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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Schulprogramme

dings eine Notwendigkeit. Denn damals, wo man den Menschen in manchen
Stücken freiere Bewegung gönnte als heute, wurde durch sie zu fleißigem
Besuche der Gelehrtenschulen eingeladen, und andrerseits zeigte der "Schul¬
meister," d. h. der Direktor der Schule, den gelehrten Gönnern und Herren
der Anstalt durch eine lateinische oomiusutatio, womöglich über einen griechi¬
schen Schriftsteller, daß er über ein ausreichendes Wissen verfüge, seinen
Schülern auch noch etwas mehr als die bloßen Anfangsgründe in den uuiua,-
uioridus beizubringen. Er hatte das auch nötig, denn der Staat hatte ihm
noch durch kein Oberlehrerzeugnis die "Fakultas" für verschiedne Fächer ver¬
liehen, er war Gelehrter auf eigne Hand und mußte seine Befähigung von
Fall zu Fall, d. h. von Ostern zu Ostern, erweisen. Seine Gehilfen wurden
nicht zu dieser Leistung herangezogen: es war ein Vorrecht des Schulleiters,
daß er für alle das Wort ergriff. Dieser löbliche Brauch hat viele Jahr¬
zehnte gegolten; solange die Schulen in ihrer Hauptmasse Gemeindeanstalten
waren, ist es nicht anders gewesen, und noch in den vierziger und fünfziger
Jahren haben es die Rektoren einer großen deutschen Handelsstadt so gehalten.
Aber das Aufblühen der Philologie, vor allem ihrer teztkritischen Richtung, und
die gleichzeitige Verwaltung des preußischen Unterrichtswesens durch Johannes
Schulze brachte hierin eine Wandlung hervor. Es kam, wohl um tüchtigen
jüngern Leuten Gelegenheit zu wissenschaftlicher Bethätigung zu bieten, zunächst
der Brauch auf. auch diesen die Abfassung der "wissenschaftlichen Beilage" zu
überlassen, und aus dem Gebrauche wurde dann später, etwa im Jahre 1824,
das noch jetzt geltende preußische Gesetz, dem sich die andern deutschen Staaten
nach und nach angeschlossen haben.

Wahrscheinlich ist dieses Gesetz damals sehr nützlich gewesen, und die
Freunde der gelehrten Schulen haben es mit Freuden begrüßt. Aber auch
Gesetze haben nur für eine bestimmte Zeit Lebenskraft, dann sterben sie ab.
Es fragt sich, ob die "wissenschaftliche Beilage" zu den Jahresberichten der
höhern Lehranstalten heute noch eine wirkliche Lebensberechtigung in sich trägt.

Der Hauptzweck, den sie früher zu erfüllen hatten, wo man noch keine
philologische und mathematische Staatsprüfung kannte, war der, daß in ihr
Direktor und Lehrer eine Art von wissenschaftlichem Befähigungsnachweis liefern
mußten. Er ist heute erreicht, da jeder Lehrer an einer höhern Lehranstalt
mindestens in einer Staatsprüfung das Maß von Kenntnissen nachweisen muß,
das bei ihm als unerläßlich gilt, wenn er an einer höhern Lehranstalt Unter¬
richt erteilen will. Heute kauu der Zweck einer Programmabhandlung nur
noch der sein, einerseits "die Wissenschaft zu fördern," und andrerseits "in
den Lehrerkollegien einen wissenschaftlichen Sinn rege zu erhalten."

Ich wende mich zunächst zu dem zweiten Punkte. Trotz der offiziösen
Formel möchte ich nicht glauben, daß es den deutschen Unterrichtsverwaltuugeu
jemals in den Sinn gekommen sei, die wissenschaftliche Arbeit ihrer akademisch


Die Schulprogramme

dings eine Notwendigkeit. Denn damals, wo man den Menschen in manchen
Stücken freiere Bewegung gönnte als heute, wurde durch sie zu fleißigem
Besuche der Gelehrtenschulen eingeladen, und andrerseits zeigte der „Schul¬
meister," d. h. der Direktor der Schule, den gelehrten Gönnern und Herren
der Anstalt durch eine lateinische oomiusutatio, womöglich über einen griechi¬
schen Schriftsteller, daß er über ein ausreichendes Wissen verfüge, seinen
Schülern auch noch etwas mehr als die bloßen Anfangsgründe in den uuiua,-
uioridus beizubringen. Er hatte das auch nötig, denn der Staat hatte ihm
noch durch kein Oberlehrerzeugnis die „Fakultas" für verschiedne Fächer ver¬
liehen, er war Gelehrter auf eigne Hand und mußte seine Befähigung von
Fall zu Fall, d. h. von Ostern zu Ostern, erweisen. Seine Gehilfen wurden
nicht zu dieser Leistung herangezogen: es war ein Vorrecht des Schulleiters,
daß er für alle das Wort ergriff. Dieser löbliche Brauch hat viele Jahr¬
zehnte gegolten; solange die Schulen in ihrer Hauptmasse Gemeindeanstalten
waren, ist es nicht anders gewesen, und noch in den vierziger und fünfziger
Jahren haben es die Rektoren einer großen deutschen Handelsstadt so gehalten.
Aber das Aufblühen der Philologie, vor allem ihrer teztkritischen Richtung, und
die gleichzeitige Verwaltung des preußischen Unterrichtswesens durch Johannes
Schulze brachte hierin eine Wandlung hervor. Es kam, wohl um tüchtigen
jüngern Leuten Gelegenheit zu wissenschaftlicher Bethätigung zu bieten, zunächst
der Brauch auf. auch diesen die Abfassung der „wissenschaftlichen Beilage" zu
überlassen, und aus dem Gebrauche wurde dann später, etwa im Jahre 1824,
das noch jetzt geltende preußische Gesetz, dem sich die andern deutschen Staaten
nach und nach angeschlossen haben.

