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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft

liebe Beobachtungsfähigkeit und über eine so ausgedehnte Kenntnis der modernen
Malerei, wie sie wohl wenige haben werden. Nein, einen Plagiator kann man
Mulder nicht nennen. Diese Erbärmlichkeit, von andern stehlen zu wollen,
darf man ihm nicht zutrauen, wohl aber eine gewisse hochmütige Gering¬
schätzung fremder Geistesarbeit.

Mulder ist ein "bedeutender" Mensch in dem landläufigen Sinne des
Wortes, und einem solchen Manne ist nicht damit beizukommen, daß man ihm
nachweist, er sei ein "großer Redner" (wie man auch Goethe genannt hat),
er habe vieles von andern entlehnt. Es mag ja immerhin dankenswert sein,
wenn man durch solche Nachweise einen Beitrag zur Charakteristik der Per¬
sönlichkeit eines schaffenden Mannes liefert- Aber die Sache, die er vertritt,
wird damit nicht getroffen. Das ist aber gerade das, was mir verwerflich und
betümpfenswert scheint, und worauf es mir ankommt.

Sehen wir denn nicht oft in Vergangenheit und Gegenwart, daß von
hochbegabten Männern Ideen vertreten werden, die grundverwerflich sind, wie
andrerseits, daß von bedeutenden Männern, die höchst bedenkliche Charaktere
sind, gute Anregungen ausgehen? Kann man z.B. nicht dem ersten Napoleon
schwere sittliche Mängel nachweisen? Und doch dürfte manche Einrichtung, die
wohlthuend empfunden wird, am letzten Ende an seinen Namen anknüpfen.
Wir sollten uns allgemeiner daran gewöhnen, von der Persönlichkeit abzu¬
sehen, sowohl wenn sie Charakterschwächen ausweist, wie daun, wenn sie durch
ihre Begabung "bedeutend" erscheint. Mancher Volksvertreter und Volks¬
tribun würde weniger Schaden anrichten, wenn sich das Volk weniger durch
das "bedeutende" seiner Persönlichkeit einnehmen ließe. Es kommt also nicht
darauf an, Mulder in der wissenschaftlichen Welt tot zu machen, sondern die
Ideen, die er vertritt, wenn sie verwerflich sind, zu bekämpfen, und wenn man
sie nicht aus der Welt schaffen kann, doch ungefährlich zu machen. Ich würde,
wenn mir ein Gleichnis gestattet ist, einen Einbrecher nicht in erster Linie
deshalb verklagen, weil er bei seinem Einbruch gestohlne Werkzeuge benutzt
hat. So aber kommt es mir vor, wenn man bei Mulder das Hauptgewicht
auf die Nachweisung einzelner Entlehnungen legt.

Natürlich ist bei diesem Vergleich so wenig wie bei dem mit Napoleon
eine persönliche Anspielung auf den Breslauer Professor beabsichtigt. Ich will
damit nur andeuten, daß es mit dem Betonen der Thatsache, daß Mulder bei
seinen Arbeiten mit den Erzeugnissen andrer in unzulässiger Weise umspringt,
nun genug ist, daß die Fachgenossen besser thun, den Mann nun in Ruhe zu
lassen und sich lieber ganz auf die Sache zu werfen. Sonst könnte leicht der
Anschein erweckt werden, als ob es sich um die Person Muthers handelte.
selbst hat diese Aussicht schon jetzt schlauerweise benutzt, indem er seiner
Verteidigungsschrift den Titel: "Die Mutherhetze" gegeben hat. Hetze ist ein
w der Neuzeit beliebt gewordnes Wort und hat eine besondre Färbung be-


Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft

liebe Beobachtungsfähigkeit und über eine so ausgedehnte Kenntnis der modernen
Malerei, wie sie wohl wenige haben werden. Nein, einen Plagiator kann man
Mulder nicht nennen. Diese Erbärmlichkeit, von andern stehlen zu wollen,
darf man ihm nicht zutrauen, wohl aber eine gewisse hochmütige Gering¬
schätzung fremder Geistesarbeit.

Mulder ist ein „bedeutender" Mensch in dem landläufigen Sinne des
Wortes, und einem solchen Manne ist nicht damit beizukommen, daß man ihm
nachweist, er sei ein „großer Redner" (wie man auch Goethe genannt hat),
er habe vieles von andern entlehnt. Es mag ja immerhin dankenswert sein,
wenn man durch solche Nachweise einen Beitrag zur Charakteristik der Per¬
sönlichkeit eines schaffenden Mannes liefert- Aber die Sache, die er vertritt,
wird damit nicht getroffen. Das ist aber gerade das, was mir verwerflich und
betümpfenswert scheint, und worauf es mir ankommt.

