Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches sechzigsten Bond der Schriften des Vereins und ist betitelt: Über wirtschaftliche Maßgebliches und Unmaßgebliches sechzigsten Bond der Schriften des Vereins und ist betitelt: Über wirtschaftliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222399"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_288" prev="#ID_287" next="#ID_289"> sechzigsten Bond der Schriften des Vereins und ist betitelt: Über wirtschaftliche<lb/> Kartelle in Deutschland und im Auslande. Fünfzehn Schilderungen nebst einer<lb/> Anzahl Statuten und Beilagen. Leipzig, Duncker und Humblot, 1394. Aus der<lb/> Darstellung von zehn deutschen Kartelleu im ersten Teile lernen wir, was wir<lb/> a priori vermutet hatten, daß Kartelle desto leichter durchzuführen sind, je beschränkter<lb/> das Produktionsgebiet und je kleiner die Zahl der Fabrikanten ist, demnach beim<lb/> Kali z. B. weit leichter als bei Salz und Kohle, und daß, wo die ausländische<lb/> Konkurrenz in Betracht kommt, Kartelle sich, wenn sie wirksam bleiben sollen, nicht<lb/> auf die Landesgrenzen beschränken dürfen. Der zweite Teil behandelt Frankreich,<lb/> Österreich, Rußland, Dänemark und Nordamerika. Der Berichterstatter für Öster¬<lb/> reich, Karl Wittgenstein, Zentraldirektor der Prager Eisenindustriegesellschaft,<lb/> hält die Kartelle für nützlich und notwendig. N. a. schreibt er II, 37: „Man<lb/> ruft den Fabrikanten zu: Ihr braucht kein Kartell, unterbietet euch nicht aus freien<lb/> Stücken! Das läßt sich leicht sagen, in den meisten Fällen aber nicht ausführen.<lb/> Die Ausführung ist noch am ehesten bei einem Artikel möglich, der so allgemein<lb/> gebraucht wird, daß er auf einer Börse gehandelt werden kaun. Auf eiuer Börse<lb/> ist der Verkäufer wenigstens in der Lage, die Strömung des Marktes zu sehen<lb/> und den wirklichen Bedarf zu erkennen. Der Verkäufer auf der Börse erfährt<lb/> rasch den Preis, zu dem sein Konkurrent verkauft, und der Käufer wird es, mag<lb/> er welche Kunststücke auch immer ausführen, nicht bewirken können, wenn wirklicher<lb/> Bedarf an einer Ware vorhanden ist, den Preis in jähen Sprüngen herunter¬<lb/> zusetzen, namentlich dann, wenn die Produktion der betreffenden Ware nicht ins un¬<lb/> gemessene gesteigert werden kann. Eine Börse oder eine Messe bietet dein Verkäufer<lb/> sowohl wie dem Käufer das Mittel, sich gegen eine willkürliche Preisherabsetzung<lb/> oder Preiserhöhung zu wehren. Eine Börse ist das Kartellideal. Beide Gruppen,<lb/> Käufer und Verkäufer, sind jede stillschweigend, ohne Satzungen, aber ganz offen<lb/> kartellirt, d. h. bestrebt, ihren gemeinsamen Vorteil möglichst zu wahren. . . . Ganz<lb/> anders jais bei der Börsenware Getreide> liegt die Sache bei Schienen, namentlich<lb/> dann, wenn es sich nicht um den Weltmarkt handelt, sondern um ein enges Gebiet,<lb/> wie den Schienenmarkt in Österreich. Das Hauptquautnm der in Österreich ge¬<lb/> brauchten Schienen wird von drei bis vier Eisenbahndirektionen vergeben. Jeder<lb/> der Schienenfabrikanten muß sich sagen, daß er, wenn es ihm nicht gelingt,<lb/> wenigstens einen Teil dieser drei bis vier Bedarfsquauteu zu erhalten, ganz bestimmt<lb/> sein Werk werde zusperren müssen." Indem sich nun jeder der Schienenfabrikanten<lb/> von dieser Gefahr bedroht sieht, bleibt ihnen nichts übrig, als entweder einander<lb/> zu unterbiete» oder sich zu kartelliren. Die Darstellung der Börse als des Jdeal-<lb/> tartells auf ihre Richtigkeit zu prüfen, überlassen wir dem Leser. Der Franzose<lb/> Claudio Jaunet, xrotoLsenr et'^oonomiö xoliti-ins d. l'Univorsitö eatllolMUZ as<lb/> I^ris, urteilt in seiner Abhandlung äos S^näieats ontro man8trio!s xour rsAlor ig.<lb/> xroüuotiou on I'ranvo ini allgemeinen ungünstig. Er giebt zu, daß manche Syndikate<lb/> den kleinern Betrieben über Krisen hinweghelfen, weist aber auf andre hin, die<lb/> als wahre Räuberbanden die kleinern Betriebe vernichten und deren Vermögen an<lb/> sich ziehen, und meint, man dürfe die Dienste, die sie hie und da den mittlern<lb/> und kleiner» Unternehmern erwiesen, nicht überschätzen. Wo wirklich Überproduktion<lb/> herrsche, da vermöchten die Syndikate der Situation nicht Herr zu werden und<lb/> richteten in zweifacher Weise Schaden an: sie verzögerten die unvermeidliche Liqui¬<lb/> dation, indem sie die dem Untergang geweihten Unternehmungen eine Zeit lang künstlich<lb/> hielten, und sie vereitelten durch künstliche Preiserhöhung das einzige Mittel, wo¬<lb/> durch die Krise möglicherweise noch überwunden werden könnte: die Steigerung</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0095]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
