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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur allgemeinen Wehrpflicht

den Krieg ist das Heer. Das heutige Heer braucht aber nicht nur Leute, die
die Waffen führen, sondern auch solche, die die Unterbringung, Verpflegung
und Bewegung der Heere besorgen. Es ist auch bekannt, daß sich der gebildete
Mann leichter und schneller für die Anforderungen, die das Heerwesen im
Kriege an ihn stellt, einüben läßt als der weniger gebildete. Da außerdem
der Gebildete, um den höhern Bildungsgrad zu erreichen, für seinen Lebensberuf
mehr Mittel aufgewendet hat als der Ungebildete, so ist es nicht mehr als
billig, daß man ihn nur kürzere Zeit bei der Fahne hält. Daher stammt die
Einrichtung des einjährigen Dienstes. Sie ist also nicht etwa ein Benefizium
für die gebildeten Klaffen, sondern nur eine Gegenleistung sür die Aufwendungen,
die diese schon zum Nutzen des Vaterlandes gemacht haben. Endlich verschafft
die Einrichtung des Einjährigendienstes dem Vaterlande eine große Anzahl
von ausgebildeten Soldaten, ohne daß ihm deren Dienstzeit auch nur einen
Pfennig an Löhnung und Verpflegung kostet. Es ist aber ein Unterschied für
einen Vater, ob er seinen Sohn zwei Jahre auf eigne Kosten dienen laßt
oder nur ein Jahr. Aus all den angeführtrn Gründen scheint es mir, daß
der Vorschlag, den Einjährigendienst ganz abzuschaffen und allgemeine zwei¬
jährige Dienstzeit einzuführen, falsch sei. Rußland z. B. hat das Prinzip richtig
erfaßt, indem es die Dienstzeit nach den verschiednen Bildungsgraden der Dienst¬
pflichtigen abstuft und durch einen Zusatz vom Jahre 1888 zu dem Gesetz über
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht vom 13. Januar 1874 folgendes be¬
stimmt: Die Dienstzeit im stehenden Heere beträgt 18 Jahre, davon bei der
Fahne 5, in der Reserve 13 Jahre. Die Verkürzung der Dienstzeit, die den
gebildeten Klaffen der Bevölkerung zugestanden ist, steht im Verhältnis zu der
Bildungsstufe, auf der sich die Dienstpflichtigen befinden, und ist größer oder
kleiner, je nachdem der Diensteintritt freiwillig oder infolge der Aushebung,
d. h. durch Teilnahme an der Losung geschieht. Demnach dienen:

s) Ausgehöhlte Mannschaften
bei der Fahne in der Reserve
1, Bildungsstufe .... 2 Jahre 16 Jahre
2, ,.....3 " 15 "
3- ,.....4 " 14 "
d) Freiwillige
1- " .... 1 " 13 "
2.......2 " 12 "

Auf der ersten Bildungsstufe stehen die, die ein Abgangszeugnis von Lehr¬
anstalten erster und zweiter Klasse haben; auf der zweiten und dritten
Bildungsstufe stehen von ausgehöhlten Mannschaften die, die ein Zeugnis von
einer Schule dritter und vierter Klasse haben, von Freiwilligen auf der zweiten
Bildungsstufe die, die eine besondre Prüfung bestanden haben. Unter der ersten
Klasse der Lehranstalten werden Universitäten und Hochschulen, unter der


Zur allgemeinen Wehrpflicht

den Krieg ist das Heer. Das heutige Heer braucht aber nicht nur Leute, die
die Waffen führen, sondern auch solche, die die Unterbringung, Verpflegung
und Bewegung der Heere besorgen. Es ist auch bekannt, daß sich der gebildete
Mann leichter und schneller für die Anforderungen, die das Heerwesen im
Kriege an ihn stellt, einüben läßt als der weniger gebildete. Da außerdem
der Gebildete, um den höhern Bildungsgrad zu erreichen, für seinen Lebensberuf
mehr Mittel aufgewendet hat als der Ungebildete, so ist es nicht mehr als
billig, daß man ihn nur kürzere Zeit bei der Fahne hält. Daher stammt die
Einrichtung des einjährigen Dienstes. Sie ist also nicht etwa ein Benefizium
für die gebildeten Klaffen, sondern nur eine Gegenleistung sür die Aufwendungen,
die diese schon zum Nutzen des Vaterlandes gemacht haben. Endlich verschafft
die Einrichtung des Einjährigendienstes dem Vaterlande eine große Anzahl
von ausgebildeten Soldaten, ohne daß ihm deren Dienstzeit auch nur einen
Pfennig an Löhnung und Verpflegung kostet. Es ist aber ein Unterschied für
einen Vater, ob er seinen Sohn zwei Jahre auf eigne Kosten dienen laßt
oder nur ein Jahr. Aus all den angeführtrn Gründen scheint es mir, daß
der Vorschlag, den Einjährigendienst ganz abzuschaffen und allgemeine zwei¬
jährige Dienstzeit einzuführen, falsch sei. Rußland z. B. hat das Prinzip richtig
erfaßt, indem es die Dienstzeit nach den verschiednen Bildungsgraden der Dienst¬
pflichtigen abstuft und durch einen Zusatz vom Jahre 1888 zu dem Gesetz über
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht vom 13. Januar 1874 folgendes be¬
stimmt: Die Dienstzeit im stehenden Heere beträgt 18 Jahre, davon bei der
Fahne 5, in der Reserve 13 Jahre. Die Verkürzung der Dienstzeit, die den
gebildeten Klaffen der Bevölkerung zugestanden ist, steht im Verhältnis zu der
Bildungsstufe, auf der sich die Dienstpflichtigen befinden, und ist größer oder
kleiner, je nachdem der Diensteintritt freiwillig oder infolge der Aushebung,
d. h. durch Teilnahme an der Losung geschieht. Demnach dienen:

