgänger und namentlich Kluges Handbuch,
das Sätze wie „Einige seiner Idyllen dichtete Boß in niedersächsischer Sprache
und gab so Anregung zur Benutzung des Dialekts, wie dies Hebbel. Usteri,
in neuester Zeit Klaus Groth, Fritz Reuter u. a. gethan haben," durch sieben¬
undzwanzig Auflagen trägt. Der Stil ist zwar bei solcher Gruppirung und
Übersicht uicht die Hauptsache, doch ist es gut, wenn die Jungen anch hier
mustergiltigen Satzbau und die klare Bestimmtheit des Ausdrucks finden, die
aus der klaren Bestimmtheit der Anschanung und des Urteils hervorgeht.

Klees Buch wird seinen Weg macheu und den verdienten Eingang in die
Schulen finden, denn der Verfasser ist der Mann dazu, bei spätern Auflagen
alle Vorzüge seiner Arbeit noch zu steigern und sie auf der Höhe der wissen¬
schaftlichen Sicherheit und des pädagogischen Tales zu erhalten, die er im
ersten Anlauf erreicht hat.




Grenzbowl III 189624
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[0193] Zur Litteraturgeschichte Georg Ebers, Felix Decbr, Julius Wolfs usw. gewidmet sind. Ganz anders, den Thatsachen entsprechend, klärend und überzeugend, gliedert sich der massen¬ hafte Stoff in Klees Darstellung, obwohl sie viel knapper ist. Er unterscheidet die Nachwirkungen der klassischen Dichtung und der Romantik, die Mischung in den eklektischen Talenten der Epigonenzeit, er hebt die Vorläufer der realistischen Dichtung heraus, er ordnet das junge Deutschland, die politischen Dichter und die Tendeuzdichter des vierten und fünften Jahrzehnt unsers Jahrhunderts dem gemeinsamen Grundzug des politisch-religiösen Liberalismus unter, er setzt Hebbel und Otto Ludwig in ihr Recht als die ersten und bedeutendsten mo¬ dernen Dichter, er verfolgt die realistische Entwicklung von Freytag bis Anzeu- gruber mit sicherm Blick, er überblickt den innern Zug der Litteratur bis zum jüngsten Naturalismus, verwahrt sich kräftig gegen die öde Auslauduach- cchmerei, gegen die aufgeblasene Sensationslust und zersetzende Gemütlosigkeit wie gegen die Unreife und Unklarheit der jüngsten Schule, aber er sucht auch in dieser Gährung die entwicklungsfähigen Keime zu erkennen. Vor allem trennt er in seinen kurzeu Andeutungen über den Entmicklnugsgang der deut¬ schen Dichtung seit 1870 die selbständige und künstlerisch strebende Dichtung von der bloßen Mode- und Uuterhaltuugslitteratur. Daß man anch bei Klee einzelne Namen (wie Adolf Wilbrcmdt, I. V. Widmann, Arthur Fitger u. a.) vermißt, ist unwesentlich, es kommt sür den nächsten Zweck nicht auf Voll¬ ständigkeit des Namen- und Titelregisters an, sondern auf Weckung und Er¬ haltung des Gefühls bei der Jugend, daß es neben der akademischen Erstarrung eine Entwicklung, neben dem Niedergang einen Aufschwung giebt. Auch in Bezug auf Plastik und Schärfe des Stils überragen Klees „Grundziige" die vielverbreiteten Vorgänger und namentlich Kluges Handbuch, das Sätze wie „Einige seiner Idyllen dichtete Boß in niedersächsischer Sprache und gab so Anregung zur Benutzung des Dialekts, wie dies Hebbel. Usteri, in neuester Zeit Klaus Groth, Fritz Reuter u. a. gethan haben," durch sieben¬ undzwanzig Auflagen trägt. Der Stil ist zwar bei solcher Gruppirung und Übersicht uicht die Hauptsache, doch ist es gut, wenn die Jungen anch hier mustergiltigen Satzbau und die klare Bestimmtheit des Ausdrucks finden, die aus der klaren Bestimmtheit der Anschanung und des Urteils hervorgeht. Klees Buch wird seinen Weg macheu und den verdienten Eingang in die Schulen finden, denn der Verfasser ist der Mann dazu, bei spätern Auflagen alle Vorzüge seiner Arbeit noch zu steigern und sie auf der Höhe der wissen¬ schaftlichen Sicherheit und des pädagogischen Tales zu erhalten, die er im ersten Anlauf erreicht hat. Grenzbowl III 189624

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/193>, abgerufen am 01.09.2024.