Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Aufgabe des preußischen Handelsministers

sonders unzugänglich, auch mittelbar. Es fehlt ihm in den Provinzen, in den
Regierungsbezirken und vollends in den Kreisen und größern Stadtgemeinden
ganz und gar an eignen und geeigneten Organen für ein dauerndes Zusammen¬
arbeiten mit den Erwerbsständen und ihren Vereinigungen. Die Organe der
sogenannten politischen Partei haben andres zu thun und haben erst recht nicht
die Vorbildung, dieser Aufgabe nebenher zu entsprechen. Die Einrichtung der
Gewerbeinspektoren hat einen viel zu beschränkten amtlichen Wirkungskreis und
ist nicht einmal für diesen ausreichend -- die Dampfkesselrevisionen sorgen
schon allein dafür --, geschweige denn, daß sie zu dauerndem gemeinsamem
Wirken mit den Körperschaften der Handel- und Gewerbetreibenden imstande
wären. Warum kann man sich in Preußen nicht, wenigstens für jede Provinz,
zur Errichtung einer Zentralstelle für Handel und Gewerbe nach südwest¬
deutschem Vorbilde entschließen? Das würde dem Chef des Ministeriums eine
viel bessere Kenntnis über die Bedürfnisse von Handel und Gewerbe im Lande
vermitteln, als die sich widersprechenden Berichte und Antworten, mit deren
Einfordernng die "Interessenvertretungen" geplagt und deren Ergebnisse dann
von irgend einem hilfsarbeitendcn Assessor nnter Beistand einiger Subalternen
schablonenmäßig, womöglich gar statistisch, vergewaltigt werden.

Und damit kommen wir zur Hauptaufgabe des neuen Handelsministers,
zur Neugestaltung seines eignen Beamtenapparats. Alles, was neuerdings
wieder, auch in den Grenzboten, an der Vorbildung für den höhern Ver¬
waltungsdienst in Preußen getadelt worden ist, gilt doppelt nud, dreifach für
den Veamtencipparat in dein Ministerium für Handel und Gewerbe. Man
braucht ganz und gar nicht den leider gerade in Preußen gewaltig überhand¬
nehmenden Einseitigkeiten zuzustimmen, die in völliger Unkenntnis und Unter¬
schätzung des Werth einer gründlichen juristischen Vorbildung für den höhern
Verwaltungsbeamten den Versicherungsdirektor ohne weiteres für befähigt an¬
sehen zum Amt des Regierungspräsidenten und den Bankdirektor zum Handels -
Ministerposten, man kann die juristische, und zwar eine gründlich juristische
Schulung für nötig halten für die Räte im Ministerium für Handel und
Gewerbe; aber man wird doch unbedingt für dieses Amt eine ebenso gründ¬
liche, praktische wie wissenschaftliche Vorbildung in der Volkswirtschaft ver¬
langen müssen. Dazu gehört aber vor allem eine langjährige verantwortliche
praktische Amtsthätigkeit draußen im Lande in unmittelbarer Fühlung mit dem
Erwerbsleben selbst. Diese kann niemals ersetzt werden durch die Rasch-
macherei in den an sich gewiß lobenswerten statistischen und staatswissenschaft-
licheu Seminaren der Hauptstadt, die in bedenklichem Maße überHand nimmt
und leicht ein Strebertum züchten kaun, dessen Einseitigkeit nur noch überboten
wird durch seine Überhebung, und das die sozialpolitische Leistungsfähigkeit
der Behörden arg zu beeinträchtigen droht. Wenn der preußische Minister
des Innern zur Zeit daran denkt, eine Reform der Borbildung für deu höhern


Die Aufgabe des preußischen Handelsministers

sonders unzugänglich, auch mittelbar. Es fehlt ihm in den Provinzen, in den
Regierungsbezirken und vollends in den Kreisen und größern Stadtgemeinden
ganz und gar an eignen und geeigneten Organen für ein dauerndes Zusammen¬
arbeiten mit den Erwerbsständen und ihren Vereinigungen. Die Organe der
sogenannten politischen Partei haben andres zu thun und haben erst recht nicht
die Vorbildung, dieser Aufgabe nebenher zu entsprechen. Die Einrichtung der
Gewerbeinspektoren hat einen viel zu beschränkten amtlichen Wirkungskreis und
ist nicht einmal für diesen ausreichend — die Dampfkesselrevisionen sorgen
schon allein dafür —, geschweige denn, daß sie zu dauerndem gemeinsamem
Wirken mit den Körperschaften der Handel- und Gewerbetreibenden imstande
wären. Warum kann man sich in Preußen nicht, wenigstens für jede Provinz,
zur Errichtung einer Zentralstelle für Handel und Gewerbe nach südwest¬
deutschem Vorbilde entschließen? Das würde dem Chef des Ministeriums eine
viel bessere Kenntnis über die Bedürfnisse von Handel und Gewerbe im Lande
vermitteln, als die sich widersprechenden Berichte und Antworten, mit deren
Einfordernng die „Interessenvertretungen" geplagt und deren Ergebnisse dann
von irgend einem hilfsarbeitendcn Assessor nnter Beistand einiger Subalternen
schablonenmäßig, womöglich gar statistisch, vergewaltigt werden.

