Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches ein paar Jcihren die Holz- und Wnldrechtbewegung, so hat jetzt die Bewegung für Gute Familien. Verwundert genug mag er um sich blicken, der Präsident Er hatte es als erwünscht bezeichnet, daß sich der preußische Richterstnud über¬ Wäre diese Erfahrung nicht fast ebenso alt wie die Welt, man könnte nur Ist es möglich, diese wohlfeile Forderung eines vollkommnen und folglich un¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches ein paar Jcihren die Holz- und Wnldrechtbewegung, so hat jetzt die Bewegung für Gute Familien. Verwundert genug mag er um sich blicken, der Präsident Er hatte es als erwünscht bezeichnet, daß sich der preußische Richterstnud über¬ Wäre diese Erfahrung nicht fast ebenso alt wie die Welt, man könnte nur Ist es möglich, diese wohlfeile Forderung eines vollkommnen und folglich un¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0532" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222836"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1529" prev="#ID_1528"> ein paar Jcihren die Holz- und Wnldrechtbewegung, so hat jetzt die Bewegung für<lb/> die Ablösung der Bodenzinscn, bei der diese „Konservativen" ganz unbefangen die<lb/> französische Revolution preisen und über die schwachen Erfolge der Revolution von<lb/> 1348 klagen, die Vertreter der Negierung in Harnisch gebracht. Der Finanz¬<lb/> minister Riedel sah sich vorige Woche veranlaßt, den Agrariern Exzesse vorzuwerfen<lb/> und hervorzuheben, daß selbst in Baiern, wo die ländliche Bevölkerung noch über¬<lb/> wiegt, der Schwerpunkt des Wirtschaftslebens nicht mehr in ihr ruhe, sondern<lb/> im städtischen Gewerbe; die Allgemeinheit leiste schon jetzt sür die Landwirtschaft<lb/> mehr als die Landwirtschaft zu deu allgemeinen Lasten beitrage. So verursacht<lb/> also sowohl die Unaufrichtigkeit der feinen als die Offenherzigkeit der groben „Be¬<lb/> gehrlichen" gar manche Unbequemlichkeiten; mit Gefahren verbunden sind aber nur<lb/> die Unbequemlichkeiten der ersten Art.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Gute Familien.</head> <p xml:id="ID_1530"> Verwundert genug mag er um sich blicken, der Präsident<lb/> des preußischen Kammergerichts, wenn er sich den Staub aus den Augen reibt,<lb/> den seine Herrenhausrede in der Tagespresse aufgewirbelt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1531"> Er hatte es als erwünscht bezeichnet, daß sich der preußische Richterstnud über¬<lb/> wiegend ans guten Familien ergänzte. Es ist stark zu vermuten, daß die jetzigen<lb/> Inhaber der preußischen Richterstellen mit sehr wenigen Ausnahmen jeden Zweifel<lb/> an ihrer Herkunft aus guter Familie als schwere Kränkung ansehen würden. Herr<lb/> Drenkmann hat sich also im wesentlichen für die Befestigung des Zustandes aus¬<lb/> gesprochen, der thatsächlich seit Generationen in Preußen bestanden hat. Das „pein¬<lb/> liche Aufsehen," das eine so unverfängliche und anscheinend unanfechtbare Kund¬<lb/> gebung gleichwohl hervorrief, konnte dem unbefangnen Zuschauer wieder einmal vor<lb/> Angen führen, welcher überzeugten Verwunderung die Organe der öffentlichen<lb/> Meinung fähig sind, wenn ein mutiger Mann an weithin sichtbarer Stelle aus¬<lb/> zusprechen wagt, was zwar kein Mensch von gesundem Verstände bestreiten kann,<lb/> was aber nach herrschender Theorie und Praxis aus Schonung für „berechtigte<lb/> Empfindlichkeiten" nur gedacht und niemals gesagt werden darf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1532"> Wäre diese Erfahrung nicht fast ebenso alt wie die Welt, man könnte nur<lb/> mit Kopfschütteln wahrnehmen, wie sich selbst angesehene Blätter unter den Wespen-<lb/> schwarm verirren, den die unerhörte Kühnheit des Kaminergerichtspräsidenten auf¬<lb/> gestört hat. Ein nationalliberales Blatt, das in seinen Leitartikeln das überhand¬<lb/> nehmende Laster der Volksumschmeichlung wiederholt mit beredten Worten gegeißelt<lb/> hat, legt gegen Herrn Drenkmanns Standpunkt entschieden Verwahrung ein. Mit<lb/> Bedauern verzeichnet es den Eindruck, daß der Präsident des obersten preußischen<lb/> Gerichtshofs die Auswahl der Richter „von äußerlichen Dingen, wie der Zu¬<lb/> gehörigkeit zu guten Familie», abhängig machen" will. Es sei das ein gänzlich<lb/> ungreifbarer, beliebig auszulegender Begriff; Familien, die sich für gute, ja für die<lb/> besten hielten, würden oft von andern Leuten ganz anders tlassifizirt. Nach einem<lb/> Hinweis auf die verfassungsmäßige Gleichheit aller Preußen vor dem Gesetz und<lb/> auf deu ebenfalls nicht beschränkten Zutritt zu den öffentlichen Ämtern folgt die<lb/> bündige Erklärung, daß nur die Tüchtigkeit und die Leistungen bei der etwa er¬<lb/> forderlichen (!) Auswahl entscheiden dürften, nimmermehr die Zugehörigkeit zu irgend<lb/> einer Kategorie von Familien.