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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Schulprc'gramine

Denn es ist bei dem höhern Lehrerstande nicht anders, als bei allen
andern Verufsarten: es giebt Baechen und Thyrsosträger. Die einen braucht
man nicht zu geistiger Thätigkeit anzuregen, und bei den andern -- hilft es
nichts. Nötige man diese, ihren "wissenschaftlichen Sinn" zu bethätigen, so
werden die Früchte darnach sein (es ließe sich davon manches Pröbchen auf¬
tischen); bei den andern braucht man keinen Zwang, da sie von selber thun,
wozu sie eben angespornt werden sollen. Richtig würde der Sporn dann an¬
gewendet werden, wenn sich das Verhältnis von Baechen und Thyrsosträgern
gar zu ungünstig gestalten sollte. Aber wem, man sie an den Früchten er¬
kennen kann, so ist es in den letzten siebzig Jahren um die deutschen Lehr¬
anstalten nicht schlimmer bestellt gewesen, soweit es das Lehrerpersonal angeht,
als vorher. Und nur wer die Programmlitteratur nicht kennt, wird behaupten
können, daß diese dabei einen bestimmenden Einfluß gehabt habe, und daß
man sie deshalb nicht entbehren könne.

Wenn wir uns zu dem Nutzen der Programme sür die Wissenschaft wenden,
so ist von vornherein zuzugeben, daß eine ganze Reihe von ihnen wesentliche
wissenschaftliche Fortschritte herbeigeführt haben, und daß in ihnen der aka¬
demisch gebildete Lehrer eine höchst achtungswerte Summe tüchtiger Leistungen
niedergelegt hat. Aber wird das so bleiben? wird das so bleiben können?
In manchen Gebieten der Schulwissenschaften macht sich schon eine gewisse
Erschöpfung des Stoffes geltend, andrerseits zeigt sich für den Schulmann
eine in der Sache liegende Schwierigkeit, dem Fluge der Wissenschaft, so wie
ihn die modernen Verkehrsverhültnisfe ermöglichen, zu folgen. Bleiben wir
einmal bei der klassischen Philologie, so steht es außer allem Zweifel, daß sich
eine ganze Anzahl ihrer Gebiete dem arbeitenden Schulmann immer mehr ver¬
schließen. Was will er z. B. gutes und neues in der Archäologie und Epi¬
graphs sagen, wenn er nicht das Glück hat, an einem wissenschaftlichen "Zentrum"
Zu wohnen? Gewöhnlich gebricht es ihm an seinem Gymnasialorte schon an
den nötigsten Hilfsmitteln. Denn die Bibliotheken der Gymnasien, selbst alt¬
ehrwürdiger und berühmter Anstalten, zeigen Lücken, die von Jahr zu Jahr
weiter klaffen. Sehr oft ist es nicht möglich, dem Programmschreiber für
seine Zwecke auch nur das Landläufigste zu beschaffen. So kommt es denn,
daß, trotz aller Ferienkurse und Studienreisen, die ra-MWl des römischen und
des athenischen Instituts dem fleißigen Schulmanne, den die Aufforderung der
Negierung und eigne Neigung zu diesem Studiengebiete hingeleitet hat, be¬
deutend überlegen sind und mühelos zu Ergebnissen kommen, an deren Er¬
reichung der Programmschreiber, trotz alles wissenschaftlichen Sinnes, ver¬
zweifeln muß. Es können hier nicht alle Gebiete des weiten philologischen
Arbeitsfeldes durchgenommen werden. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß
jetzt nur drei in den Programmen gründlicher angebaut werden: die Beob¬
achtungen über den Sprachgebrauch, die Textkritik und die ästhetistrende Ve-


Die Schulprc'gramine

Denn es ist bei dem höhern Lehrerstande nicht anders, als bei allen
andern Verufsarten: es giebt Baechen und Thyrsosträger. Die einen braucht
man nicht zu geistiger Thätigkeit anzuregen, und bei den andern — hilft es
nichts. Nötige man diese, ihren „wissenschaftlichen Sinn" zu bethätigen, so
werden die Früchte darnach sein (es ließe sich davon manches Pröbchen auf¬
tischen); bei den andern braucht man keinen Zwang, da sie von selber thun,
wozu sie eben angespornt werden sollen. Richtig würde der Sporn dann an¬
gewendet werden, wenn sich das Verhältnis von Baechen und Thyrsosträgern
gar zu ungünstig gestalten sollte. Aber wem, man sie an den Früchten er¬
kennen kann, so ist es in den letzten siebzig Jahren um die deutschen Lehr¬
anstalten nicht schlimmer bestellt gewesen, soweit es das Lehrerpersonal angeht,
als vorher. Und nur wer die Programmlitteratur nicht kennt, wird behaupten
können, daß diese dabei einen bestimmenden Einfluß gehabt habe, und daß
man sie deshalb nicht entbehren könne.

