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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Lin wirtschaftspolitischer Rückblick

zuWehren. Wenn unsre Agrarier heute gewissermaße" die Welt auf den Kopf
stellen wollen, so ist es zu Anfange gewiß nicht beabsichtigt worden, daß die
agrarische Bewegung einen solchen Verlauf nehmen solle, aber sie ist durch eine
zwingende Notwendigkeit dahin getrieben worden, weil man sich eigensinnig
darauf versteifte, etwas erreichen zu wollen, was nicht zu erreichen war. Es
ist auch uicht beabsichtigt worden, daß sich das Verlangen des Schutzes der
nationalen Arbeit zu dem Verlangen der einseitigen Bevorzugung eines einzelnen
Berufsstandes auf Kosten der andern ausbilden solle, aber durch die an¬
dauernde Unzufriedenheit des einen Berufsstaudes, dem so schöne Versprechungen
gemacht worden waren, und, wie man hinzufügen muß, durch seine andauernd
unbefriedigende Lage ist es allmählich dahin gekommen.

Um wieder auf die Zollpolitik, die ja nur einen Teil dieser ganzen Wirt¬
schaftspolitik ausmacht, zu kommen, so sollte auch bei ihrer Beurteilung weniger
die Frage gestellt werden, ob Zölle überhaupt zweckmäßig und zulässig seien,
sondern'ob im einzelnen Falle ein Zoll angebracht sei. ob damit erreicht werde,
was erstrebt wird. ob in den allgemeinen Verhältnissen die Berechtigung zu
solcher Maßregel liege.

Auch die Berechtigung von Jndustriezöllen ist ja vielfach bestritten worden.
Es ist namentlich, und mit vollem Recht, hingewiesen worden auf die weiter"
Folgen, die das Vorgehen eines einzelnen Staates auf diesem Gebiet leicht
haben kann. Da entsteht dann in den verschiednen Ländern ein Wetteifer, die
eigne Industrie zu stärken, sich vom Auslande möglichst unabhängig zu machen,
wie der Ausdruck lautet. Dabei wird zu wenig darauf Rücksicht genommen,
ob wohl die wirtschaftliche Entwicklung des eignen Landes ein solches Vor¬
gehen rechtfertigt. Künstlich wird eine Industrie großgezogen, für deren Empor¬
kommen die Bedingungen nicht günstig liege", und die man lieber allmählich
sich entwickeln lassen sollte. Es wird eine handelspolitische Feindschaft erzeugt,
und man kommt zu einer gegenseitigen Absperrung durch Zölle, die ans den
Wohlstand der Länder insgesamt ungünstig einwirkt, da gerade der Austausch
"n Arbeitscrzeugnissen zwischen einem wirtschaftlich höher entwickelten und
einem auf niedrigerer Stufe stehenden Lande für beide Teile vorteilhaft ist.

Aber wie man auch über unsre Jndnstriezölle urteilen mag. so viel ist
gewiß, daß sich die Industrie viel leichter befriedigt gezeigt hat als die Land¬
wirtschaft, oder vielmehr die Landwirte, die zu der agrarischen Fahne schwören
und auf die von agrarischer Seite empfohlnen Heilmittel große Hoffnungen
gesetzt haben und noch setzen. Und das hat seinen guten Grund. Unsre In¬
dustrie ist kräftig emporgeblüht hauptsächlich deshalb, weil Deutschland zum
Industriestaat überging in eiuer Zeit, die sür eine solche Entwicklung günstig
war. Und wenn nun gleichzeitig die Landwirtschaft, immer in dem angeführten
Sinne gemeint, trotz der ihr mehr und mehr zugestandnen Bevorzugung fort
und fort über Zurücksetzung klagt, so wird auch sofort der Unterschied klar


Lin wirtschaftspolitischer Rückblick

zuWehren. Wenn unsre Agrarier heute gewissermaße» die Welt auf den Kopf
stellen wollen, so ist es zu Anfange gewiß nicht beabsichtigt worden, daß die
agrarische Bewegung einen solchen Verlauf nehmen solle, aber sie ist durch eine
zwingende Notwendigkeit dahin getrieben worden, weil man sich eigensinnig
darauf versteifte, etwas erreichen zu wollen, was nicht zu erreichen war. Es
ist auch uicht beabsichtigt worden, daß sich das Verlangen des Schutzes der
nationalen Arbeit zu dem Verlangen der einseitigen Bevorzugung eines einzelnen
Berufsstandes auf Kosten der andern ausbilden solle, aber durch die an¬
dauernde Unzufriedenheit des einen Berufsstaudes, dem so schöne Versprechungen
gemacht worden waren, und, wie man hinzufügen muß, durch seine andauernd
unbefriedigende Lage ist es allmählich dahin gekommen.

Um wieder auf die Zollpolitik, die ja nur einen Teil dieser ganzen Wirt¬
schaftspolitik ausmacht, zu kommen, so sollte auch bei ihrer Beurteilung weniger
die Frage gestellt werden, ob Zölle überhaupt zweckmäßig und zulässig seien,
sondern'ob im einzelnen Falle ein Zoll angebracht sei. ob damit erreicht werde,
was erstrebt wird. ob in den allgemeinen Verhältnissen die Berechtigung zu
solcher Maßregel liege.

