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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Macht des Unvernünftigen

Dieser Herr ist besonders bemüht, den agrarischen Theorien einen, man möchte
sagen sensationellen Anstrich zu geben. Die agrarischen Irrtümer sind in
seinen Schriften auf die Spitze getrieben; diese Schriften zeugen von ganz ein¬
seitiger Parteileidenschaft, und ihr Verfasser scheint sich etwas darauf zu gute
zu thun, eine neue Richtung anzubahnen, kühne Vorschläge zu einer gründ¬
lichen Umgestaltung der neuzeitlichen Wirtschaftsordnung zu machen. Seiner
Darstellung zufolge besteht eigentlich die ganze in der Neuzeit so sehr hervor¬
tretende Wirksamkeit des Kapitals, sein Anteil an der Erschließung neuer
Länder und der Herstellung neuer Verkehrsverbindungen nur ans fortgesetztem
Verbrechen gegen die Gesellschaft. Man sollte demnach annehmen, daß es am
zweckmäßigsten Ware, die Verkehrsverbindungen als eine Art von Teufelswerk
zu zerstören, Frachten auf Karren zu befördern, kurz, in allem das wirtschaft¬
liche Leben zurückzuschrauben und die alten Zustände wieder herzustellen,
damit das böse Kapital nicht überall seinen Schnitt machen könne. So
weit geht nun Herr Rusland nicht; er würde sich dnrch solche Vorschläge auch
bei seinen Anhängern lächerlich machen. Wohl aber glaubt er den armen
produktiven Berufsständen die Befreiung von dem schmählichen Joch des Ka¬
pitals in Aussicht stellen zu können, wenn hierzu nur die rechten Mittel er¬
griffen werden. Er plant so etwas wie ein Bündnis der produktiven Stände
aller Kulturländer zur Abschüttlung dieses Jochs, und er glaubt einen Siegeszug
der agrarischen Ideen durch alle diese Länder prophezeien zu können. Aber
soweit sind wir glücklicherweise noch nicht. Es ist zwar zugegeben, daß auch
anderswo Selbstsucht und wirtschaftlicher Unverstand eine große Macht haben,
so namentlich in dem Völkergewirr der Vereinigten Staaten, wo diese Be¬
strebungen in der Denkweise eines großen Teils der Bevölkerung eine Stütze
finden, wo noch wirrer der Wunderglaube an die gesetzgeberische Kraft und
das Gelüsten nach fremdem Gut auftritt. Sogar an die Thore Altenglands,
dieses alten Musterlandes gesetzgeberischer Besonnenheit, pocht die Unvernunft.
Sogar dort hat das Wort: "Es muß geholfen werden!" seine verhängnisvolle
Wirkung geübt, und es werden die ersten schüchternen Versuche gemacht, durch
einige vermeintlich harmlose Zugeständnisse die nimmersatten Jnteressenpolitiker
zu befriedigen. Aber internationale Vereinbarungen zur Ausführung der
agrarischen Gesetzvorschläge werden doch schwerlich zustande kommen. Visher
hat sich die Besonnenheit noch stark genug erwiesen, wenigstens die wildesten
Projekte zurückzuweisen. Auch ist die wirtschaftliche Selbstsucht am wenigsten
geeignet, solche Vereinbarungen zustande zu bringen, weil dabei doch immer
gegenseitige Zugeständnisse nötig sind, zu denen sie sich nicht verstehen mag.

So bleibt denn vorläufig nichts weiter übrig, als am Ausbau unsrer
nationalen Gesetzgebuung in agrarischen Sinne mit aller Kraft und mit dem
Eifer, der dieser wichtigen Sache gebührt, zu arbeiten. Und unsre Gesetzgebung
hat es ja wirklich in der Nachgiebigkeit gegen die Agrarier sehr weit gebracht.


Die Macht des Unvernünftigen

Dieser Herr ist besonders bemüht, den agrarischen Theorien einen, man möchte
sagen sensationellen Anstrich zu geben. Die agrarischen Irrtümer sind in
seinen Schriften auf die Spitze getrieben; diese Schriften zeugen von ganz ein¬
seitiger Parteileidenschaft, und ihr Verfasser scheint sich etwas darauf zu gute
zu thun, eine neue Richtung anzubahnen, kühne Vorschläge zu einer gründ¬
lichen Umgestaltung der neuzeitlichen Wirtschaftsordnung zu machen. Seiner
Darstellung zufolge besteht eigentlich die ganze in der Neuzeit so sehr hervor¬
tretende Wirksamkeit des Kapitals, sein Anteil an der Erschließung neuer
Länder und der Herstellung neuer Verkehrsverbindungen nur ans fortgesetztem
Verbrechen gegen die Gesellschaft. Man sollte demnach annehmen, daß es am
zweckmäßigsten Ware, die Verkehrsverbindungen als eine Art von Teufelswerk
zu zerstören, Frachten auf Karren zu befördern, kurz, in allem das wirtschaft¬
liche Leben zurückzuschrauben und die alten Zustände wieder herzustellen,
damit das böse Kapital nicht überall seinen Schnitt machen könne. So
weit geht nun Herr Rusland nicht; er würde sich dnrch solche Vorschläge auch
bei seinen Anhängern lächerlich machen. Wohl aber glaubt er den armen
produktiven Berufsständen die Befreiung von dem schmählichen Joch des Ka¬
pitals in Aussicht stellen zu können, wenn hierzu nur die rechten Mittel er¬
griffen werden. Er plant so etwas wie ein Bündnis der produktiven Stände
aller Kulturländer zur Abschüttlung dieses Jochs, und er glaubt einen Siegeszug
der agrarischen Ideen durch alle diese Länder prophezeien zu können. Aber
soweit sind wir glücklicherweise noch nicht. Es ist zwar zugegeben, daß auch
anderswo Selbstsucht und wirtschaftlicher Unverstand eine große Macht haben,
so namentlich in dem Völkergewirr der Vereinigten Staaten, wo diese Be¬
strebungen in der Denkweise eines großen Teils der Bevölkerung eine Stütze
finden, wo noch wirrer der Wunderglaube an die gesetzgeberische Kraft und
das Gelüsten nach fremdem Gut auftritt. Sogar an die Thore Altenglands,
dieses alten Musterlandes gesetzgeberischer Besonnenheit, pocht die Unvernunft.
Sogar dort hat das Wort: „Es muß geholfen werden!" seine verhängnisvolle
Wirkung geübt, und es werden die ersten schüchternen Versuche gemacht, durch
einige vermeintlich harmlose Zugeständnisse die nimmersatten Jnteressenpolitiker
zu befriedigen. Aber internationale Vereinbarungen zur Ausführung der
agrarischen Gesetzvorschläge werden doch schwerlich zustande kommen. Visher
hat sich die Besonnenheit noch stark genug erwiesen, wenigstens die wildesten
Projekte zurückzuweisen. Auch ist die wirtschaftliche Selbstsucht am wenigsten
geeignet, solche Vereinbarungen zustande zu bringen, weil dabei doch immer
gegenseitige Zugeständnisse nötig sind, zu denen sie sich nicht verstehen mag.

So bleibt denn vorläufig nichts weiter übrig, als am Ausbau unsrer
nationalen Gesetzgebuung in agrarischen Sinne mit aller Kraft und mit dem
Eifer, der dieser wichtigen Sache gebührt, zu arbeiten. Und unsre Gesetzgebung
hat es ja wirklich in der Nachgiebigkeit gegen die Agrarier sehr weit gebracht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/15>, abgerufen am 01.09.2024.