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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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"Lrnst Lurtius

kleinen und größern Gegner mehr oder weniger den einfachen Weg andrer
Menschenkinder gingen, wuchs sein wissenschaftlicher Ruhm in den achtund¬
zwanzig Jahren seines Berliner Lebens immer mehr. Seine vergriffnen ältern
Bücher wurden mit hohen Preisen bezahlt. Jeder Anlaß und jeder neue
Gedenktag brachte ihm neue Ehren und äußere Auszeichnungen, bis zu den
höchsten, die möglich sind. Selten ist einem Gelehrten so viel Glanz und Ehre
zu teil geworden. Aber bei seiner äußern Vornehmheit blieb er einfach und
schlicht. Er blieb der Lehrer, der Professor und der durch seine hohe Bildung
ausgezeichnete Manu.

Sein äußeres Wesen und seine geistige Bildung ruhten auf der Grund¬
lage einer harmonisch entwickelten Persönlichkeit. Das oft gebrauchte Wort
Vielseitigkeit reicht für ihn nicht aus. Wie er allem, was er schrieb und
sprach, eine gute Form zu geben wußte, so stand auch sein ganzes äußeres
Thun unter dem Einklange einer angenehmen und wohlthuenden, vornehmen
Erscheinung. Aber sein Auftreten war ohne jede Geziertheit, sein ganzes
Wesen durch und durch natürlich. So gehörte er z. B. nicht zu deu sogenannten
guten Unterhaltern. Er pflegte zusammenhängend nicht viel zu sprechen, aber
was er sprach, waren Äußerungen, die aus einer tiefen, innerlichen Anschauung
kamen, in die sich der andre Teil bald hineinfand. Wenn die meisten Menschen
neben ihrem Berufe noch eine besondre Lieblingsbeschäftigung haben, so schien
bei ihm an deren Stelle ein allgemeines, großes, alle seine Lebensgewohn-
heiten durchziehendes Bedürfnis uach menschlicher Geselligkeit zu stehen. Was
andre ermüdet Hütte, war ihm Lebensluft und Stärkung zu neuer Arbeit.
Was er an Gesellschaftsverkehr leisten konnte, grenzt ans unglaubliche. Seine
körperliche Kraft war nicht zu erschöpfen. Er hatte sich aber auch durch
Übungen aller Art, durch Reiten und Fechten auf Stoß und Hieb, durch
Turnen und Handeln seinen Körper frisch zu erhalten gesucht bis ins hohe
Alter. Sein höchstes Ziel war, in sich den Menschen allseitig auszubilden,
und um sich in der Außenwelt suchte er wiederum überall das Menschliche
und wußte es mit sicherm Blicke zu finden. Alles philiströse (er gebrauchte
das Wort gern) war ihm in der Seele zuwider. Was er in seinem wissen¬
schaftlichen Leben an sich hatte: daß eine Art von Intuition das Grübeln und
Ergründen überwog, und das Andenken das Beweisen, das gab seiner ganzen
Persönlichkeit eine große Anziehung. Und darin liegt der Schlüssel zu dem
Geheimnis, daß er den Vornehmsten und den Anspruchsvollsten ebenso genügte
und gefiel, wie den Einfachsten und den Bescheidensten, wenn sie mit ihm zu¬
sammengeführt wurden.

Daß die Freundschaft in eines solchen Mannes Leben eine große Stelle
einnahm, läßt sich denken. Wie fein wußte er unter den Hunderten, mit denen
er in Berührung kam, vom jüngsten Studenten bis zum höchsten Würden¬
träger der Welt, die Menschen zu erkennen und zu sondern. Die besten blieben


«Lrnst Lurtius

kleinen und größern Gegner mehr oder weniger den einfachen Weg andrer
Menschenkinder gingen, wuchs sein wissenschaftlicher Ruhm in den achtund¬
zwanzig Jahren seines Berliner Lebens immer mehr. Seine vergriffnen ältern
Bücher wurden mit hohen Preisen bezahlt. Jeder Anlaß und jeder neue
Gedenktag brachte ihm neue Ehren und äußere Auszeichnungen, bis zu den
höchsten, die möglich sind. Selten ist einem Gelehrten so viel Glanz und Ehre
zu teil geworden. Aber bei seiner äußern Vornehmheit blieb er einfach und
schlicht. Er blieb der Lehrer, der Professor und der durch seine hohe Bildung
ausgezeichnete Manu.

