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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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keine Lösung des Welträtsels giebt noch geben kann, und sehen die Lösungs¬
versuche, soweit wir sie verfolgen können, bloß daraufhin an, was sie an nütz¬
lichen, praktischen Wahrheiten und Ratschlägen, an unschädlichen Trost- und
Beruhigungsmittel!? oder an schädlichen Irrtümern enthalten. Ans den auf
unserm Büchergestell lagernden Weltweisen greifen wir zu diesem Zweck für
diesmal drei aufs Geratewohl heraus, zwei Deutsche und einen Franzosen und
stellen zunächst den unbedeutendem der beiden Deutschen mit dem Franzosen
zusammen. Nordheim*) war durch das Werk: Werden und Vergehen von
Carus Sterne aus langen peinvollen Zweifeln erlöst worden und glaubte dann,
von den Gedanken Krauses erleuchtet, "in der als gemein verschrieenen Natur
die tiefste Lehre unsers Religionsstifters erfüllt" zu sehen; den Zweiflern, die
leiden, wie er gelitten hat, will er mit seinem Buche "den Ausweg aus dem
verschlungnen Wirrsal des Glaubens und Wissens" weisen. Da sein Buch ein
Kompendium der modernen Kosmogonie, der Geologie, der Darwinischen Ent¬
wicklungslehre und der Kulturgeschichte enthält und ganz hübsch geschrieben ist,
so kauu es Leuten, die sich oberflächlich über diese Dinge unterrichten wollen,
für diesen Zweck so gut empfohlen werden wie irgend ein andres nicht gerade
klassisches Handbuch, Aber Zweiflern können wir es nicht empfehlen; sie würden
vom Regen in die Traufe kommen; der Verfasser irrt sich, wenn er glaubt,
daß das, was ihn befriedigt hat, auch geeignet sei, andre zu befriedigen.
Funck-Vreutano*) (den die Grenzbotenleser aus dem 23. Heft des Jahr¬
gangs 1893 als den Verfasser eines guten Buches über Politik kennen) scheint
stets ein gläubiger, doch nicht kirchlicher Christ geblieben zu sein und will
durch sein Buch, das er seiner Tochter widmet, etwas dazu beitragen, daß die
Moral, in der der eigentliche Sinn des Lebens liege, in den Herzen der Jugend
aufs neue keime. Er entwickelt eine Menge hübsche Gedanken über den Unter¬
schied der Geschlechter, über Kindererziehung und über soziale Fragen, von
denen wir einige, z. B. denen über gewisse Ausschreitungen des heutigen Unter¬
richtswesens, schon in dem Buche über die Politik begegnet sind. Nordheim
leugnet das Jenseits, Funck-Brentano hält es für die unentbehrliche Ergänzung
des Diesseits. Von den Selbsttäuschungen Nordheims, die den Zweiflern,
wenn sich ihm solche anvertrauen wollten, Täuschung und Enttäuschung be¬
reiten würden, wollen wir nur zwei hervorheben.

Nordheim findet, nach Darwins Methode forschend, in der Natur das
Gesetz, daß der Mensch keinen andern Zweck habe als die Erhaltung der Art.
Indem er diesen Zweck mit Bewußtsein erfülle, sei und handle er moralisch.
Mit der bewußten Erfüllung jenes Naturzwecks ist natürlich nicht bloß das



") Die Erfüllung des Christentums auf Grundlage der Entwicklungslehre von
P. Nordheim, Berlin, Bibliographisches Bureau, 18!)4, -- I/Iiomms se s" dostiuöo
xar LIi. I'nupta-örsntano, xrotosssur !t I'veols libro riss soisrwss xolitiizuss. ?",ris,
liwairiv ?Ion, 1895.,
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keine Lösung des Welträtsels giebt noch geben kann, und sehen die Lösungs¬
versuche, soweit wir sie verfolgen können, bloß daraufhin an, was sie an nütz¬
lichen, praktischen Wahrheiten und Ratschlägen, an unschädlichen Trost- und
Beruhigungsmittel!? oder an schädlichen Irrtümern enthalten. Ans den auf
unserm Büchergestell lagernden Weltweisen greifen wir zu diesem Zweck für
diesmal drei aufs Geratewohl heraus, zwei Deutsche und einen Franzosen und
stellen zunächst den unbedeutendem der beiden Deutschen mit dem Franzosen
zusammen. Nordheim*) war durch das Werk: Werden und Vergehen von
Carus Sterne aus langen peinvollen Zweifeln erlöst worden und glaubte dann,
von den Gedanken Krauses erleuchtet, „in der als gemein verschrieenen Natur
die tiefste Lehre unsers Religionsstifters erfüllt" zu sehen; den Zweiflern, die
leiden, wie er gelitten hat, will er mit seinem Buche „den Ausweg aus dem
verschlungnen Wirrsal des Glaubens und Wissens" weisen. Da sein Buch ein
Kompendium der modernen Kosmogonie, der Geologie, der Darwinischen Ent¬
wicklungslehre und der Kulturgeschichte enthält und ganz hübsch geschrieben ist,
so kauu es Leuten, die sich oberflächlich über diese Dinge unterrichten wollen,
für diesen Zweck so gut empfohlen werden wie irgend ein andres nicht gerade
klassisches Handbuch, Aber Zweiflern können wir es nicht empfehlen; sie würden
vom Regen in die Traufe kommen; der Verfasser irrt sich, wenn er glaubt,
daß das, was ihn befriedigt hat, auch geeignet sei, andre zu befriedigen.
Funck-Vreutano*) (den die Grenzbotenleser aus dem 23. Heft des Jahr¬
gangs 1893 als den Verfasser eines guten Buches über Politik kennen) scheint
stets ein gläubiger, doch nicht kirchlicher Christ geblieben zu sein und will
durch sein Buch, das er seiner Tochter widmet, etwas dazu beitragen, daß die
Moral, in der der eigentliche Sinn des Lebens liege, in den Herzen der Jugend
aufs neue keime. Er entwickelt eine Menge hübsche Gedanken über den Unter¬
schied der Geschlechter, über Kindererziehung und über soziale Fragen, von
denen wir einige, z. B. denen über gewisse Ausschreitungen des heutigen Unter¬
richtswesens, schon in dem Buche über die Politik begegnet sind. Nordheim
leugnet das Jenseits, Funck-Brentano hält es für die unentbehrliche Ergänzung
des Diesseits. Von den Selbsttäuschungen Nordheims, die den Zweiflern,
wenn sich ihm solche anvertrauen wollten, Täuschung und Enttäuschung be¬
reiten würden, wollen wir nur zwei hervorheben.

Nordheim findet, nach Darwins Methode forschend, in der Natur das
Gesetz, daß der Mensch keinen andern Zweck habe als die Erhaltung der Art.
Indem er diesen Zweck mit Bewußtsein erfülle, sei und handle er moralisch.
Mit der bewußten Erfüllung jenes Naturzwecks ist natürlich nicht bloß das



") Die Erfüllung des Christentums auf Grundlage der Entwicklungslehre von
P. Nordheim, Berlin, Bibliographisches Bureau, 18!)4, — I/Iiomms se s» dostiuöo
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/170>, abgerufen am 24.11.2024.