Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Aufgabe des preußischen Handelsministers

Gewerbe ein. Die Sorge für die Sicherung der Mehrheit des Zünftlertums
und -- sagen wir es offen -- der wirtschaftlichen, technischen und allgemeinen
Halbbildung in den Handwerkerkammern veranlaßt die Führer der Handwerker¬
partei vor allem, gegen die Einrichtung von Handels- und Gewerbekammern
zu eifern und zu wühlen, und man war im preußischen Handelsministerium
schwach genug, dem nachzugeben, obwohl es aus den Kreisen, die die Handels¬
und Gewerbekammern erprobt haben, an warnenden Stimmen nicht gefehlt hat.
Daß sich die preußischen Handelskammern bei der ganzen Organisativnsfrcige
um das Kleingewerbe so gut wie gar nicht gekümmert haben, hätte das
Handelsministerium erst recht darauf hinweisen sollen, daß eine weitere Ent¬
fremdung zwischen Handel und Großindustrie auf der eiuen und dem Hand¬
werk auf der andern Seite verkehrt sei. Im Vergleich mit den Zuständen in
Südwestdeutschland ist der Mangel jedes Verständnisses und Interesses für die
Handwerkerfrage in den Kreisen der preußischen Kaufleute, Industriellen und
Ingenieure als ein volkswirtschaftlicher und sozialer Fehler verhängnisvollster
Art zu beklagen, und er hat am meisten zu dem Aufkommen der Künstlerischen
Strömung beigetragen.

Doch genug von den einzelnen Organisationsplänen; das Prinzip ist es,
mit dem gebrochen werden muß. Die Herren im preußische:? Ministerium wie
die im Reichsamt des Innern, unterstützt durch die treffliche Wirkung des
Schlagworts Selbstverwaltung, sehen alles Heil, wenn nicht für die Sache,
so doch für sich selbst, in der Schaffung jener sogenannten "Vertretungskörpcr"
für die wirtschaftlichen Sonderintereffen möglichst vieler einzelnen Berufs¬
gruppen. Das soll dann die vielgerühmte Organisation der Gesellschaft in
Berufsständen werden, die den leitenden Beamten nicht nur viel Mühe, sondern
vor allem die Verantwortung abnehmen soll. Daß in einer Zeit, wo der
Egoismus zur obersten Pflicht geworden ist, und wo der Kampf der Sonder¬
intereffen bis aufs Messer geführt wird, solche Interessenvertretungen Kriegs¬
organisationen werden müssen, im besten Falle Parteien im Streit, die sich
an die Weisheit und die Macht des Richters zu wenden haben, wenn nicht
die Gesellschaft aus den Fugen gehen soll, das scheint die neupreußische Be¬
amtenschule ganz zu vergessen. Nur wenn es der Staat und sein Beamtentum
versteht, von unten an mit den im praktischen Erwerbsleben stehenden Staats¬
bürgern und ihren Vereinigungen zu einem gegenseitig befruchtenden Zusammen¬
arbeiten zu gelangen, kann jene Organisation der Erwerbstünde zum Segen
ausschlagen. Auch in dieser Beziehung hat Preußen, wenigstens im Amts¬
bereich des neuen Ministers, noch so gut wie alles zu lernen. Mit Anfragen
und Anhören von oben herunter ist wenig gedient. Auch hier ist Süd- und
Südwestdeutschland die Schule, in die Preußen seine Beamten schicken sollte.
Der süddeutsche Minister ist für den Handwerker und Bauer zugänglicher
als der preußische Landrat. Der preußische Handelsminister ist aber ganz be-


Die Aufgabe des preußischen Handelsministers

Gewerbe ein. Die Sorge für die Sicherung der Mehrheit des Zünftlertums
und — sagen wir es offen — der wirtschaftlichen, technischen und allgemeinen
Halbbildung in den Handwerkerkammern veranlaßt die Führer der Handwerker¬
partei vor allem, gegen die Einrichtung von Handels- und Gewerbekammern
zu eifern und zu wühlen, und man war im preußischen Handelsministerium
schwach genug, dem nachzugeben, obwohl es aus den Kreisen, die die Handels¬
und Gewerbekammern erprobt haben, an warnenden Stimmen nicht gefehlt hat.
Daß sich die preußischen Handelskammern bei der ganzen Organisativnsfrcige
um das Kleingewerbe so gut wie gar nicht gekümmert haben, hätte das
Handelsministerium erst recht darauf hinweisen sollen, daß eine weitere Ent¬
fremdung zwischen Handel und Großindustrie auf der eiuen und dem Hand¬
werk auf der andern Seite verkehrt sei. Im Vergleich mit den Zuständen in
Südwestdeutschland ist der Mangel jedes Verständnisses und Interesses für die
Handwerkerfrage in den Kreisen der preußischen Kaufleute, Industriellen und
Ingenieure als ein volkswirtschaftlicher und sozialer Fehler verhängnisvollster
Art zu beklagen, und er hat am meisten zu dem Aufkommen der Künstlerischen
Strömung beigetragen.

