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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft

gebend sein dürften, so ist es für ihn bezeichnend, wein: er z. V. von Hogarth
sagt: "Diese Welt, wie sie ihn anschaute, zeichnete er in Häßlichkeit und Schön¬
heit treu, wie sie war." Davon ist nur die eine Hälfte richtig, daß Hogarth
die Welt getreu in ihrer Häßlichkeit zeichnete. Trotzdem verwendet er aber
nun den ganzen Satz in seinen weitern Schlußfolgerungen. Sehr bezeichnend
für Mulder sind auch seine Urteile über Kaulbach. Er läßt ihn überhaupt
nicht als ernst zu nehmenden Künstler gelten, und wenn er auch damit zu
weit geht, so wird man doch seinem Urteil im ganzen und großen eher zu¬
stimmen als widersprechen müssen. Unter den Dingen, die er nun Kaulbach
vorwirft, sind schwere Anklagen nicht bloß gegen den Künstler, sondern auch
gegen den Menschen Kaulbach. Ausdrücklich sagt Mulder Seite 220: "Nach
rein künstlerischen Gesichtspunkten stehen beide (Cornelius und Kaulbach) gleich
tief. Sucht man aber, in welchen Beziehungen das Kunstwerk zur Seele seines
Urhebers steht, so schnellt die Wage Kaulbachs federleicht in die Höhe." Und
nun wirft er Kaulbach vor, daß er der unterthänige Diener des x. t. Publikums
gewesen sei, daß er "der Menge zu Gefallen die lüsterne Sinnlichkeit in das
wallende Gewand der ernsten Muse gehüllt habe," daß er ein "penetrantes
Demimondeparfüm," ein "lüsternes Sathrlächeln" habe, daß ihm "die keuschester
Gestalten deutscher Poesie nur dazu gedient hätten, dem Publikum ein paar
Nuditäten hinzuwerfen, wie dem Hund einen Knochen," daß er sich endlich in
seinen Fresken in der Pinakothek des krassesten Undanks schuldig gemacht habe.
Niemand, der das liest, wird darüber im Zweifel sein, daß das Eigenschaften
sind, die zum Teil nur den Menschen Kaulbach angehen, daß aber alle min¬
destens ebenso sehr den Menschen wie den Künstler treffen. Und nun lese
man, was derselbe Mulder im Berliner Tageblatt vom 24. Mai 1896 in einer
Besprechung der internationalen Kunstausstellung in Berlin über Kaulbach
sagt! Da heißt es: "Karstens wie Cornelius und Kaulbach waren sehr geist¬
reiche Männer usw. Wir verehren sie wegen ihrer menschlichen Eigenschaften,
aber kompromittiren sie, wenn wir etwas von ihnen ausstellen." Ein Urteil
über ein solches Gebühren brauche ich wohl nicht auszusprechen. Stellen wir
uns auf die "wissenschaftliche" Grundlage Muthers, so müssen wir uns eben
damit bescheiden, daß sein Temperament einmal wieder anders gestimmt gewesen
ist; wir haben dieses Temperament einfach zu respektiren. Aber dann hört
auch alle Wissenschaft auf.

Über den Wert der Mutherschen Beurteilung Kaulbachs will ich hier nicht
sprechen. Wenn er z. B. auch in der Hunnenschlacht die Absicht merkt, "einige
Nuditäten zur Schau zu stellen," so kann ich das nicht nachfühlen. Aber das
möchte ich doch sagen, daß die sittliche Entrüstung, mit der Kaulbachs Lüstern¬
heit so peinlich verfolgt wird, in Muthers Munde sehr seltsam erscheint. Wer
in seiner eignen Darstellungsweise so dicht an den frivolen Ton von Zolas
Nana streift, der sollte sich nicht so auf das hohe Pferd des Sittenrichters


Grenzboten III 1896 17
Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft

gebend sein dürften, so ist es für ihn bezeichnend, wein: er z. V. von Hogarth
sagt: „Diese Welt, wie sie ihn anschaute, zeichnete er in Häßlichkeit und Schön¬
heit treu, wie sie war." Davon ist nur die eine Hälfte richtig, daß Hogarth
die Welt getreu in ihrer Häßlichkeit zeichnete. Trotzdem verwendet er aber
nun den ganzen Satz in seinen weitern Schlußfolgerungen. Sehr bezeichnend
für Mulder sind auch seine Urteile über Kaulbach. Er läßt ihn überhaupt
nicht als ernst zu nehmenden Künstler gelten, und wenn er auch damit zu
weit geht, so wird man doch seinem Urteil im ganzen und großen eher zu¬
stimmen als widersprechen müssen. Unter den Dingen, die er nun Kaulbach
vorwirft, sind schwere Anklagen nicht bloß gegen den Künstler, sondern auch
gegen den Menschen Kaulbach. Ausdrücklich sagt Mulder Seite 220: „Nach
rein künstlerischen Gesichtspunkten stehen beide (Cornelius und Kaulbach) gleich
tief. Sucht man aber, in welchen Beziehungen das Kunstwerk zur Seele seines
Urhebers steht, so schnellt die Wage Kaulbachs federleicht in die Höhe." Und
nun wirft er Kaulbach vor, daß er der unterthänige Diener des x. t. Publikums
gewesen sei, daß er „der Menge zu Gefallen die lüsterne Sinnlichkeit in das
wallende Gewand der ernsten Muse gehüllt habe," daß er ein „penetrantes
Demimondeparfüm," ein „lüsternes Sathrlächeln" habe, daß ihm „die keuschester
Gestalten deutscher Poesie nur dazu gedient hätten, dem Publikum ein paar
Nuditäten hinzuwerfen, wie dem Hund einen Knochen," daß er sich endlich in
seinen Fresken in der Pinakothek des krassesten Undanks schuldig gemacht habe.
Niemand, der das liest, wird darüber im Zweifel sein, daß das Eigenschaften
sind, die zum Teil nur den Menschen Kaulbach angehen, daß aber alle min¬
destens ebenso sehr den Menschen wie den Künstler treffen. Und nun lese
man, was derselbe Mulder im Berliner Tageblatt vom 24. Mai 1896 in einer
Besprechung der internationalen Kunstausstellung in Berlin über Kaulbach
sagt! Da heißt es: „Karstens wie Cornelius und Kaulbach waren sehr geist¬
reiche Männer usw. Wir verehren sie wegen ihrer menschlichen Eigenschaften,
aber kompromittiren sie, wenn wir etwas von ihnen ausstellen." Ein Urteil
über ein solches Gebühren brauche ich wohl nicht auszusprechen. Stellen wir
uns auf die „wissenschaftliche" Grundlage Muthers, so müssen wir uns eben
damit bescheiden, daß sein Temperament einmal wieder anders gestimmt gewesen
ist; wir haben dieses Temperament einfach zu respektiren. Aber dann hört
auch alle Wissenschaft auf.

Über den Wert der Mutherschen Beurteilung Kaulbachs will ich hier nicht
sprechen. Wenn er z. B. auch in der Hunnenschlacht die Absicht merkt, „einige
Nuditäten zur Schau zu stellen," so kann ich das nicht nachfühlen. Aber das
möchte ich doch sagen, daß die sittliche Entrüstung, mit der Kaulbachs Lüstern¬
heit so peinlich verfolgt wird, in Muthers Munde sehr seltsam erscheint. Wer
in seiner eignen Darstellungsweise so dicht an den frivolen Ton von Zolas
Nana streift, der sollte sich nicht so auf das hohe Pferd des Sittenrichters


Grenzboten III 1896 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/137>, abgerufen am 01.09.2024.