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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Leipziger Pasquillanten des achtzehnten Zcchrhunderts

eine Menge Exemplare von Hand zu Hand. Es erschienen auch zwei kleine
Gegenschriften: Kurze Bemerkungen über die Briefe, den Zustand von Leipzig
betreffend. 1787 (22 Seiten 8") und: An das Publikum. Eine Beylage 'zu
Detlev Prascheus vertrauten Briefen über Leipzig. Wien, Dresden usw.
1787 (70 Seiten 8°). Die erste sucht einen möglichst kühlen und verächt¬
lichen Ton anzuschlagen, gesteht aber doch zu, daß der Verfasser vielfach Recht
habe. "Freilich -- heißt es -- herrschen Luxus, Sinnlichkeit, Leichtsinn, Hang
zur Üppigkeit und zu Vergnügungen in einem sehr hohen Grad in Leipzig, ob
aber mehr als in andern blühenden Handelsstädten, ist sehr zweifelhaft, wahr
indessen, nur zu wahr, daß die Einwohner Leipzigs weichlich und größten¬
teils schlecht erzogen werden, daß dieses schon itzt den größten Einfluß auf
das moralische Verhalten der Einwohner hat, und daß leider mit der Zeit noch
traurigere Folgen davon zu erwarte" siud." Die zweite Gegenschrift ist ganz
lahm, sie sucht Schritt für Schritt die Urteile Poets abzuschwächen, in welcher
Weise aber, mag folgendes Beispiel zeigen. Pott hat über das schlechte
Essen im Studentenkonvikt geklagt. Was erwidert der Gegner? "Sollte es
anch bisweilen vorfallen, daß die Speisen gar schlecht wären, so wird der
Student in den besten Traiteurhäusern sich das öfters gefallen lassen müssen."

Eine eigentümliche Genugthuung bereitete sich der Leipziger Bürgermeister
Müller, der zwar von Pott besonders gepriesen worden war, sich aber doch
durch die Augriffe auf die ganze Stadt persönlich verletzt fühlte. "Daß ge¬
rade bei der Versammlung der Landstünde das unselige Geschmiere über Leipzig
erschienen ist, darüber habe ich mich nicht wenig geärgert. Es ist hier seit
acht Tagen in aller Händen," schreibt er Ende Januar vom Landtag in
Dresden an einen Leipziger Freund. Da that es ihm nun wohl, daß ganz
unerwartet ein Jugendfreund aus seiner Leipziger Studentenzeit ein Pflaster
auf sein verwundetes Herz legte. Der bekannte, zu dem Kreise der Bremer
Beitrüge gehörende Odendichter Johann Andreas Cramer, damals Kanzler der
Universität Kiel, schickte ihm eine schwungvolle, wenn auch etwas schwer ver¬
ständliche Ode "Über Leipzig" zu, worin die Stadt mit einem schönen, frnchte-
reichen und fchattenspendeudcn Baume verglichen wird, der trotz des feindlichen
Sturmes, der jetzt durch seine Äste gerauscht sei, noch feststehe wie zuvor, dann
die Bedeutung der Stadt für Wissenschaft, Kunst und Gewerbfleiß feiert und
schließlich den Bürgermeister, an den die Ode gerichtet war, wegen seiner Ver¬
dienste um die Stadt preist. Müller ließ von dieser Ode sofort einen Pracht¬
druck in Quart herstellen und an seine Leipziger Freunde verteilen, in der Hoff¬
nung, daß das "mit jenem Geschmiere gut contrastiren" werde.

