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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Macht des Unvernünftigen

Ernst, der der gesetzgeberischen Thätigkeit gebührt, zum Gesetz erhoben wird,
was nicht etwa vor einigen Jahren, nein vor einigen Monaten oder Wochen
für, unzweckmäßig, für schädlich, für eine gesetzgeberische Thorheit erklärt wurde,
wenn dieselben Personen zum Teil, die sich vorher so geringschätzig über den
Gesetzvorschlag ausgesprochen hatten, so rasch umsatteln, so ist es wohl weit
genug gekommen. Einen glänzendem Sieg kann die Unvernunft nicht feiern,
als wenn die Gesetzgeber ihren lärmenden Wortführern erklären: Wir billigen
nicht, was ihr verlangt, wir versprechen uns keine günstige Wirkung davon,
aber um euch los zu werden und in der Hoffnung, daß ihr vielleicht durch
Schaden klug werdet, geben wir nach. Darin liegt die stärkste Aufmunterung
der Agitation. Welche Widerstandskraft hat dann noch die Gesetzgebung, und
welche Gewähr ist dafür gegeben, daß nicht Vorschläge, die vor einiger Zeit
noch von den leitenden Stellen als gesetzgeberische Thorheit bezeichnet wurden,
dennoch Gesetz werden?

Wir haben schon darauf hingewiesen, wie sehr sich die Anschauungen der
Jnteressenpolitiker selbst geändert haben. Sogar die ersten scheinbar so be¬
scheidnen Forderungen wagte man zu Anfang nicht zu stellen. Sie wurden
von einigen wenigen erhoben, und die große Mehrzahl aller derer, die heute
dem agrarischen Heerbann folgen, hielt damals u. a. schon die Forderung eines
Kornzolles überhaupt für unberechtigt, wie sich denn auch die Vorstellung, daß
die Grundsteuer eine Ungerechtigkeit sei, erst ganz allmählich in den Kreisen
der Grundbesitzer verbreitet hat.

So wurde immer mehr gefordert, und das, was einmal gewährt war,
wurde als ein selbstverständliches Recht betrachtet, dessen Gewährung der Gesetz¬
gebung keinen Anspruch auf Dank gebe, vielmehr nur ihre Verpflichtung zu
weitern Leistungen beweise. Als mau sah, wie wenig die Zölle, auch nach
ihrer spätern Erhöhung, wirkten, da wurden die ausschweifendsten Forderungen
bezüglich der Höhe des Zollsatzes erhoben. Zollsätze, die zu fordern man an¬
fangs für eine Albernheit gehalten hatte, wurden später als das geringste be¬
zeichnet, womit sich die Landwirtschaft zufrieden geben könne. Und als dann
die schutzzöllnerische Hochflut etwas zurückgestaut wurde, als in mehreren
Ländern die Notwendigkeit einer Herabsetzung der Zölle eingesehen wurde, als
nach Abschluß der Handelsverträge an Zollerhöhnngen nicht mehr zu denken
war, da warf sich die Agitation auf andre Gebiete, und die gesetzgeberischen
Heilkünstler suchten nach neuen, wirksamern Mitteln. Zwar wurde gewaltiges
Geschrei erhoben wegen der durch die Handelsverträge festgesetzten geringfügige"
Zollherabsetznng, die angeblich den Untergang der Landwirtschaft gewaltig be¬
schleunigen sollte. Aber die Absicht hierbei war doch Wohl hauptsächlich, mög¬
lichst hohe "Kompensationen" für die Handelsverträge, die zu gewähren sich ja
die Gesetzgebung verpflichtet hatte, herauszuschlagen. Im übrigen ist es deut¬
lich bemerkbar, daß die Agrarier der ganzen Zollgesetzgebung lange nicht mehr


Die Macht des Unvernünftigen

Ernst, der der gesetzgeberischen Thätigkeit gebührt, zum Gesetz erhoben wird,
was nicht etwa vor einigen Jahren, nein vor einigen Monaten oder Wochen
für, unzweckmäßig, für schädlich, für eine gesetzgeberische Thorheit erklärt wurde,
wenn dieselben Personen zum Teil, die sich vorher so geringschätzig über den
Gesetzvorschlag ausgesprochen hatten, so rasch umsatteln, so ist es wohl weit
genug gekommen. Einen glänzendem Sieg kann die Unvernunft nicht feiern,
als wenn die Gesetzgeber ihren lärmenden Wortführern erklären: Wir billigen
nicht, was ihr verlangt, wir versprechen uns keine günstige Wirkung davon,
aber um euch los zu werden und in der Hoffnung, daß ihr vielleicht durch
Schaden klug werdet, geben wir nach. Darin liegt die stärkste Aufmunterung
der Agitation. Welche Widerstandskraft hat dann noch die Gesetzgebung, und
welche Gewähr ist dafür gegeben, daß nicht Vorschläge, die vor einiger Zeit
noch von den leitenden Stellen als gesetzgeberische Thorheit bezeichnet wurden,
dennoch Gesetz werden?

Wir haben schon darauf hingewiesen, wie sehr sich die Anschauungen der
Jnteressenpolitiker selbst geändert haben. Sogar die ersten scheinbar so be¬
scheidnen Forderungen wagte man zu Anfang nicht zu stellen. Sie wurden
von einigen wenigen erhoben, und die große Mehrzahl aller derer, die heute
dem agrarischen Heerbann folgen, hielt damals u. a. schon die Forderung eines
Kornzolles überhaupt für unberechtigt, wie sich denn auch die Vorstellung, daß
die Grundsteuer eine Ungerechtigkeit sei, erst ganz allmählich in den Kreisen
der Grundbesitzer verbreitet hat.

So wurde immer mehr gefordert, und das, was einmal gewährt war,
wurde als ein selbstverständliches Recht betrachtet, dessen Gewährung der Gesetz¬
gebung keinen Anspruch auf Dank gebe, vielmehr nur ihre Verpflichtung zu
weitern Leistungen beweise. Als mau sah, wie wenig die Zölle, auch nach
ihrer spätern Erhöhung, wirkten, da wurden die ausschweifendsten Forderungen
bezüglich der Höhe des Zollsatzes erhoben. Zollsätze, die zu fordern man an¬
fangs für eine Albernheit gehalten hatte, wurden später als das geringste be¬
zeichnet, womit sich die Landwirtschaft zufrieden geben könne. Und als dann
die schutzzöllnerische Hochflut etwas zurückgestaut wurde, als in mehreren
Ländern die Notwendigkeit einer Herabsetzung der Zölle eingesehen wurde, als
nach Abschluß der Handelsverträge an Zollerhöhnngen nicht mehr zu denken
war, da warf sich die Agitation auf andre Gebiete, und die gesetzgeberischen
Heilkünstler suchten nach neuen, wirksamern Mitteln. Zwar wurde gewaltiges
Geschrei erhoben wegen der durch die Handelsverträge festgesetzten geringfügige»
Zollherabsetznng, die angeblich den Untergang der Landwirtschaft gewaltig be¬
schleunigen sollte. Aber die Absicht hierbei war doch Wohl hauptsächlich, mög¬
lichst hohe „Kompensationen" für die Handelsverträge, die zu gewähren sich ja
die Gesetzgebung verpflichtet hatte, herauszuschlagen. Im übrigen ist es deut¬
lich bemerkbar, daß die Agrarier der ganzen Zollgesetzgebung lange nicht mehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/11>, abgerufen am 01.09.2024.