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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Richard lNuther und die deutsche Aunstwissenschaft

kommen. Man redet von einer "Judenhetze," einer "Stöckerhetze," einer "Ahl-
wardthetze" usw. Damit soll angedeutet werden in dem einen Falle, daß man
die Leidenschaften der Massen aufbietet, die nicht nach Erkenntnisgründen zu
handeln pflegen, in den andern Fällen, daß man, wenn man sich außer stände
fühlt, die durch den Mann vertretnen Ideen tot zu machen, sich auf die Person
stürzt, um sie unmöglich zu machen. Dadurch erhält dann die Person leicht
etwas wie einen Märtyrernimbus. Den möchte ich aber nicht auf dem Haupte
Muthers sehen, und wenn er ihn in den Augen vieler vielleicht schon hat, so
muß er ihm wieder abgenommen werden. Denn er verdient ihn nicht, weil
die Sache, die er vertritt, keine von denen ist, die dauern werden, sondern die
bekämpft und beseitigt werden müssen.

Das werde ich zu beweisen haben und Mulder dabei klar machen müssen,
daß der tiefere Grund zu den gegenwärtigen Angriffen auf ihn nicht der Un¬
wille ist, der sich, wie er in seiner Schrift andeutet, gegen seine Person richtet,
sondern der tiefe Unwille, der sich gegen die von ihm geführte Sache richtet.
Das ist freilich eine schwierige Aufgabe. Schon uach dem Erscheinen der ersten
Lieferung seiner "Geschichte der Malerei" habe ich diesen sachlichen Unwillen
empfunden und seitdem Material gesammelt und daraus gewartet, daß ihm von
Gegnern, die ihm gewachsen sind, gedient werden würde. Aber wenn sich
auch einzelne Stimmen erhoben^ wie z. B. Dehio diese Kunstgeschichte eines
"Jungen" scharf beurteilt hat, so war doch der Ton der allgemeinen Kritik
ein zustimmender. In der That müßte, um Mulder zu widerlegen, ein
neues Buch geschrieben werden. Das erfordert Zeit, und außerdem verfügen
unter den mir bekannten Kunstschreibern jetzt nur wenige über Muthers ge¬
schickte Sprache, vielleicht keiner über seine Kenntnis der modernen Malerei
des Auslandes. Gesetzt, er hätte Recht damit, daß er höhnend ausruft, keiner
seiner jetzigen Gegner sei imstande, dieses Buch zu schreiben, soll man seine
Schöpfung solange, bis das gründlich widerlegende Werk erscheint, unbe¬
anstandet weiter wirken, verderblich weiterwirken lassen? Nein! Und wenn es
auch in diesen Blättern nicht möglich ist, einen vollständigen Nachweis von
seiner Verderblichkeit zu bringen, so darf ich doch vielleicht die Richtung be¬
zeichnen, in der sich der Angriff zu bewegen haben wird.

Die schweren Vorwürfe, die ich dem Mutherschen Buche zu machen habe,
sind folgende: 1. Der Geist, der in dem Buche herrscht, ist ein unwissenschaft¬
licher. Seine Grundanschauung über den Wert wissenschaftlicher Arbeit ist zu
verdammen. 2. Die Beweisführung ist unklar, indem sie sich mit den gefähr¬
lichen halben Wahrheiten begnügt und sich in Widersprüche verwickelt. 3. Den
Ton, den Mulder anschlägt, in unsre Wissenschaft eingeführt zu sehen, muß
ich ablehnen.

Was das erste angeht, so sollte ein Mann, der den Grundsatz hat, daß
"eine normal gebaute Wahrheit höchstens zwanzig Jahre alt" wird, der (Bd. 1,


Richard lNuther und die deutsche Aunstwissenschaft

kommen. Man redet von einer „Judenhetze," einer „Stöckerhetze," einer „Ahl-
wardthetze" usw. Damit soll angedeutet werden in dem einen Falle, daß man
die Leidenschaften der Massen aufbietet, die nicht nach Erkenntnisgründen zu
handeln pflegen, in den andern Fällen, daß man, wenn man sich außer stände
fühlt, die durch den Mann vertretnen Ideen tot zu machen, sich auf die Person
stürzt, um sie unmöglich zu machen. Dadurch erhält dann die Person leicht
etwas wie einen Märtyrernimbus. Den möchte ich aber nicht auf dem Haupte
Muthers sehen, und wenn er ihn in den Augen vieler vielleicht schon hat, so
muß er ihm wieder abgenommen werden. Denn er verdient ihn nicht, weil
die Sache, die er vertritt, keine von denen ist, die dauern werden, sondern die
bekämpft und beseitigt werden müssen.