Wenn wir uns zu dem Nutzen der Programme sür die Wissenschaft wenden,
so ist von vornherein zuzugeben, daß eine ganze Reihe von ihnen wesentliche
wissenschaftliche Fortschritte herbeigeführt haben, und daß in ihnen der aka¬
demisch gebildete Lehrer eine höchst achtungswerte Summe tüchtiger Leistungen
niedergelegt hat. Aber wird das so bleiben? wird das so bleiben können?
In manchen Gebieten der Schulwissenschaften macht sich schon eine gewisse
Erschöpfung des Stoffes geltend, andrerseits zeigt sich für den Schulmann
eine in der Sache liegende Schwierigkeit, dem Fluge der Wissenschaft, so wie
ihn die modernen Verkehrsverhültnisfe ermöglichen, zu folgen. Bleiben wir
einmal bei der klassischen Philologie, so steht es außer allem Zweifel, daß sich
eine ganze Anzahl ihrer Gebiete dem arbeitenden Schulmann immer mehr ver¬
schließen. Was will er z. B. gutes und neues in der Archäologie und Epi¬
graphs sagen, wenn er nicht das Glück hat, an einem wissenschaftlichen „Zentrum"
Zu wohnen? Gewöhnlich gebricht es ihm an seinem Gymnasialorte schon an
den nötigsten Hilfsmitteln. Denn die Bibliotheken der Gymnasien, selbst alt¬
ehrwürdiger und berühmter Anstalten, zeigen Lücken, die von Jahr zu Jahr
weiter klaffen. Sehr oft ist es nicht möglich, dem Programmschreiber für
seine Zwecke auch nur das Landläufigste zu beschaffen. So kommt es denn,
daß, trotz aller Ferienkurse und Studienreisen, die ra-MWl des römischen und
des athenischen Instituts dem fleißigen Schulmanne, den die Aufforderung der
Negierung und eigne Neigung zu diesem Studiengebiete hingeleitet hat, be¬
deutend überlegen sind und mühelos zu Ergebnissen kommen, an deren Er¬
reichung der Programmschreiber, trotz alles wissenschaftlichen Sinnes, ver¬
zweifeln muß. Es können hier nicht alle Gebiete des weiten philologischen
Arbeitsfeldes durchgenommen werden. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß
jetzt nur drei in den Programmen gründlicher angebaut werden: die Beob¬
achtungen über den Sprachgebrauch, die Textkritik und die ästhetistrende Ve-


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[0125] Die Schulprc'gramine Denn es ist bei dem höhern Lehrerstande nicht anders, als bei allen andern Verufsarten: es giebt Baechen und Thyrsosträger. Die einen braucht man nicht zu geistiger Thätigkeit anzuregen, und bei den andern — hilft es nichts. Nötige man diese, ihren „wissenschaftlichen Sinn" zu bethätigen, so werden die Früchte darnach sein (es ließe sich davon manches Pröbchen auf¬ tischen); bei den andern braucht man keinen Zwang, da sie von selber thun, wozu sie eben angespornt werden sollen. Richtig würde der Sporn dann an¬ gewendet werden, wenn sich das Verhältnis von Baechen und Thyrsosträgern gar zu ungünstig gestalten sollte. Aber wem, man sie an den Früchten er¬ kennen kann, so ist es in den letzten siebzig Jahren um die deutschen Lehr¬ anstalten nicht schlimmer bestellt gewesen, soweit es das Lehrerpersonal angeht, als vorher. Und nur wer die Programmlitteratur nicht kennt, wird behaupten können, daß diese dabei einen bestimmenden Einfluß gehabt habe, und daß man sie deshalb nicht entbehren könne. Wenn wir uns zu dem Nutzen der Programme sür die Wissenschaft wenden, so ist von vornherein zuzugeben, daß eine ganze Reihe von ihnen wesentliche wissenschaftliche Fortschritte herbeigeführt haben, und daß in ihnen der aka¬ demisch gebildete Lehrer eine höchst achtungswerte Summe tüchtiger Leistungen niedergelegt hat. Aber wird das so bleiben? wird das so bleiben können? In manchen Gebieten der Schulwissenschaften macht sich schon eine gewisse Erschöpfung des Stoffes geltend, andrerseits zeigt sich für den Schulmann eine in der Sache liegende Schwierigkeit, dem Fluge der Wissenschaft, so wie ihn die modernen Verkehrsverhültnisfe ermöglichen, zu folgen. Bleiben wir einmal bei der klassischen Philologie, so steht es außer allem Zweifel, daß sich eine ganze Anzahl ihrer Gebiete dem arbeitenden Schulmann immer mehr ver¬ schließen. Was will er z. B. gutes und neues in der Archäologie und Epi¬ graphs sagen, wenn er nicht das Glück hat, an einem wissenschaftlichen „Zentrum" Zu wohnen? Gewöhnlich gebricht es ihm an seinem Gymnasialorte schon an den nötigsten Hilfsmitteln. Denn die Bibliotheken der Gymnasien, selbst alt¬ ehrwürdiger und berühmter Anstalten, zeigen Lücken, die von Jahr zu Jahr weiter klaffen. Sehr oft ist es nicht möglich, dem Programmschreiber für seine Zwecke auch nur das Landläufigste zu beschaffen. So kommt es denn, daß, trotz aller Ferienkurse und Studienreisen, die ra-MWl des römischen und des athenischen Instituts dem fleißigen Schulmanne, den die Aufforderung der Negierung und eigne Neigung zu diesem Studiengebiete hingeleitet hat, be¬ deutend überlegen sind und mühelos zu Ergebnissen kommen, an deren Er¬ reichung der Programmschreiber, trotz alles wissenschaftlichen Sinnes, ver¬ zweifeln muß. Es können hier nicht alle Gebiete des weiten philologischen Arbeitsfeldes durchgenommen werden. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß jetzt nur drei in den Programmen gründlicher angebaut werden: die Beob¬ achtungen über den Sprachgebrauch, die Textkritik und die ästhetistrende Ve-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/125>, abgerufen am 01.09.2024.