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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur allgemeine,! Wehrpflicht

zweiten Gymnasien und Realschulen, unter der dritten Stadt- und Kreisschulen,
unter der vierten Klasse Volksschulen verstanden.

Als Preußen im Jahre 1807 die allgemeine Wehrpflicht einführte, be¬
standen noch eine Menge Vorrechte, die gänzlich vom Dienst befreiten. Die
Hohenzollern hatten größern Städten, dem Adel, wohlhabenden, angesehenen
Bürgern usw. Befreiung vom Militärdienst zugesichert, ja die Kantonnistcn,
d. h. die ausgehöhlten Inländer, wurden während der Hauptarbeiten auf dem
Lande beurlaubt, alles, um die Steuerkraft des Landes durch Hebung von
Industrie und Landwirtschaft zu stärken. Diese Rechte konnten unmöglich ohne
jede Gegenleistung aufgehoben werden. Deshalb führte man die einjährige
Dienstzeit ein und knüpfte diese Vergünstigung an den Nachweis bestimmter
Kenntnisse. Daß das "Berechtigungsunwesen," wie der Verfasser des frühern
Aufsatzes sagt, unser Schulwesen hemme, ist doch kaum anzunehmen. Die Schule
hat doch den Zweck, die Jugend denken zu lehren und für einen Beruf vor¬
zubereiten. Wenn also möglichst viel junge Leute die Schulen nur besuchen, um
es zum Einjährigen zu bringen, so ist das ihre Sache. Die Schule sollte sich
dadurch in ihrem Unterrichtsgange nicht beeinflussen lassen. Es ist deshalb
schwer verständlich, weshalb das "Berechtigungsunwesen" unser Schulwesen
hemmen soll. Die einzige Möglichkeit, daß das Berechtigungswesen auf den
Gang des Schulunterrichts einen Einfluß übt, könnte in der neuen Bestimmung
liegen, die die sekundärer am Schluß des Schuljahres nochmals einer be¬
sondern Prüfung unterwirft, anstatt daß man sich früher mit dem vom Lehrer¬
kollegium ausgestellten Reifezeugnis für Obcrsekunda begnügte. Diese besondre
Prüfung mag ja in manchen Schulen auf den Lehrgang einwirken. Nach
meiner Meinung könnte die Prüfung wieder wegfallen; damit wäre die Un¬
abhängigkeit der Schulen wieder hergestellt.

Was es aber den Leuten schaden soll, die den einjährigen Dienst erstreben,
wenn sie Schulen besuchen oder durch Privatunterricht Kenntnisse sammeln,
ist schwer verständlich. Daß die Einjährigenbildung keine allgemeine Bildung
ist, wie eine abgeschlossene Gymnasial- oder Realschulbilduug, darüber ist wohl
niemand im Zweifel. Dennoch ist die Einjährigenbildung kein unverdauter
Ballast. Der Verfasser Hütte nur im Kriege 1870/71 das Erstaunen der
Franzosen über das Auftreten unsrer Einjährigen, über ihre Sprach- und
Landeskenntnisse sehen sollen. Welche Dienste haben die Einjährigen in dem
Feldzuge als Ordonnanzen, als Gehilfen der quartiermachenden Offiziere, in den
verschiednen Munitions- und Verpflegungskolonnen usw. geleistet, ihres über¬
legten, umsichtigen und tapfern Verhaltens in den Schlachten und Gefechten
gar nicht zu gedenken! Ich rede hier von den Einjährigen, die nicht Reserve¬
offiziere waren oder wurden, sondern den Feldzug als Soldaten und Unter¬
offiziere mitmachten. Natürlich können nicht alle Einjährigen Reserveoffiziere
werden, sie sind auch keineswegs ausschließlich dazu bestimmt. Auch die all-


Zur allgemeine,! Wehrpflicht

zweiten Gymnasien und Realschulen, unter der dritten Stadt- und Kreisschulen,
unter der vierten Klasse Volksschulen verstanden.

Als Preußen im Jahre 1807 die allgemeine Wehrpflicht einführte, be¬
standen noch eine Menge Vorrechte, die gänzlich vom Dienst befreiten. Die
Hohenzollern hatten größern Städten, dem Adel, wohlhabenden, angesehenen
Bürgern usw. Befreiung vom Militärdienst zugesichert, ja die Kantonnistcn,
d. h. die ausgehöhlten Inländer, wurden während der Hauptarbeiten auf dem
Lande beurlaubt, alles, um die Steuerkraft des Landes durch Hebung von
Industrie und Landwirtschaft zu stärken. Diese Rechte konnten unmöglich ohne
jede Gegenleistung aufgehoben werden. Deshalb führte man die einjährige
Dienstzeit ein und knüpfte diese Vergünstigung an den Nachweis bestimmter
Kenntnisse. Daß das „Berechtigungsunwesen," wie der Verfasser des frühern
Aufsatzes sagt, unser Schulwesen hemme, ist doch kaum anzunehmen. Die Schule
hat doch den Zweck, die Jugend denken zu lehren und für einen Beruf vor¬
zubereiten. Wenn also möglichst viel junge Leute die Schulen nur besuchen, um
es zum Einjährigen zu bringen, so ist das ihre Sache. Die Schule sollte sich
dadurch in ihrem Unterrichtsgange nicht beeinflussen lassen. Es ist deshalb
schwer verständlich, weshalb das „Berechtigungsunwesen" unser Schulwesen
hemmen soll. Die einzige Möglichkeit, daß das Berechtigungswesen auf den
Gang des Schulunterrichts einen Einfluß übt, könnte in der neuen Bestimmung
liegen, die die sekundärer am Schluß des Schuljahres nochmals einer be¬
sondern Prüfung unterwirft, anstatt daß man sich früher mit dem vom Lehrer¬
kollegium ausgestellten Reifezeugnis für Obcrsekunda begnügte. Diese besondre
Prüfung mag ja in manchen Schulen auf den Lehrgang einwirken. Nach
meiner Meinung könnte die Prüfung wieder wegfallen; damit wäre die Un¬
abhängigkeit der Schulen wieder hergestellt.