Und damit kommen wir zur Hauptaufgabe des neuen Handelsministers,
zur Neugestaltung seines eignen Beamtenapparats. Alles, was neuerdings
wieder, auch in den Grenzboten, an der Vorbildung für den höhern Ver¬
waltungsdienst in Preußen getadelt worden ist, gilt doppelt nud, dreifach für
den Veamtencipparat in dein Ministerium für Handel und Gewerbe. Man
braucht ganz und gar nicht den leider gerade in Preußen gewaltig überhand¬
nehmenden Einseitigkeiten zuzustimmen, die in völliger Unkenntnis und Unter¬
schätzung des Werth einer gründlichen juristischen Vorbildung für den höhern
Verwaltungsbeamten den Versicherungsdirektor ohne weiteres für befähigt an¬
sehen zum Amt des Regierungspräsidenten und den Bankdirektor zum Handels -
Ministerposten, man kann die juristische, und zwar eine gründlich juristische
Schulung für nötig halten für die Räte im Ministerium für Handel und
Gewerbe; aber man wird doch unbedingt für dieses Amt eine ebenso gründ¬
liche, praktische wie wissenschaftliche Vorbildung in der Volkswirtschaft ver¬
langen müssen. Dazu gehört aber vor allem eine langjährige verantwortliche
praktische Amtsthätigkeit draußen im Lande in unmittelbarer Fühlung mit dem
Erwerbsleben selbst. Diese kann niemals ersetzt werden durch die Rasch-
macherei in den an sich gewiß lobenswerten statistischen und staatswissenschaft-
licheu Seminaren der Hauptstadt, die in bedenklichem Maße überHand nimmt
und leicht ein Strebertum züchten kaun, dessen Einseitigkeit nur noch überboten
wird durch seine Überhebung, und das die sozialpolitische Leistungsfähigkeit
der Behörden arg zu beeinträchtigen droht. Wenn der preußische Minister
des Innern zur Zeit daran denkt, eine Reform der Borbildung für deu höhern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223051"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Aufgabe des preußischen Handelsministers</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_365" prev="#ID_364"> sonders unzugänglich, auch mittelbar. Es fehlt ihm in den Provinzen, in den<lb/>
Regierungsbezirken und vollends in den Kreisen und größern Stadtgemeinden<lb/>
ganz und gar an eignen und geeigneten Organen für ein dauerndes Zusammen¬<lb/>
arbeiten mit den Erwerbsständen und ihren Vereinigungen. Die Organe der<lb/>
sogenannten politischen Partei haben andres zu thun und haben erst recht nicht<lb/>
die Vorbildung, dieser Aufgabe nebenher zu entsprechen. Die Einrichtung der<lb/>
Gewerbeinspektoren hat einen viel zu beschränkten amtlichen Wirkungskreis und<lb/>
ist nicht einmal für diesen ausreichend &#x2014; die Dampfkesselrevisionen sorgen<lb/>
schon allein dafür &#x2014;, geschweige denn, daß sie zu dauerndem gemeinsamem<lb/>
Wirken mit den Körperschaften der Handel- und Gewerbetreibenden imstande<lb/>
wären. Warum kann man sich in Preußen nicht, wenigstens für jede Provinz,<lb/>
zur Errichtung einer Zentralstelle für Handel und Gewerbe nach südwest¬<lb/>
deutschem Vorbilde entschließen? Das würde dem Chef des Ministeriums eine<lb/>
viel bessere Kenntnis über die Bedürfnisse von Handel und Gewerbe im Lande<lb/>
vermitteln, als die sich widersprechenden Berichte und Antworten, mit deren<lb/>
Einfordernng die &#x201E;Interessenvertretungen" geplagt und deren Ergebnisse dann<lb/>
von irgend einem hilfsarbeitendcn Assessor nnter Beistand einiger Subalternen<lb/>
schablonenmäßig, womöglich gar statistisch, vergewaltigt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_366" next="#ID_367"> Und damit kommen wir zur Hauptaufgabe des neuen Handelsministers,<lb/>
zur Neugestaltung seines eignen Beamtenapparats. Alles, was neuerdings<lb/>
wieder, auch in den Grenzboten, an der Vorbildung für den höhern Ver¬<lb/>
waltungsdienst in Preußen getadelt worden ist, gilt doppelt nud, dreifach für<lb/>
den Veamtencipparat in dein Ministerium für Handel und Gewerbe. Man<lb/>
braucht ganz und gar nicht den leider gerade in Preußen gewaltig überhand¬<lb/>
nehmenden Einseitigkeiten zuzustimmen, die in völliger Unkenntnis und Unter¬<lb/>
schätzung des Werth einer gründlichen juristischen Vorbildung für den höhern<lb/>
Verwaltungsbeamten den Versicherungsdirektor ohne weiteres für befähigt an¬<lb/>
sehen zum Amt des Regierungspräsidenten und den Bankdirektor zum Handels -<lb/>
Ministerposten, man kann die juristische, und zwar eine gründlich juristische<lb/>