Sehen wir denn nicht oft in Vergangenheit und Gegenwart, daß von
hochbegabten Männern Ideen vertreten werden, die grundverwerflich sind, wie
andrerseits, daß von bedeutenden Männern, die höchst bedenkliche Charaktere
sind, gute Anregungen ausgehen? Kann man z.B. nicht dem ersten Napoleon
schwere sittliche Mängel nachweisen? Und doch dürfte manche Einrichtung, die
wohlthuend empfunden wird, am letzten Ende an seinen Namen anknüpfen.
Wir sollten uns allgemeiner daran gewöhnen, von der Persönlichkeit abzu¬
sehen, sowohl wenn sie Charakterschwächen ausweist, wie daun, wenn sie durch
ihre Begabung „bedeutend" erscheint. Mancher Volksvertreter und Volks¬
tribun würde weniger Schaden anrichten, wenn sich das Volk weniger durch
das „bedeutende" seiner Persönlichkeit einnehmen ließe. Es kommt also nicht
darauf an, Mulder in der wissenschaftlichen Welt tot zu machen, sondern die
Ideen, die er vertritt, wenn sie verwerflich sind, zu bekämpfen, und wenn man
sie nicht aus der Welt schaffen kann, doch ungefährlich zu machen. Ich würde,
wenn mir ein Gleichnis gestattet ist, einen Einbrecher nicht in erster Linie
deshalb verklagen, weil er bei seinem Einbruch gestohlne Werkzeuge benutzt
hat. So aber kommt es mir vor, wenn man bei Mulder das Hauptgewicht
auf die Nachweisung einzelner Entlehnungen legt.

Natürlich ist bei diesem Vergleich so wenig wie bei dem mit Napoleon
eine persönliche Anspielung auf den Breslauer Professor beabsichtigt. Ich will
damit nur andeuten, daß es mit dem Betonen der Thatsache, daß Mulder bei
seinen Arbeiten mit den Erzeugnissen andrer in unzulässiger Weise umspringt,
nun genug ist, daß die Fachgenossen besser thun, den Mann nun in Ruhe zu
lassen und sich lieber ganz auf die Sache zu werfen. Sonst könnte leicht der
Anschein erweckt werden, als ob es sich um die Person Muthers handelte.
selbst hat diese Aussicht schon jetzt schlauerweise benutzt, indem er seiner
Verteidigungsschrift den Titel: „Die Mutherhetze" gegeben hat. Hetze ist ein
w der Neuzeit beliebt gewordnes Wort und hat eine besondre Färbung be-


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[0133] Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft liebe Beobachtungsfähigkeit und über eine so ausgedehnte Kenntnis der modernen Malerei, wie sie wohl wenige haben werden. Nein, einen Plagiator kann man Mulder nicht nennen. Diese Erbärmlichkeit, von andern stehlen zu wollen, darf man ihm nicht zutrauen, wohl aber eine gewisse hochmütige Gering¬ schätzung fremder Geistesarbeit. Mulder ist ein „bedeutender" Mensch in dem landläufigen Sinne des Wortes, und einem solchen Manne ist nicht damit beizukommen, daß man ihm nachweist, er sei ein „großer Redner" (wie man auch Goethe genannt hat), er habe vieles von andern entlehnt. Es mag ja immerhin dankenswert sein, wenn man durch solche Nachweise einen Beitrag zur Charakteristik der Per¬ sönlichkeit eines schaffenden Mannes liefert- Aber die Sache, die er vertritt, wird damit nicht getroffen. Das ist aber gerade das, was mir verwerflich und betümpfenswert scheint, und worauf es mir ankommt. Sehen wir denn nicht oft in Vergangenheit und Gegenwart, daß von hochbegabten Männern Ideen vertreten werden, die grundverwerflich sind, wie andrerseits, daß von bedeutenden Männern, die höchst bedenkliche Charaktere sind, gute Anregungen ausgehen? Kann man z.B. nicht dem ersten Napoleon schwere sittliche Mängel nachweisen? Und doch dürfte manche Einrichtung, die wohlthuend empfunden wird, am letzten Ende an seinen Namen anknüpfen. Wir sollten uns allgemeiner daran gewöhnen, von der Persönlichkeit abzu¬ sehen, sowohl wenn sie Charakterschwächen ausweist, wie daun, wenn sie durch ihre Begabung „bedeutend" erscheint. Mancher Volksvertreter und Volks¬ tribun würde weniger Schaden anrichten, wenn sich das Volk weniger durch das „bedeutende" seiner Persönlichkeit einnehmen ließe. Es kommt also nicht darauf an, Mulder in der wissenschaftlichen Welt tot zu machen, sondern die Ideen, die er vertritt, wenn sie verwerflich sind, zu bekämpfen, und wenn man sie nicht aus der Welt schaffen kann, doch ungefährlich zu machen. Ich würde, wenn mir ein Gleichnis gestattet ist, einen Einbrecher nicht in erster Linie deshalb verklagen, weil er bei seinem Einbruch gestohlne Werkzeuge benutzt hat. So aber kommt es mir vor, wenn man bei Mulder das Hauptgewicht auf die Nachweisung einzelner Entlehnungen legt. Natürlich ist bei diesem Vergleich so wenig wie bei dem mit Napoleon eine persönliche Anspielung auf den Breslauer Professor beabsichtigt. Ich will damit nur andeuten, daß es mit dem Betonen der Thatsache, daß Mulder bei seinen Arbeiten mit den Erzeugnissen andrer in unzulässiger Weise umspringt, nun genug ist, daß die Fachgenossen besser thun, den Mann nun in Ruhe zu lassen und sich lieber ganz auf die Sache zu werfen. Sonst könnte leicht der Anschein erweckt werden, als ob es sich um die Person Muthers handelte. selbst hat diese Aussicht schon jetzt schlauerweise benutzt, indem er seiner Verteidigungsschrift den Titel: „Die Mutherhetze" gegeben hat. Hetze ist ein w der Neuzeit beliebt gewordnes Wort und hat eine besondre Färbung be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/133>, abgerufen am 01.09.2024.