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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Ein Wort zum deutsch-dänischen Streit

nicht mehr einführen läßt, d. h. daß die Einwilligung der Gesetzgebung dazu
nicht zu erlangen ist. Für die unter den Politikern dieser Richtung herrschenden
Anschauungen ist es bezeichnend, daß Herr Strackerjahn seiner Sehnsucht nach
einem russischen Regiment Ausdruck giebt. Er meint, ein Verbot der die Los¬
trennung predigenden und alles Deutsche verunglimpfenden Presse, eine Schließung
der Vereine, die gleiche Bestrebungen verfolgen, eine unnachsichtige Ahndung
aller sonstigen Ausschreitungen würden in kurzer Zeit nicht nur dem ganzen
Walpurgisspuk äußerlich den Garaus machen, sondern auch bald den innern
Frieden herbeiführen.

Gesetzt, daß die Gesetzgebung solche Ratschläge befolgte, daß sie in Nord¬
schleswig ein vollständiges Gewaltregiment einführte, ohne sich um die dadurch
im Auslande erregte Entrüstung zu kümmern, giebt es denn nicht andre Mittel,
den Ansteckungsstoff des Deutschenhasses fortzupflanzen, als Zeitungen und
Vereine? Wie tief will man in das Privatleben des Volkes eindringen, wie
viele Späher müßten angestellt werden, um den Verkehr zwischen Mann und
Mann zu überwachen, und wie wollte man es ermöglichen, über die Erziehung
im Hause eine Aufsicht in demselben Sinne zu führen? Vielleicht müßte das
russische System dann noch weiter, durch Massenaustreibuugen usw., vervoll¬
ständigt werden.

Weil wir diesen Weg nicht beschreiten können, ist es gewiß fruchtbarer,
zu untersuchen, ob wir nicht schon zu weit gegangen sind. Die Herzenswünsche
der nordschleswigschen Chauvinisten kennen zu lernen, ist deshalb so belehrend,
weil daraus hervorgeht, daß Mißerfolge gesetzgeberischer Maßregeln meistens
die Wirkung haben, die, die solche verfehlte Maßregeln anrieten, in ihrem
Irrtum zu bestärken, und daß sie dann in einem Weitergehen auf der ver¬
kehrten Bahn Abhilfe suchen. Wie die Agrarier nach immer stärkern Mitteln
verlangen und zu immer albernern Forderungen gelangen, je mehr sich heraus¬
stellt, daß die Staatshilfe nicht die gehofften Wirkungen hat, so geht es auch
den Freunden eines strammen Regiments in Nordschleswig. Die Klagen über
zu große Milde der Negierung sind ziemlich so alt wie die Zugehörigkeit
Nordschleswigs zu Deutschland. Aber sie fanden zu Anfang weniger Gehör.
Sowohl in der öffentlichen Meinung Deutschlands als in den Regierungs¬
kreisen herrschte damals die Ansicht vor, daß man suchen müsse, die Däne"
durch Milde zu gewinnen und zu versöhnen. Man hielt Gewaltmaßregeln ent¬
weder nicht für zweckmäßig oder des deutschen Reichs nicht für würdig. Man
ließ sich von einem Gefühl der Großmut gegen den überwnndnen kleinen Feind
leiten. Später wurde dann zu schürfern Maßregeln gegriffen, angeblich, weil
mit dem bisherigen Verfahren nichts erreicht worden war. Dabei wurde ver¬
gessen, daß Völkerverschiebungen immer nur langsam vor sich gehen, und daß
in dem Leben eines Volkes ein Jahrzehnt eine kurze Spanne Zeit ist. Ich
bin weit davon entfernt, rasche Wirkungen von einer "Aussöhnungspolitik" zu


Ein Wort zum deutsch-dänischen Streit

nicht mehr einführen läßt, d. h. daß die Einwilligung der Gesetzgebung dazu
nicht zu erlangen ist. Für die unter den Politikern dieser Richtung herrschenden
Anschauungen ist es bezeichnend, daß Herr Strackerjahn seiner Sehnsucht nach
einem russischen Regiment Ausdruck giebt. Er meint, ein Verbot der die Los¬
trennung predigenden und alles Deutsche verunglimpfenden Presse, eine Schließung
der Vereine, die gleiche Bestrebungen verfolgen, eine unnachsichtige Ahndung
aller sonstigen Ausschreitungen würden in kurzer Zeit nicht nur dem ganzen
Walpurgisspuk äußerlich den Garaus machen, sondern auch bald den innern
Frieden herbeiführen.

Gesetzt, daß die Gesetzgebung solche Ratschläge befolgte, daß sie in Nord¬
schleswig ein vollständiges Gewaltregiment einführte, ohne sich um die dadurch
im Auslande erregte Entrüstung zu kümmern, giebt es denn nicht andre Mittel,
den Ansteckungsstoff des Deutschenhasses fortzupflanzen, als Zeitungen und
Vereine? Wie tief will man in das Privatleben des Volkes eindringen, wie
viele Späher müßten angestellt werden, um den Verkehr zwischen Mann und
Mann zu überwachen, und wie wollte man es ermöglichen, über die Erziehung
im Hause eine Aufsicht in demselben Sinne zu führen? Vielleicht müßte das
russische System dann noch weiter, durch Massenaustreibuugen usw., vervoll¬
ständigt werden.

Weil wir diesen Weg nicht beschreiten können, ist es gewiß fruchtbarer,
zu untersuchen, ob wir nicht schon zu weit gegangen sind. Die Herzenswünsche
der nordschleswigschen Chauvinisten kennen zu lernen, ist deshalb so belehrend,
weil daraus hervorgeht, daß Mißerfolge gesetzgeberischer Maßregeln meistens
die Wirkung haben, die, die solche verfehlte Maßregeln anrieten, in ihrem
Irrtum zu bestärken, und daß sie dann in einem Weitergehen auf der ver¬
kehrten Bahn Abhilfe suchen. Wie die Agrarier nach immer stärkern Mitteln
verlangen und zu immer albernern Forderungen gelangen, je mehr sich heraus¬
stellt, daß die Staatshilfe nicht die gehofften Wirkungen hat, so geht es auch
den Freunden eines strammen Regiments in Nordschleswig. Die Klagen über
zu große Milde der Negierung sind ziemlich so alt wie die Zugehörigkeit
Nordschleswigs zu Deutschland. Aber sie fanden zu Anfang weniger Gehör.
Sowohl in der öffentlichen Meinung Deutschlands als in den Regierungs¬
kreisen herrschte damals die Ansicht vor, daß man suchen müsse, die Däne»
durch Milde zu gewinnen und zu versöhnen. Man hielt Gewaltmaßregeln ent¬
weder nicht für zweckmäßig oder des deutschen Reichs nicht für würdig. Man
ließ sich von einem Gefühl der Großmut gegen den überwnndnen kleinen Feind
leiten. Später wurde dann zu schürfern Maßregeln gegriffen, angeblich, weil
mit dem bisherigen Verfahren nichts erreicht worden war. Dabei wurde ver¬
gessen, daß Völkerverschiebungen immer nur langsam vor sich gehen, und daß
in dem Leben eines Volkes ein Jahrzehnt eine kurze Spanne Zeit ist. Ich
bin weit davon entfernt, rasche Wirkungen von einer „Aussöhnungspolitik" zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/552>, abgerufen am 16.01.2025.