Schulung für nötig halten für die Räte im Ministerium für Handel und<lb/>
Gewerbe; aber man wird doch unbedingt für dieses Amt eine ebenso gründ¬<lb/>
liche, praktische wie wissenschaftliche Vorbildung in der Volkswirtschaft ver¬<lb/>
langen müssen. Dazu gehört aber vor allem eine langjährige verantwortliche<lb/>
praktische Amtsthätigkeit draußen im Lande in unmittelbarer Fühlung mit dem<lb/>
Erwerbsleben selbst. Diese kann niemals ersetzt werden durch die Rasch-<lb/>
macherei in den an sich gewiß lobenswerten statistischen und staatswissenschaft-<lb/>
licheu Seminaren der Hauptstadt, die in bedenklichem Maße überHand nimmt<lb/>
und leicht ein Strebertum züchten kaun, dessen Einseitigkeit nur noch überboten<lb/>
wird durch seine Überhebung, und das die sozialpolitische Leistungsfähigkeit<lb/>
der Behörden arg zu beeinträchtigen droht. Wenn der preußische Minister<lb/>
des Innern zur Zeit daran denkt, eine Reform der Borbildung für deu höhern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] Die Aufgabe des preußischen Handelsministers sonders unzugänglich, auch mittelbar. Es fehlt ihm in den Provinzen, in den Regierungsbezirken und vollends in den Kreisen und größern Stadtgemeinden ganz und gar an eignen und geeigneten Organen für ein dauerndes Zusammen¬ arbeiten mit den Erwerbsständen und ihren Vereinigungen. Die Organe der sogenannten politischen Partei haben andres zu thun und haben erst recht nicht die Vorbildung, dieser Aufgabe nebenher zu entsprechen. Die Einrichtung der Gewerbeinspektoren hat einen viel zu beschränkten amtlichen Wirkungskreis und ist nicht einmal für diesen ausreichend — die Dampfkesselrevisionen sorgen schon allein dafür —, geschweige denn, daß sie zu dauerndem gemeinsamem Wirken mit den Körperschaften der Handel- und Gewerbetreibenden imstande wären. Warum kann man sich in Preußen nicht, wenigstens für jede Provinz, zur Errichtung einer Zentralstelle für Handel und Gewerbe nach südwest¬ deutschem Vorbilde entschließen? Das würde dem Chef des Ministeriums eine viel bessere Kenntnis über die Bedürfnisse von Handel und Gewerbe im Lande vermitteln, als die sich widersprechenden Berichte und Antworten, mit deren Einfordernng die „Interessenvertretungen" geplagt und deren Ergebnisse dann von irgend einem hilfsarbeitendcn Assessor nnter Beistand einiger Subalternen schablonenmäßig, womöglich gar statistisch, vergewaltigt werden. Und damit kommen wir zur Hauptaufgabe des neuen Handelsministers, zur Neugestaltung seines eignen Beamtenapparats. Alles, was neuerdings wieder, auch in den Grenzboten, an der Vorbildung für den höhern Ver¬ waltungsdienst in Preußen getadelt worden ist, gilt doppelt nud, dreifach für den Veamtencipparat in dein Ministerium für Handel und Gewerbe. Man braucht ganz und gar nicht den leider gerade in Preußen gewaltig überhand¬ nehmenden Einseitigkeiten zuzustimmen, die in völliger Unkenntnis und Unter¬ schätzung des Werth einer gründlichen juristischen Vorbildung für den höhern Verwaltungsbeamten den Versicherungsdirektor ohne weiteres für befähigt an¬ sehen zum Amt des Regierungspräsidenten und den Bankdirektor zum Handels - Ministerposten, man kann die juristische, und zwar eine gründlich juristische Schulung für nötig halten für die Räte im Ministerium für Handel und Gewerbe; aber man wird doch unbedingt für dieses Amt eine ebenso gründ¬ liche, praktische wie wissenschaftliche Vorbildung in der Volkswirtschaft ver¬ langen müssen. Dazu gehört aber vor allem eine langjährige verantwortliche praktische Amtsthätigkeit draußen im Lande in unmittelbarer Fühlung mit dem Erwerbsleben selbst. Diese kann niemals ersetzt werden durch die Rasch- macherei in den an sich gewiß lobenswerten statistischen und staatswissenschaft- licheu Seminaren der Hauptstadt, die in bedenklichem Maße überHand nimmt und leicht ein Strebertum züchten kaun, dessen Einseitigkeit nur noch überboten wird durch seine Überhebung, und das die sozialpolitische Leistungsfähigkeit der Behörden arg zu beeinträchtigen droht. Wenn der preußische Minister des Innern zur Zeit daran denkt, eine Reform der Borbildung für deu höhern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/109
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/109>, abgerufen am 01.09.2024.