Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Welterklärilngsversuche das Einvernehmen (entends) der Menschen unter einander werde die Kultur Es kommt öfter vor, daß Funck uach Franzosenart mit einem Feuerwerk Welterklärilngsversuche das Einvernehmen (entends) der Menschen unter einander werde die Kultur Es kommt öfter vor, daß Funck uach Franzosenart mit einem Feuerwerk <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223121"/> <fw type="header" place="top"> Welterklärilngsversuche</fw><lb/> <p xml:id="ID_549" prev="#ID_548"> das Einvernehmen (entends) der Menschen unter einander werde die Kultur<lb/> erzeugt und gefördert. Ist es voreilig, die Geltung der darwinischen Grund¬<lb/> sätze für die unterhalb des Meuschen stehenden organischen Wesen zuzugeben<lb/> — denn erwiesen ist sie noch nicht —, so ist es unbegreiflich, wie man die<lb/> Notwendigkeit und die Bedeutung des Kampfes gerade für das Menschen-<lb/> geschlecht leugnen kann, die zu erkennen es Darwins gar nicht bedurft hat.<lb/> Freilich kann der Mensch nichts ausrichten ohne das Einvernehmen mit andern<lb/> Menschen. Aber zu einer sntöiiw vorcimls aller Menschen ist es doch noch<lb/> niemals gekommen und wird es wohl auch nie kommen. Der Zusammenschluß<lb/> vollzieht sich immer nur gruppenweise, und je enger sich die Glieder einer<lb/> Gruppe aueinanderschlieszen, desto feindlicher pflegt diese Gruppe andern Gruppen<lb/> gegenüberzustehen. Gerade diese Zusammenschlüsse sind die Ursache immer¬<lb/> währender wütender Kämpfe, wie wir aus der Völkergeschichte wissen und<lb/> an den Parteien, Klassen, Vernfsständen, auch schon an Familien und Familien¬<lb/> verbünden täglich sehen. Und wer möchte behaupten, daß die Kulturentwicklung<lb/> auch ohne den geistigen Kampf zwischen Schulen und Sekten, ohne die wirt¬<lb/> schaftlichen Konkurrenzkampfe und ohne Völkerkriege deutbar wäre? Wenn<lb/> übrigens der Verfasser zuletzt zu dem Ergebnis kommt, daß Kampf und Har¬<lb/> monie, wie im Reiche der chemischen Elemente und der Vcizillen so auch in<lb/> dem der Menschen, nur verschiedne Ansichten derselben Sache seien, so bricht<lb/> er damit seiner Polemik selbst die Spitze ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_550" next="#ID_551"> Es kommt öfter vor, daß Funck uach Franzosenart mit einem Feuerwerk<lb/> geistreicher Eiufülle und schöner Phrasen, in denen sich seine dsaux «si^imöirw<lb/> offenbaren, eine Ansicht verteidigt, um dann schließlich die Berechtigung der<lb/> entgegengesetzten einzugestehen. Ein besonders interessanter Fall ist folgender.<lb/> Er greift aufs heftigste die Arbeitswerttheorie an und behauptet, das Gesetz<lb/> von Angebot und Nachfrage müsse mit dem Gebote der Liebe zusammenfallen.<lb/> „Vom ökonomischen Gesichtspunkte aus sind es die Bedürfnisse der Menschen,<lb/> und uicht ihre sin den Waren steckendes Arbeit, was den Wert der Dinge be¬<lb/> stimmt ^die Kleinigkeit, daß diese Dinge hier eben nur als Waren in Betracht<lb/> kommen, und daß das der ganzen Sache ein andres Gesicht giebt, übersieht er^,<lb/> und vom moralischen Gesichtspunkte aus sind es ihre alleeUoirs, was die Natur<lb/> und den Grad ihrer Bedürfnisse bestimmt." Für ^lloetiou in diesem Zu¬<lb/> sammenhang giebt es keine Übersetzung, denn es stecken beide Grnndbcdentuugen<lb/> des Wortes: Neigung und Leidenschaft, und noch der Begriff der Wertschätzung<lb/> darin. Affektionswert kann man allenfalls mit Licbhaberwert übersetzen, aber<lb/> Liebhaberei würde keine ganz angemessene Übersetzung für Affektion sein. Das<lb/> Wort würde bei einem Briefmarkensammler passend sein, aber weder die Affektion<lb/> wies echten Kunstfreundes richtig bezeichne», der für ein wirkliches Kunstwerk<lb/> einen sehr hohen Preis zahlt, noch die Narrheit einer Frau, die ein bestimmtes<lb/> Kleid um jeden Preis haben will, nicht weil sie in den Gegenstand an sich ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0179]
Welterklärilngsversuche
das Einvernehmen (entends) der Menschen unter einander werde die Kultur
erzeugt und gefördert. Ist es voreilig, die Geltung der darwinischen Grund¬
sätze für die unterhalb des Meuschen stehenden organischen Wesen zuzugeben
— denn erwiesen ist sie noch nicht —, so ist es unbegreiflich, wie man die
Notwendigkeit und die Bedeutung des Kampfes gerade für das Menschen-
geschlecht leugnen kann, die zu erkennen es Darwins gar nicht bedurft hat.