Das werde ich zu beweisen haben und Mulder dabei klar machen müssen,
daß der tiefere Grund zu den gegenwärtigen Angriffen auf ihn nicht der Un¬
wille ist, der sich, wie er in seiner Schrift andeutet, gegen seine Person richtet,
sondern der tiefe Unwille, der sich gegen die von ihm geführte Sache richtet.
Das ist freilich eine schwierige Aufgabe. Schon uach dem Erscheinen der ersten
Lieferung seiner „Geschichte der Malerei" habe ich diesen sachlichen Unwillen
empfunden und seitdem Material gesammelt und daraus gewartet, daß ihm von
Gegnern, die ihm gewachsen sind, gedient werden würde. Aber wenn sich
auch einzelne Stimmen erhoben^ wie z. B. Dehio diese Kunstgeschichte eines
„Jungen" scharf beurteilt hat, so war doch der Ton der allgemeinen Kritik
ein zustimmender. In der That müßte, um Mulder zu widerlegen, ein
neues Buch geschrieben werden. Das erfordert Zeit, und außerdem verfügen
unter den mir bekannten Kunstschreibern jetzt nur wenige über Muthers ge¬
schickte Sprache, vielleicht keiner über seine Kenntnis der modernen Malerei
des Auslandes. Gesetzt, er hätte Recht damit, daß er höhnend ausruft, keiner
seiner jetzigen Gegner sei imstande, dieses Buch zu schreiben, soll man seine
Schöpfung solange, bis das gründlich widerlegende Werk erscheint, unbe¬
anstandet weiter wirken, verderblich weiterwirken lassen? Nein! Und wenn es
auch in diesen Blättern nicht möglich ist, einen vollständigen Nachweis von
seiner Verderblichkeit zu bringen, so darf ich doch vielleicht die Richtung be¬
zeichnen, in der sich der Angriff zu bewegen haben wird.

Die schweren Vorwürfe, die ich dem Mutherschen Buche zu machen habe,
sind folgende: 1. Der Geist, der in dem Buche herrscht, ist ein unwissenschaft¬
licher. Seine Grundanschauung über den Wert wissenschaftlicher Arbeit ist zu
verdammen. 2. Die Beweisführung ist unklar, indem sie sich mit den gefähr¬
lichen halben Wahrheiten begnügt und sich in Widersprüche verwickelt. 3. Den
Ton, den Mulder anschlägt, in unsre Wissenschaft eingeführt zu sehen, muß
ich ablehnen.

Was das erste angeht, so sollte ein Mann, der den Grundsatz hat, daß
„eine normal gebaute Wahrheit höchstens zwanzig Jahre alt" wird, der (Bd. 1,


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[0134] Richard lNuther und die deutsche Aunstwissenschaft kommen. Man redet von einer „Judenhetze," einer „Stöckerhetze," einer „Ahl- wardthetze" usw. Damit soll angedeutet werden in dem einen Falle, daß man die Leidenschaften der Massen aufbietet, die nicht nach Erkenntnisgründen zu handeln pflegen, in den andern Fällen, daß man, wenn man sich außer stände fühlt, die durch den Mann vertretnen Ideen tot zu machen, sich auf die Person stürzt, um sie unmöglich zu machen. Dadurch erhält dann die Person leicht etwas wie einen Märtyrernimbus. Den möchte ich aber nicht auf dem Haupte Muthers sehen, und wenn er ihn in den Augen vieler vielleicht schon hat, so muß er ihm wieder abgenommen werden. Denn er verdient ihn nicht, weil die Sache, die er vertritt, keine von denen ist, die dauern werden, sondern die bekämpft und beseitigt werden müssen. Das werde ich zu beweisen haben und Mulder dabei klar machen müssen, daß der tiefere Grund zu den gegenwärtigen Angriffen auf ihn nicht der Un¬ wille ist, der sich, wie er in seiner Schrift andeutet, gegen seine Person richtet, sondern der tiefe Unwille, der sich gegen die von ihm geführte Sache richtet. Das ist freilich eine schwierige Aufgabe. Schon uach dem Erscheinen der ersten Lieferung seiner „Geschichte der Malerei" habe ich diesen sachlichen Unwillen empfunden und seitdem Material gesammelt und daraus gewartet, daß ihm von Gegnern, die ihm gewachsen sind, gedient werden würde. Aber wenn sich auch einzelne Stimmen erhoben^ wie z. B. Dehio diese Kunstgeschichte eines „Jungen" scharf beurteilt hat, so war doch der Ton der allgemeinen Kritik ein zustimmender. In der That müßte, um Mulder zu widerlegen, ein neues Buch geschrieben werden. Das erfordert Zeit, und außerdem verfügen unter den mir bekannten Kunstschreibern jetzt nur wenige über Muthers ge¬ schickte Sprache, vielleicht keiner über seine Kenntnis der modernen Malerei des Auslandes. Gesetzt, er hätte Recht damit, daß er höhnend ausruft, keiner seiner jetzigen Gegner sei imstande, dieses Buch zu schreiben, soll man seine Schöpfung solange, bis das gründlich widerlegende Werk erscheint, unbe¬ anstandet weiter wirken, verderblich weiterwirken lassen? Nein! Und wenn es auch in diesen Blättern nicht möglich ist, einen vollständigen Nachweis von seiner Verderblichkeit zu bringen, so darf ich doch vielleicht die Richtung be¬ zeichnen, in der sich der Angriff zu bewegen haben wird. Die schweren Vorwürfe, die ich dem Mutherschen Buche zu machen habe, sind folgende: 1. Der Geist, der in dem Buche herrscht, ist ein unwissenschaft¬ licher. Seine Grundanschauung über den Wert wissenschaftlicher Arbeit ist zu verdammen. 2. Die Beweisführung ist unklar, indem sie sich mit den gefähr¬ lichen halben Wahrheiten begnügt und sich in Widersprüche verwickelt. 3. Den Ton, den Mulder anschlägt, in unsre Wissenschaft eingeführt zu sehen, muß ich ablehnen. Was das erste angeht, so sollte ein Mann, der den Grundsatz hat, daß „eine normal gebaute Wahrheit höchstens zwanzig Jahre alt" wird, der (Bd. 1,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/134>, abgerufen am 01.09.2024.