Doch genug von den einzelnen Organisationsplänen; das Prinzip ist es,
mit dem gebrochen werden muß. Die Herren im preußische:? Ministerium wie
die im Reichsamt des Innern, unterstützt durch die treffliche Wirkung des
Schlagworts Selbstverwaltung, sehen alles Heil, wenn nicht für die Sache,
so doch für sich selbst, in der Schaffung jener sogenannten „Vertretungskörpcr"
für die wirtschaftlichen Sonderintereffen möglichst vieler einzelnen Berufs¬
gruppen. Das soll dann die vielgerühmte Organisation der Gesellschaft in
Berufsständen werden, die den leitenden Beamten nicht nur viel Mühe, sondern
vor allem die Verantwortung abnehmen soll. Daß in einer Zeit, wo der
Egoismus zur obersten Pflicht geworden ist, und wo der Kampf der Sonder¬
intereffen bis aufs Messer geführt wird, solche Interessenvertretungen Kriegs¬
organisationen werden müssen, im besten Falle Parteien im Streit, die sich
an die Weisheit und die Macht des Richters zu wenden haben, wenn nicht
die Gesellschaft aus den Fugen gehen soll, das scheint die neupreußische Be¬
amtenschule ganz zu vergessen. Nur wenn es der Staat und sein Beamtentum
versteht, von unten an mit den im praktischen Erwerbsleben stehenden Staats¬
bürgern und ihren Vereinigungen zu einem gegenseitig befruchtenden Zusammen¬
arbeiten zu gelangen, kann jene Organisation der Erwerbstünde zum Segen
ausschlagen. Auch in dieser Beziehung hat Preußen, wenigstens im Amts¬
bereich des neuen Ministers, noch so gut wie alles zu lernen. Mit Anfragen
und Anhören von oben herunter ist wenig gedient. Auch hier ist Süd- und
Südwestdeutschland die Schule, in die Preußen seine Beamten schicken sollte.
Der süddeutsche Minister ist für den Handwerker und Bauer zugänglicher
als der preußische Landrat. Der preußische Handelsminister ist aber ganz be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223050"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Aufgabe des preußischen Handelsministers</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_363" prev="#ID_362"> Gewerbe ein. Die Sorge für die Sicherung der Mehrheit des Zünftlertums<lb/>
und &#x2014; sagen wir es offen &#x2014; der wirtschaftlichen, technischen und allgemeinen<lb/>
Halbbildung in den Handwerkerkammern veranlaßt die Führer der Handwerker¬<lb/>
partei vor allem, gegen die Einrichtung von Handels- und Gewerbekammern<lb/>
zu eifern und zu wühlen, und man war im preußischen Handelsministerium<lb/>
schwach genug, dem nachzugeben, obwohl es aus den Kreisen, die die Handels¬<lb/>
und Gewerbekammern erprobt haben, an warnenden Stimmen nicht gefehlt hat.<lb/>
Daß sich die preußischen Handelskammern bei der ganzen Organisativnsfrcige<lb/>
um das Kleingewerbe so gut wie gar nicht gekümmert haben, hätte das<lb/>
Handelsministerium erst recht darauf hinweisen sollen, daß eine weitere Ent¬<lb/>
fremdung zwischen Handel und Großindustrie auf der eiuen und dem Hand¬<lb/>
werk auf der andern Seite verkehrt sei. Im Vergleich mit den Zuständen in<lb/>
Südwestdeutschland ist der Mangel jedes Verständnisses und Interesses für die<lb/>
Handwerkerfrage in den Kreisen der preußischen Kaufleute, Industriellen und<lb/>
Ingenieure als ein volkswirtschaftlicher und sozialer Fehler verhängnisvollster<lb/>
Art zu beklagen, und er hat am meisten zu dem Aufkommen der Künstlerischen<lb/>
Strömung beigetragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_364" next="#ID_365"> Doch genug von den einzelnen Organisationsplänen; das Prinzip ist es,<lb/>
mit dem gebrochen werden muß. Die Herren im preußische:? Ministerium wie<lb/>
die im Reichsamt des Innern, unterstützt durch die treffliche Wirkung des<lb/>
Schlagworts Selbstverwaltung, sehen alles Heil, wenn nicht für die Sache,<lb/>
so doch für sich selbst, in der Schaffung jener sogenannten &#x201E;Vertretungskörpcr"<lb/>
für die wirtschaftlichen Sonderintereffen möglichst vieler einzelnen Berufs¬<lb/>
gruppen. Das soll dann die vielgerühmte Organisation der Gesellschaft in<lb/>
Berufsständen werden, die den leitenden Beamten nicht nur viel Mühe, sondern<lb/>
vor allem die Verantwortung abnehmen soll. Daß in einer Zeit, wo der<lb/>
Egoismus zur obersten Pflicht geworden ist, und wo der Kampf der Sonder¬<lb/>
intereffen bis aufs Messer geführt wird, solche Interessenvertretungen Kriegs¬<lb/>