Freilich kann der Mensch nichts ausrichten ohne das Einvernehmen mit andern
Menschen. Aber zu einer sntöiiw vorcimls aller Menschen ist es doch noch
niemals gekommen und wird es wohl auch nie kommen. Der Zusammenschluß
vollzieht sich immer nur gruppenweise, und je enger sich die Glieder einer
Gruppe aueinanderschlieszen, desto feindlicher pflegt diese Gruppe andern Gruppen
gegenüberzustehen. Gerade diese Zusammenschlüsse sind die Ursache immer¬
währender wütender Kämpfe, wie wir aus der Völkergeschichte wissen und
an den Parteien, Klassen, Vernfsständen, auch schon an Familien und Familien¬
verbünden täglich sehen. Und wer möchte behaupten, daß die Kulturentwicklung
auch ohne den geistigen Kampf zwischen Schulen und Sekten, ohne die wirt¬
schaftlichen Konkurrenzkampfe und ohne Völkerkriege deutbar wäre? Wenn
übrigens der Verfasser zuletzt zu dem Ergebnis kommt, daß Kampf und Har¬
monie, wie im Reiche der chemischen Elemente und der Vcizillen so auch in
dem der Menschen, nur verschiedne Ansichten derselben Sache seien, so bricht
er damit seiner Polemik selbst die Spitze ab.
Es kommt öfter vor, daß Funck uach Franzosenart mit einem Feuerwerk
geistreicher Eiufülle und schöner Phrasen, in denen sich seine dsaux «si^imöirw
offenbaren, eine Ansicht verteidigt, um dann schließlich die Berechtigung der
entgegengesetzten einzugestehen. Ein besonders interessanter Fall ist folgender.
Er greift aufs heftigste die Arbeitswerttheorie an und behauptet, das Gesetz
von Angebot und Nachfrage müsse mit dem Gebote der Liebe zusammenfallen.
„Vom ökonomischen Gesichtspunkte aus sind es die Bedürfnisse der Menschen,
und uicht ihre sin den Waren steckendes Arbeit, was den Wert der Dinge be¬
stimmt ^die Kleinigkeit, daß diese Dinge hier eben nur als Waren in Betracht
kommen, und daß das der ganzen Sache ein andres Gesicht giebt, übersieht er^,
und vom moralischen Gesichtspunkte aus sind es ihre alleeUoirs, was die Natur
und den Grad ihrer Bedürfnisse bestimmt." Für ^lloetiou in diesem Zu¬
sammenhang giebt es keine Übersetzung, denn es stecken beide Grnndbcdentuugen
des Wortes: Neigung und Leidenschaft, und noch der Begriff der Wertschätzung
darin. Affektionswert kann man allenfalls mit Licbhaberwert übersetzen, aber
Liebhaberei würde keine ganz angemessene Übersetzung für Affektion sein. Das
Wort würde bei einem Briefmarkensammler passend sein, aber weder die Affektion
wies echten Kunstfreundes richtig bezeichne», der für ein wirkliches Kunstwerk
einen sehr hohen Preis zahlt, noch die Narrheit einer Frau, die ein bestimmtes
Kleid um jeden Preis haben will, nicht weil sie in den Gegenstand an sich ver-
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