Wahrscheinlich ist dieses Gesetz damals sehr nützlich gewesen, und die
Freunde der gelehrten Schulen haben es mit Freuden begrüßt. Aber auch
Gesetze haben nur für eine bestimmte Zeit Lebenskraft, dann sterben sie ab.
Es fragt sich, ob die „wissenschaftliche Beilage" zu den Jahresberichten der
höhern Lehranstalten heute noch eine wirkliche Lebensberechtigung in sich trägt.

Der Hauptzweck, den sie früher zu erfüllen hatten, wo man noch keine
philologische und mathematische Staatsprüfung kannte, war der, daß in ihr
Direktor und Lehrer eine Art von wissenschaftlichem Befähigungsnachweis liefern
mußten. Er ist heute erreicht, da jeder Lehrer an einer höhern Lehranstalt
mindestens in einer Staatsprüfung das Maß von Kenntnissen nachweisen muß,
das bei ihm als unerläßlich gilt, wenn er an einer höhern Lehranstalt Unter¬
richt erteilen will. Heute kauu der Zweck einer Programmabhandlung nur
noch der sein, einerseits „die Wissenschaft zu fördern," und andrerseits „in
den Lehrerkollegien einen wissenschaftlichen Sinn rege zu erhalten."

Ich wende mich zunächst zu dem zweiten Punkte. Trotz der offiziösen
Formel möchte ich nicht glauben, daß es den deutschen Unterrichtsverwaltuugeu
jemals in den Sinn gekommen sei, die wissenschaftliche Arbeit ihrer akademisch


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[0122] Die Schulprogramme dings eine Notwendigkeit. Denn damals, wo man den Menschen in manchen Stücken freiere Bewegung gönnte als heute, wurde durch sie zu fleißigem Besuche der Gelehrtenschulen eingeladen, und andrerseits zeigte der „Schul¬ meister," d. h. der Direktor der Schule, den gelehrten Gönnern und Herren der Anstalt durch eine lateinische oomiusutatio, womöglich über einen griechi¬ schen Schriftsteller, daß er über ein ausreichendes Wissen verfüge, seinen Schülern auch noch etwas mehr als die bloßen Anfangsgründe in den uuiua,- uioridus beizubringen. Er hatte das auch nötig, denn der Staat hatte ihm noch durch kein Oberlehrerzeugnis die „Fakultas" für verschiedne Fächer ver¬ liehen, er war Gelehrter auf eigne Hand und mußte seine Befähigung von Fall zu Fall, d. h. von Ostern zu Ostern, erweisen. Seine Gehilfen wurden nicht zu dieser Leistung herangezogen: es war ein Vorrecht des Schulleiters, daß er für alle das Wort ergriff. Dieser löbliche Brauch hat viele Jahr¬ zehnte gegolten; solange die Schulen in ihrer Hauptmasse Gemeindeanstalten waren, ist es nicht anders gewesen, und noch in den vierziger und fünfziger Jahren haben es die Rektoren einer großen deutschen Handelsstadt so gehalten. Aber das Aufblühen der Philologie, vor allem ihrer teztkritischen Richtung, und die gleichzeitige Verwaltung des preußischen Unterrichtswesens durch Johannes Schulze brachte hierin eine Wandlung hervor. Es kam, wohl um tüchtigen jüngern Leuten Gelegenheit zu wissenschaftlicher Bethätigung zu bieten, zunächst der Brauch auf. auch diesen die Abfassung der „wissenschaftlichen Beilage" zu überlassen, und aus dem Gebrauche wurde dann später, etwa im Jahre 1824, das noch jetzt geltende preußische Gesetz, dem sich die andern deutschen Staaten nach und nach angeschlossen haben. Wahrscheinlich ist dieses Gesetz damals sehr nützlich gewesen, und die Freunde der gelehrten Schulen haben es mit Freuden begrüßt. Aber auch Gesetze haben nur für eine bestimmte Zeit Lebenskraft, dann sterben sie ab. Es fragt sich, ob die „wissenschaftliche Beilage" zu den Jahresberichten der höhern Lehranstalten heute noch eine wirkliche Lebensberechtigung in sich trägt. Der Hauptzweck, den sie früher zu erfüllen hatten, wo man noch keine philologische und mathematische Staatsprüfung kannte, war der, daß in ihr Direktor und Lehrer eine Art von wissenschaftlichem Befähigungsnachweis liefern mußten. Er ist heute erreicht, da jeder Lehrer an einer höhern Lehranstalt mindestens in einer Staatsprüfung das Maß von Kenntnissen nachweisen muß, das bei ihm als unerläßlich gilt, wenn er an einer höhern Lehranstalt Unter¬ richt erteilen will. Heute kauu der Zweck einer Programmabhandlung nur noch der sein, einerseits „die Wissenschaft zu fördern," und andrerseits „in den Lehrerkollegien einen wissenschaftlichen Sinn rege zu erhalten." Ich wende mich zunächst zu dem zweiten Punkte. Trotz der offiziösen Formel möchte ich nicht glauben, daß es den deutschen Unterrichtsverwaltuugeu jemals in den Sinn gekommen sei, die wissenschaftliche Arbeit ihrer akademisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/122>, abgerufen am 01.09.2024.