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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Ein Rampf gegen Windmühlen

wir die gewaltsame Repressiv" der Arbeiterbewegung mißbilligen und sowohl
die Übel, unter denen der Arbeiterstand leidet, als auch die Gefahren einer
rein kapitalistischen Entwicklung der Volkswirtschaft hervorheben, und so wird
Herr Vorster, der ja wohl die Post liest, wahrscheinlich auch uns zu den
Feinden des Kapitals und der Großindustrie rechnen. Unsre Leser aber wissen,
daß wir eins für so notwendig halten wie das andre, und daß wir die Um¬
stände, unter denen -- nicht das Kapital, sondern -- die Konzentration des
Kapitalbesitzes Schaden anrichten kann, ganz genau bezeichnen. Was aber gar
die Großindustrie anlangt, so wird Herr Vvrster deren Feinde nicht einmal
bei den Sozialdemokraten finden -- die erklären ja gerade mit ungeheuerlicher
Übertreibung jeden Kleinbetrieb für "rückständig" und allein deu Großbetrieb für
berechtigt und lebensfähig --, sondern bei den Schützlingen und Wahlhelfern
seiner guten Freunde und Bundesgenossen, der Konservativen, bei den Zünstlern,
Vauerbündlern und Antisemiten. Schon die Art und Weise, wie er in seiner-
ersten Broschüre aus die Feindschaft gegen das Kapital zu sprechen kommt, ist
höchst merkwürdig und ein charakteristischer Fall von Blindheit infolge der
Parteistellung. Er erzählt, daß alljährlich im preußischen Abgeordnetenhause beim
Etat der öffentlichen Arbeiten der "Rhein-Seeweg" vom Abgeordneten Knebel
angeregt werde, aber immer ohne Erfolg. Allerdings, schreibt er auf Seite 23,
"wird es ohne Kapital nicht gehen. Der Kapitalismus wird aber jetzt in
Deutschland als "unmoralisch" betrachtet, und so kann es allerdings dazu
kommen, daß sür derartige große Ausgaben kein Geld mehr da ist." Weiß
denn Herr Vorster nicht, daß es seine guten Freunde, die agrarischen Konser¬
vativen sind, die gegen Kanalbauten stimmen, die am liebsten alle Seehäfen
verschütten möchten, und die Caprivi wie einen Verbrecher behandeln, weil er
^ was nebenbei bemerkt ein Unsinn und eine Lüge ist -- aus Deutschland
einen Industriestaat habe machen wollen? Sitzt denn im preußischen Ab¬
geordnetenhaus" auch nur ein einziger Mann, den man im Verdacht haben
könnte, daß er den Kapitalismus für unmoralisch hielte? Übrigens täuscht
sich Herr Vorster, wenn er glaubt, daß für Kanalbnuten privates Großkapital
notwendig sei; hat doch eben erst der Nordostseekanal den Beweis geliefert,
daß die großartigsten Kanalbauten auf Staatskosten durchgeführt, die Bau¬
kosten also aus den Steuerbeiträgen der Gesamtheit bestritten werden können.

Der wissenschaftliche Streit bewegt sich nicht darum, ob das Kapital und
die Großindustrie notwendig seien, denn deren Notwendigkeit und Nutzen wird
von keinem vernünftigen Menschen bezweifelt, sondern darum, in welchen Ge¬
werben auch der mittlere und der kleine Betrieb noch lebensfähig, und in
welchem Grade die Konzentration des privaten Kapitalbesitzes für die Gro߬
industrie notwendig oder wünschenswert sei. Diese Fragen lassen sich nicht in
Bausch und Bogen entscheiden, sondern nur für jedes einzelne Gewerbe und
für jeden einzelnen Fall, wie wir das in unsern Versuchen von Zeit zu Zeit


Ein Rampf gegen Windmühlen

wir die gewaltsame Repressiv» der Arbeiterbewegung mißbilligen und sowohl
die Übel, unter denen der Arbeiterstand leidet, als auch die Gefahren einer
rein kapitalistischen Entwicklung der Volkswirtschaft hervorheben, und so wird
Herr Vorster, der ja wohl die Post liest, wahrscheinlich auch uns zu den
Feinden des Kapitals und der Großindustrie rechnen. Unsre Leser aber wissen,
daß wir eins für so notwendig halten wie das andre, und daß wir die Um¬
stände, unter denen — nicht das Kapital, sondern — die Konzentration des
Kapitalbesitzes Schaden anrichten kann, ganz genau bezeichnen. Was aber gar
die Großindustrie anlangt, so wird Herr Vvrster deren Feinde nicht einmal
bei den Sozialdemokraten finden — die erklären ja gerade mit ungeheuerlicher
Übertreibung jeden Kleinbetrieb für „rückständig" und allein deu Großbetrieb für
berechtigt und lebensfähig —, sondern bei den Schützlingen und Wahlhelfern
seiner guten Freunde und Bundesgenossen, der Konservativen, bei den Zünstlern,
Vauerbündlern und Antisemiten. Schon die Art und Weise, wie er in seiner-
ersten Broschüre aus die Feindschaft gegen das Kapital zu sprechen kommt, ist
höchst merkwürdig und ein charakteristischer Fall von Blindheit infolge der
Parteistellung. Er erzählt, daß alljährlich im preußischen Abgeordnetenhause beim
Etat der öffentlichen Arbeiten der „Rhein-Seeweg" vom Abgeordneten Knebel
angeregt werde, aber immer ohne Erfolg. Allerdings, schreibt er auf Seite 23,
„wird es ohne Kapital nicht gehen. Der Kapitalismus wird aber jetzt in
Deutschland als »unmoralisch« betrachtet, und so kann es allerdings dazu
kommen, daß sür derartige große Ausgaben kein Geld mehr da ist." Weiß
denn Herr Vorster nicht, daß es seine guten Freunde, die agrarischen Konser¬
vativen sind, die gegen Kanalbauten stimmen, die am liebsten alle Seehäfen
verschütten möchten, und die Caprivi wie einen Verbrecher behandeln, weil er
^ was nebenbei bemerkt ein Unsinn und eine Lüge ist — aus Deutschland
einen Industriestaat habe machen wollen? Sitzt denn im preußischen Ab¬
geordnetenhaus« auch nur ein einziger Mann, den man im Verdacht haben
könnte, daß er den Kapitalismus für unmoralisch hielte? Übrigens täuscht
sich Herr Vorster, wenn er glaubt, daß für Kanalbnuten privates Großkapital
notwendig sei; hat doch eben erst der Nordostseekanal den Beweis geliefert,
daß die großartigsten Kanalbauten auf Staatskosten durchgeführt, die Bau¬
kosten also aus den Steuerbeiträgen der Gesamtheit bestritten werden können.

Der wissenschaftliche Streit bewegt sich nicht darum, ob das Kapital und
die Großindustrie notwendig seien, denn deren Notwendigkeit und Nutzen wird
von keinem vernünftigen Menschen bezweifelt, sondern darum, in welchen Ge¬
werben auch der mittlere und der kleine Betrieb noch lebensfähig, und in
welchem Grade die Konzentration des privaten Kapitalbesitzes für die Gro߬
industrie notwendig oder wünschenswert sei. Diese Fragen lassen sich nicht in
Bausch und Bogen entscheiden, sondern nur für jedes einzelne Gewerbe und
für jeden einzelnen Fall, wie wir das in unsern Versuchen von Zeit zu Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/111>, abgerufen am 01.09.2024.