s) Ausgehöhlte Mannschaften
bei der Fahne in der Reserve
1, Bildungsstufe .... 2 Jahre 16 Jahre
2, ,.....3 „ 15 „
3- ,.....4 „ 14 „
d) Freiwillige
1- „ .... 1 „ 13 „
2.......2 „ 12 „

Auf der ersten Bildungsstufe stehen die, die ein Abgangszeugnis von Lehr¬
anstalten erster und zweiter Klasse haben; auf der zweiten und dritten
Bildungsstufe stehen von ausgehöhlten Mannschaften die, die ein Zeugnis von
einer Schule dritter und vierter Klasse haben, von Freiwilligen auf der zweiten
Bildungsstufe die, die eine besondre Prüfung bestanden haben. Unter der ersten
Klasse der Lehranstalten werden Universitäten und Hochschulen, unter der


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[0164] Zur allgemeinen Wehrpflicht den Krieg ist das Heer. Das heutige Heer braucht aber nicht nur Leute, die die Waffen führen, sondern auch solche, die die Unterbringung, Verpflegung und Bewegung der Heere besorgen. Es ist auch bekannt, daß sich der gebildete Mann leichter und schneller für die Anforderungen, die das Heerwesen im Kriege an ihn stellt, einüben läßt als der weniger gebildete. Da außerdem der Gebildete, um den höhern Bildungsgrad zu erreichen, für seinen Lebensberuf mehr Mittel aufgewendet hat als der Ungebildete, so ist es nicht mehr als billig, daß man ihn nur kürzere Zeit bei der Fahne hält. Daher stammt die Einrichtung des einjährigen Dienstes. Sie ist also nicht etwa ein Benefizium für die gebildeten Klaffen, sondern nur eine Gegenleistung sür die Aufwendungen, die diese schon zum Nutzen des Vaterlandes gemacht haben. Endlich verschafft die Einrichtung des Einjährigendienstes dem Vaterlande eine große Anzahl von ausgebildeten Soldaten, ohne daß ihm deren Dienstzeit auch nur einen Pfennig an Löhnung und Verpflegung kostet. Es ist aber ein Unterschied für einen Vater, ob er seinen Sohn zwei Jahre auf eigne Kosten dienen laßt oder nur ein Jahr. Aus all den angeführtrn Gründen scheint es mir, daß der Vorschlag, den Einjährigendienst ganz abzuschaffen und allgemeine zwei¬ jährige Dienstzeit einzuführen, falsch sei. Rußland z. B. hat das Prinzip richtig erfaßt, indem es die Dienstzeit nach den verschiednen Bildungsgraden der Dienst¬ pflichtigen abstuft und durch einen Zusatz vom Jahre 1888 zu dem Gesetz über Einführung der allgemeinen Wehrpflicht vom 13. Januar 1874 folgendes be¬ stimmt: Die Dienstzeit im stehenden Heere beträgt 18 Jahre, davon bei der Fahne 5, in der Reserve 13 Jahre. Die Verkürzung der Dienstzeit, die den gebildeten Klaffen der Bevölkerung zugestanden ist, steht im Verhältnis zu der Bildungsstufe, auf der sich die Dienstpflichtigen befinden, und ist größer oder kleiner, je nachdem der Diensteintritt freiwillig oder infolge der Aushebung, d. h. durch Teilnahme an der Losung geschieht. Demnach dienen: s) Ausgehöhlte Mannschaften bei der Fahne in der Reserve 1, Bildungsstufe .... 2 Jahre 16 Jahre 2, ,.....3 „ 15 „ 3- ,.....4 „ 14 „ d) Freiwillige 1- „ .... 1 „ 13 „ 2.......2 „ 12 „ Auf der ersten Bildungsstufe stehen die, die ein Abgangszeugnis von Lehr¬ anstalten erster und zweiter Klasse haben; auf der zweiten und dritten Bildungsstufe stehen von ausgehöhlten Mannschaften die, die ein Zeugnis von einer Schule dritter und vierter Klasse haben, von Freiwilligen auf der zweiten Bildungsstufe die, die eine besondre Prüfung bestanden haben. Unter der ersten Klasse der Lehranstalten werden Universitäten und Hochschulen, unter der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/164>, abgerufen am 01.09.2024.