</p><lb/> <p xml:id="ID_1533" next="#ID_1534"> Ist es möglich, diese wohlfeile Forderung eines vollkommnen und folglich un¬<lb/> erreichbaren Zustandes ernst zu nehmen? Wie in Preußen ist er bekanntlich auch<lb/> in andern Ländern schon seit Jahrzehnten gesetzlich sanktionirt. Dennoch weiß jedes<lb/> Kind oder wenigstens jeder Erwachsene, daß seine gesetzliche Zulassung noch nirgends</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0532]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
ein paar Jcihren die Holz- und Wnldrechtbewegung, so hat jetzt die Bewegung für
die Ablösung der Bodenzinscn, bei der diese „Konservativen" ganz unbefangen die
französische Revolution preisen und über die schwachen Erfolge der Revolution von
1348 klagen, die Vertreter der Negierung in Harnisch gebracht. Der Finanz¬
minister Riedel sah sich vorige Woche veranlaßt, den Agrariern Exzesse vorzuwerfen
und hervorzuheben, daß selbst in Baiern, wo die ländliche Bevölkerung noch über¬
wiegt, der Schwerpunkt des Wirtschaftslebens nicht mehr in ihr ruhe, sondern
im städtischen Gewerbe; die Allgemeinheit leiste schon jetzt sür die Landwirtschaft
mehr als die Landwirtschaft zu deu allgemeinen Lasten beitrage. So verursacht
also sowohl die Unaufrichtigkeit der feinen als die Offenherzigkeit der groben „Be¬
gehrlichen" gar manche Unbequemlichkeiten; mit Gefahren verbunden sind aber nur
die Unbequemlichkeiten der ersten Art.
Gute Familien. Verwundert genug mag er um sich blicken, der Präsident
des preußischen Kammergerichts, wenn er sich den Staub aus den Augen reibt,
den seine Herrenhausrede in der Tagespresse aufgewirbelt hat.
Er hatte es als erwünscht bezeichnet, daß sich der preußische Richterstnud über¬
wiegend ans guten Familien ergänzte. Es ist stark zu vermuten, daß die jetzigen
Inhaber der preußischen Richterstellen mit sehr wenigen Ausnahmen jeden Zweifel
an ihrer Herkunft aus guter Familie als schwere Kränkung ansehen würden. Herr
Drenkmann hat sich also im wesentlichen für die Befestigung des Zustandes aus¬
gesprochen, der thatsächlich seit Generationen in Preußen bestanden hat. Das „pein¬
liche Aufsehen," das eine so unverfängliche und anscheinend unanfechtbare Kund¬
gebung gleichwohl hervorrief, konnte dem unbefangnen Zuschauer wieder einmal vor
Angen führen, welcher überzeugten Verwunderung die Organe der öffentlichen
Meinung fähig sind, wenn ein mutiger Mann an weithin sichtbarer Stelle aus¬
zusprechen wagt, was zwar kein Mensch von gesundem Verstände bestreiten kann,
was aber nach herrschender Theorie und Praxis aus Schonung für „berechtigte
Empfindlichkeiten" nur gedacht und niemals gesagt werden darf.
Wäre diese Erfahrung nicht fast ebenso alt wie die Welt, man könnte nur
mit Kopfschütteln wahrnehmen, wie sich selbst angesehene Blätter unter den Wespen-
schwarm verirren, den die unerhörte Kühnheit des Kaminergerichtspräsidenten auf¬
gestört hat. Ein nationalliberales Blatt, das in seinen Leitartikeln das überhand¬
nehmende Laster der Volksumschmeichlung wiederholt mit beredten Worten gegeißelt
hat, legt gegen Herrn Drenkmanns Standpunkt entschieden Verwahrung ein. Mit
Bedauern verzeichnet es den Eindruck, daß der Präsident des obersten preußischen
Gerichtshofs die Auswahl der Richter „von äußerlichen Dingen, wie der Zu¬
gehörigkeit zu guten Familie», abhängig machen" will. Es sei das ein gänzlich
ungreifbarer, beliebig auszulegender Begriff; Familien, die sich für gute, ja für die
besten hielten, würden oft von andern Leuten ganz anders tlassifizirt. Nach einem
Hinweis auf die verfassungsmäßige Gleichheit aller Preußen vor dem Gesetz und
auf deu ebenfalls nicht beschränkten Zutritt zu den öffentlichen Ämtern folgt die
bündige Erklärung, daß nur die Tüchtigkeit und die Leistungen bei der etwa er¬
forderlichen (!) Auswahl entscheiden dürften, nimmermehr die Zugehörigkeit zu irgend
einer Kategorie von Familien.
Ist es möglich, diese wohlfeile Forderung eines vollkommnen und folglich un¬
erreichbaren Zustandes ernst zu nehmen? Wie in Preußen ist er bekanntlich auch
in andern Ländern schon seit Jahrzehnten gesetzlich sanktionirt. Dennoch weiß jedes
Kind oder wenigstens jeder Erwachsene, daß seine gesetzliche Zulassung noch nirgends
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