Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.von unten nach oben Stange hin- und hergeschoben -- ließ mir auch sagen, wieviel er dafür bekam Es muß und soll also im Menschen liegen, wenn ihm sein Leben etwas von unten nach oben Stange hin- und hergeschoben — ließ mir auch sagen, wieviel er dafür bekam Es muß und soll also im Menschen liegen, wenn ihm sein Leben etwas <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0508" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222812"/> <fw type="header" place="top"> von unten nach oben</fw><lb/> <p xml:id="ID_1454" prev="#ID_1453"> Stange hin- und hergeschoben — ließ mir auch sagen, wieviel er dafür bekam<lb/> (es war nicht zu wenig für die ja nicht eben mühsame Arbeit), aber es lag<lb/> mir vor allem daran, zu wissen, ob ihm die Einförmigkeit seines Berufs ebenso<lb/> zum Bewußtsein käme wie mir. Und als ich ihn fragte, ob denn das nicht<lb/> die Vorbereitung zu etwas besserm wäre, sagte er gerade so, wie jener Ar¬<lb/> beiter in Mülhausen: „Wie soll unsereiner weiter kommen!" Und noch ein<lb/> Bild. Draußen vor der Stadt ging ich eines Abends an einer Erdhöhle vor¬<lb/> über, aus deren Jnnern schwacher Rauch empordrang. Es war ein Kalk¬<lb/> ofen. Ein Mann saß in der Hohle und stierte in die glimmende Asche. Als<lb/> ich ihm länger zugesehen hatte, ohne daß er sich zu bewegen schien, kroch er<lb/> endlich an die Öffnung seiner Behausung. Seine Aufgabe bestand darin, allein,<lb/> ohne Gesellschaft, Acht zu geben, daß die Glut nicht ganz verlöschte, und nur<lb/> von Zeit zu Zeit durfte er mit einem schwachen Willensakt eingreifen. Wie<lb/> lange er das schon getrieben hatte, behauptete er, nicht mehr zu wissen, und<lb/> keine weitere Frage schien mehr in ihm ein Interesse an der Art seines eignen<lb/> Lebens erwecken zu können. Er besaß z. B. eine Taschenuhr, zog sie aber für<lb/> gewöhnlich nicht mehr auf. So etwas hatte ich noch nicht erlebt in einem<lb/> Zeitalter, wo die „Konfirmationsuhr" ein historischer Begriff geworden ist, weil<lb/> sie einige Jahre zu spät kommen würde. Ich ging weiter mit dem Eindrucke,<lb/> den ich bis heute behalten habe, daß ich mir etwas Hoffnungsloseres als Form<lb/> eines Lebensberufs überhaupt nicht mehr habe vorstellen können. Wo bleibt<lb/> nun aber ein Mensch, wenn es ihm schlecht geht, ohne alles Hoffen? ohne<lb/> irgend ein Streben, das doch sogar der Bessergestellte in der Form von Mühe<lb/> und Sorge zu seinem Wohlbefinden und zu seinem Glücke braucht!</p><lb/> <p xml:id="ID_1455" next="#ID_1456"> Es muß und soll also im Menschen liegen, wenn ihm sein Leben etwas<lb/> wert sein soll, daß er sich zu verbessern suche. Aber wie kann das geschehen?<lb/> Zunächst auf sehr verkehrte Weise, wenn das Streben der Menschen nur darauf<lb/> hinausgeht, sich durch feine Kleider und andre Äußerlichkeiten über ihren Stand<lb/> zu erheben, wie wir das am auffälligsten am weiblichen Geschlecht in den<lb/> niedern Ständen (und zwar nicht nur bei der sogenannten arbeitenden Klasse)<lb/> sehen können. Dort hat der Wunsch der Eltern, die Kinder über ihren Stand<lb/> zu erheben, meistens eine Folge gehabt, die man als Regel so ausdrücken kann:<lb/> je tüchtiger die Mütter sind, desto weniger langen die Töchter. Die Mutter<lb/> eines solchen kleinen Hauses trifft man im Arbeitskleid in der Küche bei ihrer<lb/> Beschäftigung. Die Tochter sitzt feiner angezogen im Zimmer und stickt oder<lb/> thut sonst etwas besseres, was das einfältige Elternpaar bewundert und als<lb/> eine Art Anwartschaft auf eine Lebensstellung höherer Ordnung für den Lieb¬<lb/> ling ansieht. Die Mütter haben gedient, die Töchter sind zu gut dazu. Sie<lb/> treten lieber in Ladengeschäfte ein, um da als Damen zu gelten und sich putzen<lb/> zu können und abends frei zu sein. Und wenn sie dann schließlich nach einigen<lb/> Enttäuschungen sehen, daß das auch noch mühevoll ist, so nennen sie es Aus-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0508]