Sein äußeres Wesen und seine geistige Bildung ruhten auf der Grund¬
lage einer harmonisch entwickelten Persönlichkeit. Das oft gebrauchte Wort
Vielseitigkeit reicht für ihn nicht aus. Wie er allem, was er schrieb und
sprach, eine gute Form zu geben wußte, so stand auch sein ganzes äußeres
Thun unter dem Einklange einer angenehmen und wohlthuenden, vornehmen
Erscheinung. Aber sein Auftreten war ohne jede Geziertheit, sein ganzes
Wesen durch und durch natürlich. So gehörte er z. B. nicht zu deu sogenannten
guten Unterhaltern. Er pflegte zusammenhängend nicht viel zu sprechen, aber
was er sprach, waren Äußerungen, die aus einer tiefen, innerlichen Anschauung
kamen, in die sich der andre Teil bald hineinfand. Wenn die meisten Menschen
neben ihrem Berufe noch eine besondre Lieblingsbeschäftigung haben, so schien
bei ihm an deren Stelle ein allgemeines, großes, alle seine Lebensgewohn-
heiten durchziehendes Bedürfnis uach menschlicher Geselligkeit zu stehen. Was
andre ermüdet Hütte, war ihm Lebensluft und Stärkung zu neuer Arbeit.
Was er an Gesellschaftsverkehr leisten konnte, grenzt ans unglaubliche. Seine
körperliche Kraft war nicht zu erschöpfen. Er hatte sich aber auch durch
Übungen aller Art, durch Reiten und Fechten auf Stoß und Hieb, durch
Turnen und Handeln seinen Körper frisch zu erhalten gesucht bis ins hohe
Alter. Sein höchstes Ziel war, in sich den Menschen allseitig auszubilden,
und um sich in der Außenwelt suchte er wiederum überall das Menschliche
und wußte es mit sicherm Blicke zu finden. Alles philiströse (er gebrauchte
das Wort gern) war ihm in der Seele zuwider. Was er in seinem wissen¬
schaftlichen Leben an sich hatte: daß eine Art von Intuition das Grübeln und
Ergründen überwog, und das Andenken das Beweisen, das gab seiner ganzen
Persönlichkeit eine große Anziehung. Und darin liegt der Schlüssel zu dem
Geheimnis, daß er den Vornehmsten und den Anspruchsvollsten ebenso genügte
und gefiel, wie den Einfachsten und den Bescheidensten, wenn sie mit ihm zu¬
sammengeführt wurden.

Daß die Freundschaft in eines solchen Mannes Leben eine große Stelle
einnahm, läßt sich denken. Wie fein wußte er unter den Hunderten, mit denen
er in Berührung kam, vom jüngsten Studenten bis zum höchsten Würden¬
träger der Welt, die Menschen zu erkennen und zu sondern. Die besten blieben


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[0188] «Lrnst Lurtius kleinen und größern Gegner mehr oder weniger den einfachen Weg andrer Menschenkinder gingen, wuchs sein wissenschaftlicher Ruhm in den achtund¬ zwanzig Jahren seines Berliner Lebens immer mehr. Seine vergriffnen ältern Bücher wurden mit hohen Preisen bezahlt. Jeder Anlaß und jeder neue Gedenktag brachte ihm neue Ehren und äußere Auszeichnungen, bis zu den höchsten, die möglich sind. Selten ist einem Gelehrten so viel Glanz und Ehre zu teil geworden. Aber bei seiner äußern Vornehmheit blieb er einfach und schlicht. Er blieb der Lehrer, der Professor und der durch seine hohe Bildung ausgezeichnete Manu. Sein äußeres Wesen und seine geistige Bildung ruhten auf der Grund¬ lage einer harmonisch entwickelten Persönlichkeit. Das oft gebrauchte Wort Vielseitigkeit reicht für ihn nicht aus. Wie er allem, was er schrieb und sprach, eine gute Form zu geben wußte, so stand auch sein ganzes äußeres Thun unter dem Einklange einer angenehmen und wohlthuenden, vornehmen Erscheinung. Aber sein Auftreten war ohne jede Geziertheit, sein ganzes Wesen durch und durch natürlich. So gehörte er z. B. nicht zu deu sogenannten guten Unterhaltern. Er pflegte zusammenhängend nicht viel zu sprechen, aber was er sprach, waren Äußerungen, die aus einer tiefen, innerlichen Anschauung kamen, in die sich der andre Teil bald hineinfand. Wenn die meisten Menschen neben ihrem Berufe noch eine besondre Lieblingsbeschäftigung haben, so schien bei ihm an deren Stelle ein allgemeines, großes, alle seine Lebensgewohn- heiten durchziehendes Bedürfnis uach menschlicher Geselligkeit zu stehen. Was andre ermüdet Hütte, war ihm Lebensluft und Stärkung zu neuer Arbeit. Was er an Gesellschaftsverkehr leisten konnte, grenzt ans unglaubliche. Seine körperliche Kraft war nicht zu erschöpfen. Er hatte sich aber auch durch Übungen aller Art, durch Reiten und Fechten auf Stoß und Hieb, durch Turnen und Handeln seinen Körper frisch zu erhalten gesucht bis ins hohe Alter. Sein höchstes Ziel war, in sich den Menschen allseitig auszubilden, und um sich in der Außenwelt suchte er wiederum überall das Menschliche und wußte es mit sicherm Blicke zu finden. Alles philiströse (er gebrauchte das Wort gern) war ihm in der Seele zuwider. Was er in seinem wissen¬ schaftlichen Leben an sich hatte: daß eine Art von Intuition das Grübeln und Ergründen überwog, und das Andenken das Beweisen, das gab seiner ganzen Persönlichkeit eine große Anziehung. Und darin liegt der Schlüssel zu dem Geheimnis, daß er den Vornehmsten und den Anspruchsvollsten ebenso genügte und gefiel, wie den Einfachsten und den Bescheidensten, wenn sie mit ihm zu¬ sammengeführt wurden. Daß die Freundschaft in eines solchen Mannes Leben eine große Stelle einnahm, läßt sich denken. Wie fein wußte er unter den Hunderten, mit denen er in Berührung kam, vom jüngsten Studenten bis zum höchsten Würden¬ träger der Welt, die Menschen zu erkennen und zu sondern. Die besten blieben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/188>, abgerufen am 01.09.2024.