Was es aber den Leuten schaden soll, die den einjährigen Dienst erstreben,
wenn sie Schulen besuchen oder durch Privatunterricht Kenntnisse sammeln,
ist schwer verständlich. Daß die Einjährigenbildung keine allgemeine Bildung
ist, wie eine abgeschlossene Gymnasial- oder Realschulbilduug, darüber ist wohl
niemand im Zweifel. Dennoch ist die Einjährigenbildung kein unverdauter
Ballast. Der Verfasser Hütte nur im Kriege 1870/71 das Erstaunen der
Franzosen über das Auftreten unsrer Einjährigen, über ihre Sprach- und
Landeskenntnisse sehen sollen. Welche Dienste haben die Einjährigen in dem
Feldzuge als Ordonnanzen, als Gehilfen der quartiermachenden Offiziere, in den
verschiednen Munitions- und Verpflegungskolonnen usw. geleistet, ihres über¬
legten, umsichtigen und tapfern Verhaltens in den Schlachten und Gefechten
gar nicht zu gedenken! Ich rede hier von den Einjährigen, die nicht Reserve¬
offiziere waren oder wurden, sondern den Feldzug als Soldaten und Unter¬
offiziere mitmachten. Natürlich können nicht alle Einjährigen Reserveoffiziere
werden, sie sind auch keineswegs ausschließlich dazu bestimmt. Auch die all-


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[0165] Zur allgemeine,! Wehrpflicht zweiten Gymnasien und Realschulen, unter der dritten Stadt- und Kreisschulen, unter der vierten Klasse Volksschulen verstanden. Als Preußen im Jahre 1807 die allgemeine Wehrpflicht einführte, be¬ standen noch eine Menge Vorrechte, die gänzlich vom Dienst befreiten. Die Hohenzollern hatten größern Städten, dem Adel, wohlhabenden, angesehenen Bürgern usw. Befreiung vom Militärdienst zugesichert, ja die Kantonnistcn, d. h. die ausgehöhlten Inländer, wurden während der Hauptarbeiten auf dem Lande beurlaubt, alles, um die Steuerkraft des Landes durch Hebung von Industrie und Landwirtschaft zu stärken. Diese Rechte konnten unmöglich ohne jede Gegenleistung aufgehoben werden. Deshalb führte man die einjährige Dienstzeit ein und knüpfte diese Vergünstigung an den Nachweis bestimmter Kenntnisse. Daß das „Berechtigungsunwesen," wie der Verfasser des frühern Aufsatzes sagt, unser Schulwesen hemme, ist doch kaum anzunehmen. Die Schule hat doch den Zweck, die Jugend denken zu lehren und für einen Beruf vor¬ zubereiten. Wenn also möglichst viel junge Leute die Schulen nur besuchen, um es zum Einjährigen zu bringen, so ist das ihre Sache. Die Schule sollte sich dadurch in ihrem Unterrichtsgange nicht beeinflussen lassen. Es ist deshalb schwer verständlich, weshalb das „Berechtigungsunwesen" unser Schulwesen hemmen soll. Die einzige Möglichkeit, daß das Berechtigungswesen auf den Gang des Schulunterrichts einen Einfluß übt, könnte in der neuen Bestimmung liegen, die die sekundärer am Schluß des Schuljahres nochmals einer be¬ sondern Prüfung unterwirft, anstatt daß man sich früher mit dem vom Lehrer¬ kollegium ausgestellten Reifezeugnis für Obcrsekunda begnügte. Diese besondre Prüfung mag ja in manchen Schulen auf den Lehrgang einwirken. Nach meiner Meinung könnte die Prüfung wieder wegfallen; damit wäre die Un¬ abhängigkeit der Schulen wieder hergestellt. Was es aber den Leuten schaden soll, die den einjährigen Dienst erstreben, wenn sie Schulen besuchen oder durch Privatunterricht Kenntnisse sammeln, ist schwer verständlich. Daß die Einjährigenbildung keine allgemeine Bildung ist, wie eine abgeschlossene Gymnasial- oder Realschulbilduug, darüber ist wohl niemand im Zweifel. Dennoch ist die Einjährigenbildung kein unverdauter Ballast. Der Verfasser Hütte nur im Kriege 1870/71 das Erstaunen der Franzosen über das Auftreten unsrer Einjährigen, über ihre Sprach- und Landeskenntnisse sehen sollen. Welche Dienste haben die Einjährigen in dem Feldzuge als Ordonnanzen, als Gehilfen der quartiermachenden Offiziere, in den verschiednen Munitions- und Verpflegungskolonnen usw. geleistet, ihres über¬ legten, umsichtigen und tapfern Verhaltens in den Schlachten und Gefechten gar nicht zu gedenken! Ich rede hier von den Einjährigen, die nicht Reserve¬ offiziere waren oder wurden, sondern den Feldzug als Soldaten und Unter¬ offiziere mitmachten. Natürlich können nicht alle Einjährigen Reserveoffiziere werden, sie sind auch keineswegs ausschließlich dazu bestimmt. Auch die all-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/165>, abgerufen am 26.11.2024.