Kaum hatte sich die Aufregung über die "Vertrauten Briefe" etwas gelegt,
so erschien abermals ein Pasquill, das nun wieder die "Vertrauten Briefe"
noch beträchtlich an Dreistigkeit überbot, vor allem insofern es sich ausschlie߬
lich gegen einen einzelnen stadtbekannten Mann richtete. Am 16. Angust 1737


Leipziger Pasquillanten des achtzehnten Zcchrhunderts

eine Menge Exemplare von Hand zu Hand. Es erschienen auch zwei kleine
Gegenschriften: Kurze Bemerkungen über die Briefe, den Zustand von Leipzig
betreffend. 1787 (22 Seiten 8«) und: An das Publikum. Eine Beylage 'zu
Detlev Prascheus vertrauten Briefen über Leipzig. Wien, Dresden usw.
1787 (70 Seiten 8°). Die erste sucht einen möglichst kühlen und verächt¬
lichen Ton anzuschlagen, gesteht aber doch zu, daß der Verfasser vielfach Recht
habe. „Freilich — heißt es — herrschen Luxus, Sinnlichkeit, Leichtsinn, Hang
zur Üppigkeit und zu Vergnügungen in einem sehr hohen Grad in Leipzig, ob
aber mehr als in andern blühenden Handelsstädten, ist sehr zweifelhaft, wahr
indessen, nur zu wahr, daß die Einwohner Leipzigs weichlich und größten¬
teils schlecht erzogen werden, daß dieses schon itzt den größten Einfluß auf
das moralische Verhalten der Einwohner hat, und daß leider mit der Zeit noch
traurigere Folgen davon zu erwarte» siud." Die zweite Gegenschrift ist ganz
lahm, sie sucht Schritt für Schritt die Urteile Poets abzuschwächen, in welcher
Weise aber, mag folgendes Beispiel zeigen. Pott hat über das schlechte
Essen im Studentenkonvikt geklagt. Was erwidert der Gegner? „Sollte es
anch bisweilen vorfallen, daß die Speisen gar schlecht wären, so wird der
Student in den besten Traiteurhäusern sich das öfters gefallen lassen müssen."

Eine eigentümliche Genugthuung bereitete sich der Leipziger Bürgermeister
Müller, der zwar von Pott besonders gepriesen worden war, sich aber doch
durch die Augriffe auf die ganze Stadt persönlich verletzt fühlte. „Daß ge¬
rade bei der Versammlung der Landstünde das unselige Geschmiere über Leipzig
erschienen ist, darüber habe ich mich nicht wenig geärgert. Es ist hier seit
acht Tagen in aller Händen," schreibt er Ende Januar vom Landtag in
Dresden an einen Leipziger Freund. Da that es ihm nun wohl, daß ganz
unerwartet ein Jugendfreund aus seiner Leipziger Studentenzeit ein Pflaster
auf sein verwundetes Herz legte. Der bekannte, zu dem Kreise der Bremer
Beitrüge gehörende Odendichter Johann Andreas Cramer, damals Kanzler der
Universität Kiel, schickte ihm eine schwungvolle, wenn auch etwas schwer ver¬
ständliche Ode „Über Leipzig" zu, worin die Stadt mit einem schönen, frnchte-
reichen und fchattenspendeudcn Baume verglichen wird, der trotz des feindlichen
Sturmes, der jetzt durch seine Äste gerauscht sei, noch feststehe wie zuvor, dann
die Bedeutung der Stadt für Wissenschaft, Kunst und Gewerbfleiß feiert und
schließlich den Bürgermeister, an den die Ode gerichtet war, wegen seiner Ver¬
dienste um die Stadt preist. Müller ließ von dieser Ode sofort einen Pracht¬
druck in Quart herstellen und an seine Leipziger Freunde verteilen, in der Hoff¬
nung, daß das „mit jenem Geschmiere gut contrastiren" werde.

Kaum hatte sich die Aufregung über die „Vertrauten Briefe" etwas gelegt,
so erschien abermals ein Pasquill, das nun wieder die „Vertrauten Briefe"
noch beträchtlich an Dreistigkeit überbot, vor allem insofern es sich ausschlie߬
lich gegen einen einzelnen stadtbekannten Mann richtete. Am 16. Angust 1737


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/565>, abgerufen am 22.07.2024.