von unten nach oben
Stange hin- und hergeschoben — ließ mir auch sagen, wieviel er dafür bekam
(es war nicht zu wenig für die ja nicht eben mühsame Arbeit), aber es lag
mir vor allem daran, zu wissen, ob ihm die Einförmigkeit seines Berufs ebenso
zum Bewußtsein käme wie mir. Und als ich ihn fragte, ob denn das nicht
die Vorbereitung zu etwas besserm wäre, sagte er gerade so, wie jener Ar¬
beiter in Mülhausen: „Wie soll unsereiner weiter kommen!" Und noch ein
Bild. Draußen vor der Stadt ging ich eines Abends an einer Erdhöhle vor¬
über, aus deren Jnnern schwacher Rauch empordrang. Es war ein Kalk¬
ofen. Ein Mann saß in der Hohle und stierte in die glimmende Asche. Als
ich ihm länger zugesehen hatte, ohne daß er sich zu bewegen schien, kroch er
endlich an die Öffnung seiner Behausung. Seine Aufgabe bestand darin, allein,
ohne Gesellschaft, Acht zu geben, daß die Glut nicht ganz verlöschte, und nur
von Zeit zu Zeit durfte er mit einem schwachen Willensakt eingreifen. Wie
lange er das schon getrieben hatte, behauptete er, nicht mehr zu wissen, und
keine weitere Frage schien mehr in ihm ein Interesse an der Art seines eignen
Lebens erwecken zu können. Er besaß z. B. eine Taschenuhr, zog sie aber für
gewöhnlich nicht mehr auf. So etwas hatte ich noch nicht erlebt in einem
Zeitalter, wo die „Konfirmationsuhr" ein historischer Begriff geworden ist, weil
sie einige Jahre zu spät kommen würde. Ich ging weiter mit dem Eindrucke,
den ich bis heute behalten habe, daß ich mir etwas Hoffnungsloseres als Form
eines Lebensberufs überhaupt nicht mehr habe vorstellen können. Wo bleibt
nun aber ein Mensch, wenn es ihm schlecht geht, ohne alles Hoffen? ohne
irgend ein Streben, das doch sogar der Bessergestellte in der Form von Mühe
und Sorge zu seinem Wohlbefinden und zu seinem Glücke braucht!
Es muß und soll also im Menschen liegen, wenn ihm sein Leben etwas
wert sein soll, daß er sich zu verbessern suche. Aber wie kann das geschehen?
Zunächst auf sehr verkehrte Weise, wenn das Streben der Menschen nur darauf
hinausgeht, sich durch feine Kleider und andre Äußerlichkeiten über ihren Stand
zu erheben, wie wir das am auffälligsten am weiblichen Geschlecht in den
niedern Ständen (und zwar nicht nur bei der sogenannten arbeitenden Klasse)
sehen können. Dort hat der Wunsch der Eltern, die Kinder über ihren Stand
zu erheben, meistens eine Folge gehabt, die man als Regel so ausdrücken kann:
je tüchtiger die Mütter sind, desto weniger langen die Töchter. Die Mutter
eines solchen kleinen Hauses trifft man im Arbeitskleid in der Küche bei ihrer
Beschäftigung. Die Tochter sitzt feiner angezogen im Zimmer und stickt oder
thut sonst etwas besseres, was das einfältige Elternpaar bewundert und als
eine Art Anwartschaft auf eine Lebensstellung höherer Ordnung für den Lieb¬
ling ansieht. Die Mütter haben gedient, die Töchter sind zu gut dazu. Sie
treten lieber in Ladengeschäfte ein, um da als Damen zu gelten und sich putzen
zu können und abends frei zu sein. Und wenn sie dann schließlich nach einigen
Enttäuschungen sehen, daß das auch noch mühevoll ist, so nennen sie es Aus-
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