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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Gin Kampf gegen U?abmühten

zeigen. Im allgemeinen sind natürlich die Arbeiter geneigt, die Notwendigkeit
des privaten Kapitalbesitzes und dessen Verbindung mit der Leitung der Unter¬
nehmen zu unterschätzen, während Unternehmer wie Herr Vorster diese Not¬
wendigkeit gewöhnlich überschützen. Übrigens widerspricht er sich selbst, wenn
er immer wieder die Notwendigkeit des Kapitals hervorhebt, womit er natür¬
lich einen bedeutenden Kapitalbesitz in den Händen der Unternehmer meint,
gleichzeitig aber wiederholt ausruft: uicht das Kapital, sondern der Geist des
Unternehmers, seine Tüchtigkeit verbürgt den Erfolg, und wenn er auf
Krupp und Borsig hinweist, die sich ohne Kapital zu Großunternehmern empor¬
gearbeitet haben. Man braucht bloß diese Thatsache mit dem Worte Aktien¬
gesellschaft zusammenzuhalten, um sich davon zu überzeugen, daß sich nicht die
Sozicildemvkraten irren, wenn sie die Leitung der Unternehmungen durch die
Arbeiter für möglich halten, sondern daß sich Herr Vorster irrt, wenn er so etwas
sür Unsinn erklärt. Wir haben auf der einen Seite einfache Arbeiter, deren
Geist das Kapital ersetzt, und wir haben auf der andern Seite Kapitalisten,
die Aktionäre, die, wofern sie Geist haben, was aber gar nicht nötig ist, von
diesem Geiste nicht das mindeste für die Unternehmungen, in denen ihr Geld
angelegt ist, verwenden. Ist es nun nicht denkbar, daß die Aktien an die
Arbeiter übergingen, und daß es unter diesen kluge und energische Köpfe gäbe,
die das Unternehmen für Rechnung ihrer Mitarbeiter weiter zu führen ver¬
möchten? Wahrscheinlich täuschen sich die Sozialdemokraten mit der Hoffnung,
daß es dereinst allgemein dahin kommen werde; haben doch fast alle Pro-
duktivasfoziationen bis jetzt entweder Bankrott gemacht oder sind in kapitalistische
Unternehmungen umgeschlagen. Aber wer die Möglichkeit einer solchen Ent¬
wicklung leugnet, der verkennt das Wesen und die Bedeutung des Kapitals
als eines bloßen Werkzeugs des Menschengeistes, und deshalb muß der Be¬
hauptung, daß die Produktivgenossenschaft schlechthin Unsinn sei, entgegen¬
getreten werden.

Vollkommen Recht hat Vorster mit der Ansicht, daß die expvrtirende
Großindustrie zur Ernährung unsrer überschüssigen Bevölkerung notwendig sei,
aber auch hier wendet er sich mit seiner Polemik wieder an die falsche Adresse.
So wenig wie wir haben irgendwelche Professoren der Nationalökonomie diese
Notwendigkeit bestritten; es sind die Agrarier, die gegen den Industriestaat
zetern. Doch darin unterscheiden wir uns von Vorster und von Schulze-
Gävernitz, daß wir diese Notwendigkeit als ein Übel betrachten. Wir sagen:
solange Landwirtschaft und Handwerk den steigenden Bevvlkerungsüberschuß nicht
aufzunehmen vermögen, so lange muß unsre Exportindustrie zu wachsen suchen;
aber wir fügen hinzu: wir glauben nicht, daß dieses Wachstum endlos fort¬
schreiten könne, wir glauben nicht, daß es in einer Zeit, wo England um die
Erhaltung seines Exports zu bangen anfangt, einem zweiten Volke möglich
fein werde, feine Existenz auf die Ausfuhr von Jndustrieerzeugnissen zu gründen.


Gin Kampf gegen U?abmühten

zeigen. Im allgemeinen sind natürlich die Arbeiter geneigt, die Notwendigkeit
des privaten Kapitalbesitzes und dessen Verbindung mit der Leitung der Unter¬
nehmen zu unterschätzen, während Unternehmer wie Herr Vorster diese Not¬
wendigkeit gewöhnlich überschützen. Übrigens widerspricht er sich selbst, wenn
er immer wieder die Notwendigkeit des Kapitals hervorhebt, womit er natür¬
lich einen bedeutenden Kapitalbesitz in den Händen der Unternehmer meint,
gleichzeitig aber wiederholt ausruft: uicht das Kapital, sondern der Geist des
Unternehmers, seine Tüchtigkeit verbürgt den Erfolg, und wenn er auf
Krupp und Borsig hinweist, die sich ohne Kapital zu Großunternehmern empor¬
gearbeitet haben. Man braucht bloß diese Thatsache mit dem Worte Aktien¬
gesellschaft zusammenzuhalten, um sich davon zu überzeugen, daß sich nicht die
Sozicildemvkraten irren, wenn sie die Leitung der Unternehmungen durch die
Arbeiter für möglich halten, sondern daß sich Herr Vorster irrt, wenn er so etwas
sür Unsinn erklärt. Wir haben auf der einen Seite einfache Arbeiter, deren
Geist das Kapital ersetzt, und wir haben auf der andern Seite Kapitalisten,
die Aktionäre, die, wofern sie Geist haben, was aber gar nicht nötig ist, von
diesem Geiste nicht das mindeste für die Unternehmungen, in denen ihr Geld
angelegt ist, verwenden. Ist es nun nicht denkbar, daß die Aktien an die
Arbeiter übergingen, und daß es unter diesen kluge und energische Köpfe gäbe,
die das Unternehmen für Rechnung ihrer Mitarbeiter weiter zu führen ver¬
möchten? Wahrscheinlich täuschen sich die Sozialdemokraten mit der Hoffnung,
daß es dereinst allgemein dahin kommen werde; haben doch fast alle Pro-
duktivasfoziationen bis jetzt entweder Bankrott gemacht oder sind in kapitalistische
Unternehmungen umgeschlagen. Aber wer die Möglichkeit einer solchen Ent¬
wicklung leugnet, der verkennt das Wesen und die Bedeutung des Kapitals
als eines bloßen Werkzeugs des Menschengeistes, und deshalb muß der Be¬
hauptung, daß die Produktivgenossenschaft schlechthin Unsinn sei, entgegen¬
getreten werden.