sechzigsten Bond der Schriften des Vereins und ist betitelt: Über wirtschaftliche
Kartelle in Deutschland und im Auslande. Fünfzehn Schilderungen nebst einer
Anzahl Statuten und Beilagen. Leipzig, Duncker und Humblot, 1394. Aus der
Darstellung von zehn deutschen Kartelleu im ersten Teile lernen wir, was wir
a priori vermutet hatten, daß Kartelle desto leichter durchzuführen sind, je beschränkter
das Produktionsgebiet und je kleiner die Zahl der Fabrikanten ist, demnach beim
Kali z. B. weit leichter als bei Salz und Kohle, und daß, wo die ausländische
Konkurrenz in Betracht kommt, Kartelle sich, wenn sie wirksam bleiben sollen, nicht
auf die Landesgrenzen beschränken dürfen. Der zweite Teil behandelt Frankreich,
Österreich, Rußland, Dänemark und Nordamerika. Der Berichterstatter für Öster¬
reich, Karl Wittgenstein, Zentraldirektor der Prager Eisenindustriegesellschaft,
hält die Kartelle für nützlich und notwendig. N. a. schreibt er II, 37: „Man
ruft den Fabrikanten zu: Ihr braucht kein Kartell, unterbietet euch nicht aus freien
Stücken! Das läßt sich leicht sagen, in den meisten Fällen aber nicht ausführen.
Die Ausführung ist noch am ehesten bei einem Artikel möglich, der so allgemein
gebraucht wird, daß er auf einer Börse gehandelt werden kaun. Auf eiuer Börse
ist der Verkäufer wenigstens in der Lage, die Strömung des Marktes zu sehen
und den wirklichen Bedarf zu erkennen. Der Verkäufer auf der Börse erfährt
rasch den Preis, zu dem sein Konkurrent verkauft, und der Käufer wird es, mag
er welche Kunststücke auch immer ausführen, nicht bewirken können, wenn wirklicher
Bedarf an einer Ware vorhanden ist, den Preis in jähen Sprüngen herunter¬
zusetzen, namentlich dann, wenn die Produktion der betreffenden Ware nicht ins un¬
gemessene gesteigert werden kann. Eine Börse oder eine Messe bietet dein Verkäufer
sowohl wie dem Käufer das Mittel, sich gegen eine willkürliche Preisherabsetzung
oder Preiserhöhung zu wehren. Eine Börse ist das Kartellideal. Beide Gruppen,
Käufer und Verkäufer, sind jede stillschweigend, ohne Satzungen, aber ganz offen
kartellirt, d. h. bestrebt, ihren gemeinsamen Vorteil möglichst zu wahren. . . . Ganz
anders jais bei der Börsenware Getreide> liegt die Sache bei Schienen, namentlich
dann, wenn es sich nicht um den Weltmarkt handelt, sondern um ein enges Gebiet,
wie den Schienenmarkt in Österreich. Das Hauptquautnm der in Österreich ge¬
brauchten Schienen wird von drei bis vier Eisenbahndirektionen vergeben. Jeder
der Schienenfabrikanten muß sich sagen, daß er, wenn es ihm nicht gelingt,
wenigstens einen Teil dieser drei bis vier Bedarfsquauteu zu erhalten, ganz bestimmt
sein Werk werde zusperren müssen." Indem sich nun jeder der Schienenfabrikanten
von dieser Gefahr bedroht sieht, bleibt ihnen nichts übrig, als entweder einander
zu unterbiete» oder sich zu kartelliren. Die Darstellung der Börse als des Jdeal-
tartells auf ihre Richtigkeit zu prüfen, überlassen wir dem Leser. Der Franzose
Claudio Jaunet, xrotoLsenr et'^oonomiö xoliti-ins d. l'Univorsitö eatllolMUZ as
I^ris, urteilt in seiner Abhandlung äos S^näieats ontro man8trio!s xour rsAlor ig.
xroüuotiou on I'ranvo ini allgemeinen ungünstig. Er giebt zu, daß manche Syndikate
den kleinern Betrieben über Krisen hinweghelfen, weist aber auf andre hin, die
als wahre Räuberbanden die kleinern Betriebe vernichten und deren Vermögen an
sich ziehen, und meint, man dürfe die Dienste, die sie hie und da den mittlern
und kleiner» Unternehmern erwiesen, nicht überschätzen. Wo wirklich Überproduktion
herrsche, da vermöchten die Syndikate der Situation nicht Herr zu werden und
richteten in zweifacher Weise Schaden an: sie verzögerten die unvermeidliche Liqui¬
dation, indem sie die dem Untergang geweihten Unternehmungen eine Zeit lang künstlich
hielten, und sie vereitelten durch künstliche Preiserhöhung das einzige Mittel, wo¬
durch die Krise möglicherweise noch überwunden werden könnte: die Steigerung
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