Auch die Berechtigung von Jndustriezöllen ist ja vielfach bestritten worden.
Es ist namentlich, und mit vollem Recht, hingewiesen worden auf die weiter»
Folgen, die das Vorgehen eines einzelnen Staates auf diesem Gebiet leicht
haben kann. Da entsteht dann in den verschiednen Ländern ein Wetteifer, die
eigne Industrie zu stärken, sich vom Auslande möglichst unabhängig zu machen,
wie der Ausdruck lautet. Dabei wird zu wenig darauf Rücksicht genommen,
ob wohl die wirtschaftliche Entwicklung des eignen Landes ein solches Vor¬
gehen rechtfertigt. Künstlich wird eine Industrie großgezogen, für deren Empor¬
kommen die Bedingungen nicht günstig liege», und die man lieber allmählich
sich entwickeln lassen sollte. Es wird eine handelspolitische Feindschaft erzeugt,
und man kommt zu einer gegenseitigen Absperrung durch Zölle, die ans den
Wohlstand der Länder insgesamt ungünstig einwirkt, da gerade der Austausch
"n Arbeitscrzeugnissen zwischen einem wirtschaftlich höher entwickelten und
einem auf niedrigerer Stufe stehenden Lande für beide Teile vorteilhaft ist.

Aber wie man auch über unsre Jndnstriezölle urteilen mag. so viel ist
gewiß, daß sich die Industrie viel leichter befriedigt gezeigt hat als die Land¬
wirtschaft, oder vielmehr die Landwirte, die zu der agrarischen Fahne schwören
und auf die von agrarischer Seite empfohlnen Heilmittel große Hoffnungen
gesetzt haben und noch setzen. Und das hat seinen guten Grund. Unsre In¬
dustrie ist kräftig emporgeblüht hauptsächlich deshalb, weil Deutschland zum
Industriestaat überging in eiuer Zeit, die sür eine solche Entwicklung günstig
war. Und wenn nun gleichzeitig die Landwirtschaft, immer in dem angeführten
Sinne gemeint, trotz der ihr mehr und mehr zugestandnen Bevorzugung fort
und fort über Zurücksetzung klagt, so wird auch sofort der Unterschied klar


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[0157] Lin wirtschaftspolitischer Rückblick zuWehren. Wenn unsre Agrarier heute gewissermaße» die Welt auf den Kopf stellen wollen, so ist es zu Anfange gewiß nicht beabsichtigt worden, daß die agrarische Bewegung einen solchen Verlauf nehmen solle, aber sie ist durch eine zwingende Notwendigkeit dahin getrieben worden, weil man sich eigensinnig darauf versteifte, etwas erreichen zu wollen, was nicht zu erreichen war. Es ist auch uicht beabsichtigt worden, daß sich das Verlangen des Schutzes der nationalen Arbeit zu dem Verlangen der einseitigen Bevorzugung eines einzelnen Berufsstandes auf Kosten der andern ausbilden solle, aber durch die an¬ dauernde Unzufriedenheit des einen Berufsstaudes, dem so schöne Versprechungen gemacht worden waren, und, wie man hinzufügen muß, durch seine andauernd unbefriedigende Lage ist es allmählich dahin gekommen. Um wieder auf die Zollpolitik, die ja nur einen Teil dieser ganzen Wirt¬ schaftspolitik ausmacht, zu kommen, so sollte auch bei ihrer Beurteilung weniger die Frage gestellt werden, ob Zölle überhaupt zweckmäßig und zulässig seien, sondern'ob im einzelnen Falle ein Zoll angebracht sei. ob damit erreicht werde, was erstrebt wird. ob in den allgemeinen Verhältnissen die Berechtigung zu solcher Maßregel liege. Auch die Berechtigung von Jndustriezöllen ist ja vielfach bestritten worden. Es ist namentlich, und mit vollem Recht, hingewiesen worden auf die weiter» Folgen, die das Vorgehen eines einzelnen Staates auf diesem Gebiet leicht haben kann. Da entsteht dann in den verschiednen Ländern ein Wetteifer, die eigne Industrie zu stärken, sich vom Auslande möglichst unabhängig zu machen, wie der Ausdruck lautet. Dabei wird zu wenig darauf Rücksicht genommen, ob wohl die wirtschaftliche Entwicklung des eignen Landes ein solches Vor¬ gehen rechtfertigt. Künstlich wird eine Industrie großgezogen, für deren Empor¬ kommen die Bedingungen nicht günstig liege», und die man lieber allmählich sich entwickeln lassen sollte. Es wird eine handelspolitische Feindschaft erzeugt, und man kommt zu einer gegenseitigen Absperrung durch Zölle, die ans den Wohlstand der Länder insgesamt ungünstig einwirkt, da gerade der Austausch "n Arbeitscrzeugnissen zwischen einem wirtschaftlich höher entwickelten und einem auf niedrigerer Stufe stehenden Lande für beide Teile vorteilhaft ist. Aber wie man auch über unsre Jndnstriezölle urteilen mag. so viel ist gewiß, daß sich die Industrie viel leichter befriedigt gezeigt hat als die Land¬ wirtschaft, oder vielmehr die Landwirte, die zu der agrarischen Fahne schwören und auf die von agrarischer Seite empfohlnen Heilmittel große Hoffnungen gesetzt haben und noch setzen. Und das hat seinen guten Grund. Unsre In¬ dustrie ist kräftig emporgeblüht hauptsächlich deshalb, weil Deutschland zum Industriestaat überging in eiuer Zeit, die sür eine solche Entwicklung günstig war. Und wenn nun gleichzeitig die Landwirtschaft, immer in dem angeführten Sinne gemeint, trotz der ihr mehr und mehr zugestandnen Bevorzugung fort und fort über Zurücksetzung klagt, so wird auch sofort der Unterschied klar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/157>, abgerufen am 01.09.2024.