Vollkommen Recht hat Vorster mit der Ansicht, daß die expvrtirende
Großindustrie zur Ernährung unsrer überschüssigen Bevölkerung notwendig sei,
aber auch hier wendet er sich mit seiner Polemik wieder an die falsche Adresse.
So wenig wie wir haben irgendwelche Professoren der Nationalökonomie diese
Notwendigkeit bestritten; es sind die Agrarier, die gegen den Industriestaat
zetern. Doch darin unterscheiden wir uns von Vorster und von Schulze-
Gävernitz, daß wir diese Notwendigkeit als ein Übel betrachten. Wir sagen:
solange Landwirtschaft und Handwerk den steigenden Bevvlkerungsüberschuß nicht
aufzunehmen vermögen, so lange muß unsre Exportindustrie zu wachsen suchen;
aber wir fügen hinzu: wir glauben nicht, daß dieses Wachstum endlos fort¬
schreiten könne, wir glauben nicht, daß es in einer Zeit, wo England um die
Erhaltung seines Exports zu bangen anfangt, einem zweiten Volke möglich
fein werde, feine Existenz auf die Ausfuhr von Jndustrieerzeugnissen zu gründen.


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[0112] Gin Kampf gegen U?abmühten zeigen. Im allgemeinen sind natürlich die Arbeiter geneigt, die Notwendigkeit des privaten Kapitalbesitzes und dessen Verbindung mit der Leitung der Unter¬ nehmen zu unterschätzen, während Unternehmer wie Herr Vorster diese Not¬ wendigkeit gewöhnlich überschützen. Übrigens widerspricht er sich selbst, wenn er immer wieder die Notwendigkeit des Kapitals hervorhebt, womit er natür¬ lich einen bedeutenden Kapitalbesitz in den Händen der Unternehmer meint, gleichzeitig aber wiederholt ausruft: uicht das Kapital, sondern der Geist des Unternehmers, seine Tüchtigkeit verbürgt den Erfolg, und wenn er auf Krupp und Borsig hinweist, die sich ohne Kapital zu Großunternehmern empor¬ gearbeitet haben. Man braucht bloß diese Thatsache mit dem Worte Aktien¬ gesellschaft zusammenzuhalten, um sich davon zu überzeugen, daß sich nicht die Sozicildemvkraten irren, wenn sie die Leitung der Unternehmungen durch die Arbeiter für möglich halten, sondern daß sich Herr Vorster irrt, wenn er so etwas sür Unsinn erklärt. Wir haben auf der einen Seite einfache Arbeiter, deren Geist das Kapital ersetzt, und wir haben auf der andern Seite Kapitalisten, die Aktionäre, die, wofern sie Geist haben, was aber gar nicht nötig ist, von diesem Geiste nicht das mindeste für die Unternehmungen, in denen ihr Geld angelegt ist, verwenden. Ist es nun nicht denkbar, daß die Aktien an die Arbeiter übergingen, und daß es unter diesen kluge und energische Köpfe gäbe, die das Unternehmen für Rechnung ihrer Mitarbeiter weiter zu führen ver¬ möchten? Wahrscheinlich täuschen sich die Sozialdemokraten mit der Hoffnung, daß es dereinst allgemein dahin kommen werde; haben doch fast alle Pro- duktivasfoziationen bis jetzt entweder Bankrott gemacht oder sind in kapitalistische Unternehmungen umgeschlagen. Aber wer die Möglichkeit einer solchen Ent¬ wicklung leugnet, der verkennt das Wesen und die Bedeutung des Kapitals als eines bloßen Werkzeugs des Menschengeistes, und deshalb muß der Be¬ hauptung, daß die Produktivgenossenschaft schlechthin Unsinn sei, entgegen¬ getreten werden. Vollkommen Recht hat Vorster mit der Ansicht, daß die expvrtirende Großindustrie zur Ernährung unsrer überschüssigen Bevölkerung notwendig sei, aber auch hier wendet er sich mit seiner Polemik wieder an die falsche Adresse. So wenig wie wir haben irgendwelche Professoren der Nationalökonomie diese Notwendigkeit bestritten; es sind die Agrarier, die gegen den Industriestaat zetern. Doch darin unterscheiden wir uns von Vorster und von Schulze- Gävernitz, daß wir diese Notwendigkeit als ein Übel betrachten. Wir sagen: solange Landwirtschaft und Handwerk den steigenden Bevvlkerungsüberschuß nicht aufzunehmen vermögen, so lange muß unsre Exportindustrie zu wachsen suchen; aber wir fügen hinzu: wir glauben nicht, daß dieses Wachstum endlos fort¬ schreiten könne, wir glauben nicht, daß es in einer Zeit, wo England um die Erhaltung seines Exports zu bangen anfangt, einem zweiten Volke möglich fein werde, feine Existenz auf die Ausfuhr von Jndustrieerzeugnissen zu gründen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/112>, abgerufen am 01.09.2024.