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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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NUN? -- Auch wissenschaftlich wollte es zunächst nicht recht gelingen, sich
diesen Minderwert verständlich zu machen. Die historische Verarbeitung führte
zu mancherlei Mißverstündnissen und Reibereien, und gern wurde bei solchem
Anlaß die elegante, moderne, pathetische Pergamenerkunst gegen Olympia
hämisch als Trumpf ausgespielt. Wir haben keinen Anlaß, diesen Gegensätzen,
die sich in Äußerungen der allerverschiedensten Art jahrelang fortgesetzt haben,
weiter nachzugehen. Ihre Erwähnung aber gehört mit zu dein Leben des
Mannes, der uns beschäftigt. Er selbst benahm sich dabei musterhaft und
großartig. Er that zunächst das, was in allen Dingen die Hauptsache ist, er
arbeitete, als ob ihn nichts bekümmerte, ruhig und emsig weiter. Er ver¬
öffentlichte zahlreiche archäologische und historische Untersuchungen und Ab¬
handlungen, gab den zweiten Atlas von Athen heraus, arbeitete für Olympia,
las Akademieabhandlungen und hielt Festreden, förderte das Kartenwerk für
attische Landesaufnahme und schrieb ein abschließendes Buch über ätherische
Topographie. Auf Augriffe jeglicher Art that er das beste, was ein geistig
vornehmer Mann thun kann: er schwieg. Was seiner Ansicht nach zu berich¬
tigen war, hob er in einer neuen Auflage oder sonst bei einer passenden Ge¬
legenheit hervor. Selten deutete eine Gegenbemerkung auf den Anlaß der Be¬
richtigung hin, niemals wurde der Leser durch eine Geschichte der betreffenden
Streitfrage in der jetzt so beliebten Weise auf deu langen, unerquicklichen Weg
der Polemik zurückgeführt. Manche seiner Gegner mag es verdrossen haben,
wenn ihrem Protest auf diese Weise nicht die gehörige Ehre geschah. Aber
es so zu machen und nicht anders lag einmal in seiner Natur. Was gut ist,
pflegte er zu sagen, wird bleiben; wenn das Werk von Schlacken gereinigt
wird, so kann das mir nützlich sein. Damit kehrte er zu seiner Arbeit zurück.

Er hatte die glückliche Gabe, sich mit jedem Unangenehmen schnell abzu¬
finden. Es schien dann für ihn nicht mehr vorhanden zu sein. Er freute
sich über alles Schöne und sah auch manches schöner, als es den andern er¬
schien. Das Unangenehme bedauerte er, aber er wollte mit seinen Eindrücken
nicht daran festgehalten werden. Kam z. B. jemand in der Unterhaltung, ohne
es zu wissen, auf eine ihm unsympathische Persönlichkeit, so glitt er darüber
hinweg. Suchte der andre dann ausdrücklich eine Äußerung hervorzurufen, so
konnte er es wohl erleben, daß die klaren, hellblauen Augen plötzlich eine
Richtung in die Weite nahmen und der schöne, edle Kopf gar nichts mehr zu
hören schien.

Wenn Zeus, der Olympier, dem zahlreichen Volke der Arbeiter an seinem
irdischen Nachlaß ihres Schweißes Lohn nicht immer mit gerechten Händen
znzuwägen scheint, so hat dagegen der nachgeborne Heitere (wie man Curtius
oft genannt hat) den Segen seines christlichen Gottes, auf den er fest
vertraute, die Anerkennung und die Liebe des deutschen Volkes und die
Gunst der Höchsten dieser Erde reichlich an sich erfahren. Während seine


Lrnst «Lurtius

NUN? — Auch wissenschaftlich wollte es zunächst nicht recht gelingen, sich
diesen Minderwert verständlich zu machen. Die historische Verarbeitung führte
zu mancherlei Mißverstündnissen und Reibereien, und gern wurde bei solchem
Anlaß die elegante, moderne, pathetische Pergamenerkunst gegen Olympia
hämisch als Trumpf ausgespielt. Wir haben keinen Anlaß, diesen Gegensätzen,
die sich in Äußerungen der allerverschiedensten Art jahrelang fortgesetzt haben,
weiter nachzugehen. Ihre Erwähnung aber gehört mit zu dein Leben des
Mannes, der uns beschäftigt. Er selbst benahm sich dabei musterhaft und
großartig. Er that zunächst das, was in allen Dingen die Hauptsache ist, er
arbeitete, als ob ihn nichts bekümmerte, ruhig und emsig weiter. Er ver¬
öffentlichte zahlreiche archäologische und historische Untersuchungen und Ab¬
handlungen, gab den zweiten Atlas von Athen heraus, arbeitete für Olympia,
las Akademieabhandlungen und hielt Festreden, förderte das Kartenwerk für
attische Landesaufnahme und schrieb ein abschließendes Buch über ätherische
Topographie. Auf Augriffe jeglicher Art that er das beste, was ein geistig
vornehmer Mann thun kann: er schwieg. Was seiner Ansicht nach zu berich¬
tigen war, hob er in einer neuen Auflage oder sonst bei einer passenden Ge¬
legenheit hervor. Selten deutete eine Gegenbemerkung auf den Anlaß der Be¬
richtigung hin, niemals wurde der Leser durch eine Geschichte der betreffenden
Streitfrage in der jetzt so beliebten Weise auf deu langen, unerquicklichen Weg
der Polemik zurückgeführt. Manche seiner Gegner mag es verdrossen haben,
wenn ihrem Protest auf diese Weise nicht die gehörige Ehre geschah. Aber
es so zu machen und nicht anders lag einmal in seiner Natur. Was gut ist,
pflegte er zu sagen, wird bleiben; wenn das Werk von Schlacken gereinigt
wird, so kann das mir nützlich sein. Damit kehrte er zu seiner Arbeit zurück.

Er hatte die glückliche Gabe, sich mit jedem Unangenehmen schnell abzu¬
finden. Es schien dann für ihn nicht mehr vorhanden zu sein. Er freute
sich über alles Schöne und sah auch manches schöner, als es den andern er¬
schien. Das Unangenehme bedauerte er, aber er wollte mit seinen Eindrücken
nicht daran festgehalten werden. Kam z. B. jemand in der Unterhaltung, ohne
es zu wissen, auf eine ihm unsympathische Persönlichkeit, so glitt er darüber
hinweg. Suchte der andre dann ausdrücklich eine Äußerung hervorzurufen, so
konnte er es wohl erleben, daß die klaren, hellblauen Augen plötzlich eine
Richtung in die Weite nahmen und der schöne, edle Kopf gar nichts mehr zu
hören schien.

Wenn Zeus, der Olympier, dem zahlreichen Volke der Arbeiter an seinem
irdischen Nachlaß ihres Schweißes Lohn nicht immer mit gerechten Händen
znzuwägen scheint, so hat dagegen der nachgeborne Heitere (wie man Curtius
oft genannt hat) den Segen seines christlichen Gottes, auf den er fest
vertraute, die Anerkennung und die Liebe des deutschen Volkes und die
Gunst der Höchsten dieser Erde reichlich an sich erfahren. Während seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/187>, abgerufen am 23.11.2024.