organisationen werden müssen, im besten Falle Parteien im Streit, die sich<lb/>
an die Weisheit und die Macht des Richters zu wenden haben, wenn nicht<lb/>
die Gesellschaft aus den Fugen gehen soll, das scheint die neupreußische Be¬<lb/>
amtenschule ganz zu vergessen. Nur wenn es der Staat und sein Beamtentum<lb/>
versteht, von unten an mit den im praktischen Erwerbsleben stehenden Staats¬<lb/>
bürgern und ihren Vereinigungen zu einem gegenseitig befruchtenden Zusammen¬<lb/>
arbeiten zu gelangen, kann jene Organisation der Erwerbstünde zum Segen<lb/>
ausschlagen. Auch in dieser Beziehung hat Preußen, wenigstens im Amts¬<lb/>
bereich des neuen Ministers, noch so gut wie alles zu lernen. Mit Anfragen<lb/>
und Anhören von oben herunter ist wenig gedient. Auch hier ist Süd- und<lb/>
Südwestdeutschland die Schule, in die Preußen seine Beamten schicken sollte.<lb/>
Der süddeutsche Minister ist für den Handwerker und Bauer zugänglicher<lb/>
als der preußische Landrat. Der preußische Handelsminister ist aber ganz be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0108] Die Aufgabe des preußischen Handelsministers Gewerbe ein. Die Sorge für die Sicherung der Mehrheit des Zünftlertums und — sagen wir es offen — der wirtschaftlichen, technischen und allgemeinen Halbbildung in den Handwerkerkammern veranlaßt die Führer der Handwerker¬ partei vor allem, gegen die Einrichtung von Handels- und Gewerbekammern zu eifern und zu wühlen, und man war im preußischen Handelsministerium schwach genug, dem nachzugeben, obwohl es aus den Kreisen, die die Handels¬ und Gewerbekammern erprobt haben, an warnenden Stimmen nicht gefehlt hat. Daß sich die preußischen Handelskammern bei der ganzen Organisativnsfrcige um das Kleingewerbe so gut wie gar nicht gekümmert haben, hätte das Handelsministerium erst recht darauf hinweisen sollen, daß eine weitere Ent¬ fremdung zwischen Handel und Großindustrie auf der eiuen und dem Hand¬ werk auf der andern Seite verkehrt sei. Im Vergleich mit den Zuständen in Südwestdeutschland ist der Mangel jedes Verständnisses und Interesses für die Handwerkerfrage in den Kreisen der preußischen Kaufleute, Industriellen und Ingenieure als ein volkswirtschaftlicher und sozialer Fehler verhängnisvollster Art zu beklagen, und er hat am meisten zu dem Aufkommen der Künstlerischen Strömung beigetragen. Doch genug von den einzelnen Organisationsplänen; das Prinzip ist es, mit dem gebrochen werden muß. Die Herren im preußische:? Ministerium wie die im Reichsamt des Innern, unterstützt durch die treffliche Wirkung des Schlagworts Selbstverwaltung, sehen alles Heil, wenn nicht für die Sache, so doch für sich selbst, in der Schaffung jener sogenannten „Vertretungskörpcr" für die wirtschaftlichen Sonderintereffen möglichst vieler einzelnen Berufs¬ gruppen. Das soll dann die vielgerühmte Organisation der Gesellschaft in Berufsständen werden, die den leitenden Beamten nicht nur viel Mühe, sondern vor allem die Verantwortung abnehmen soll. Daß in einer Zeit, wo der Egoismus zur obersten Pflicht geworden ist, und wo der Kampf der Sonder¬ intereffen bis aufs Messer geführt wird, solche Interessenvertretungen Kriegs¬ organisationen werden müssen, im besten Falle Parteien im Streit, die sich an die Weisheit und die Macht des Richters zu wenden haben, wenn nicht die Gesellschaft aus den Fugen gehen soll, das scheint die neupreußische Be¬ amtenschule ganz zu vergessen. Nur wenn es der Staat und sein Beamtentum versteht, von unten an mit den im praktischen Erwerbsleben stehenden Staats¬ bürgern und ihren Vereinigungen zu einem gegenseitig befruchtenden Zusammen¬ arbeiten zu gelangen, kann jene Organisation der Erwerbstünde zum Segen ausschlagen. Auch in dieser Beziehung hat Preußen, wenigstens im Amts¬ bereich des neuen Ministers, noch so gut wie alles zu lernen. Mit Anfragen und Anhören von oben herunter ist wenig gedient. Auch hier ist Süd- und Südwestdeutschland die Schule, in die Preußen seine Beamten schicken sollte. Der süddeutsche Minister ist für den Handwerker und Bauer zugänglicher als der preußische Landrat. Der preußische Handelsminister ist aber ganz be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/108
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/108>, abgerufen am 01.09.2024.