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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Pflicht zur Arbeit

wenig verdient. Als ob sich der Unternehmergewinn nach diesem Grundsatz ab¬
messen und im voraus festsetzen ließe! Könnten wir das "Wetten und Wagen,"
die Unsicherheit des Unternehmens beseitigen, so würden wir auch eine Haupt¬
triebfeder des wirtschaftlichen Fortschritts und der Ansammlung von Wohlstand
hinwegnehmen. Man sehe zu, wo der Reiz des Unternehmens bleiben würde,
wenn man nach solchen Grundsätzen den Geschäftsgewinn zu beschneiden ver¬
stünde. Dadurch, daß viele versuchen, was nur wenigen gelingt, werden die
Kräfte angespannt, wird der Scharfsinn angestrengt, neue Mittel und Wege
des Erwerbs ausfindig zu machen. Daß aber der Unternehmer seine Haut
zu Markte trägt, beachtet der sozialpolitische Neid nicht; er sieht nur auf die
Emporgekommnen und nicht auf die Gefallnen.

Auch ein andrer Vorschlag zur Abhilfe scheint mir auf irrigen Voraus¬
setzungen zu beruhen. Man möchte die Arbeitsuchenden, denen ihre wirt¬
schaftliche Lage erlaubt, ihre Arbeitskraft um einen geringen Preis anzu¬
bieten, vom Arbeitsmarkt fernhalten. Frauen und Mädchen aus den bessern
Ständen, so heißt es, drücken den Preis der weiblichen Handarbeit herab,
meistens nicht durch die Not gezwungen, sondern um ihre Putzsucht zu be¬
friedigen. Hier wird also geradezu der Müßiggang solchen Frauen zur
Pflicht gemacht, die auf diese Art der allgemein menschlichen Bestimmung
zur Thätigkeit doch wenigstens in bescheidnen Maße gerecht werden. Und
wohin kämen wir denn, wenn wir diesen Grundsatz verallgemeinern und auf
alle Art von Thätigkeit ausdehnen wollten, wenn wir jedem Wohlhabenden,
jedem, den nicht die Not des Lebens unmittelbar zur Arbeit zwingt, die Aus¬
übung irgend einer Thätigkeit verbieten wollten, damit nur nicht der Preis
der Arbeit herabgedrückt werde für die, die für ihren Lebensunterhalt darauf
angewiesen sind? Wie viele wertvolle Thätigkeit auf dem Gebiete des geistigen
Schaffens würde unterbleiben müssen, wenn solche Forderungen aufgestellt und
beachtet würden!

Daß sie beachtet werden, ist wohl auch in dem vorliegenden Falle nicht
zu erwarte", und wenn sie es würden, wäre denn damit die Sache gebessert?
Wenn wir auf diese Art die Konkurrenz um die betreffende Arbeit einschränken
oder selbst wenn wir andrerseits die Arbeitsgelegenheit künstlich vermehren
könnten, was würde es helfen, solange die Schar der Arbeitsuchenden hei߬
hungrig über jeden Brocken Arbeit herfüllt, solange diese Schar wächst in dem
Maße, wie die Arbeitsgelegenheit zunimmt, solange mit einem Wort die Be¬
vorzugung dieser besondern Arbeit durch die Arbeitsuchenden selbst trotz ihrer
ungenügenden Bezahlung fortdauert?

Ebenso wenig dürfte die andre aus sozialpolitischen Erwägungen hervor¬
gehende Mahnung Gehör finden, daß beim Einkauf von Lebensbedürfnissen die
Einwirkungen dieses Einkaufs auf die Arbeitsverhälthisse bedacht werden sollten,
und ebenso wenig dürfte auch von ihrer Befolgung Besserung zu erwarten sein.


Die Pflicht zur Arbeit

wenig verdient. Als ob sich der Unternehmergewinn nach diesem Grundsatz ab¬
messen und im voraus festsetzen ließe! Könnten wir das „Wetten und Wagen,"
die Unsicherheit des Unternehmens beseitigen, so würden wir auch eine Haupt¬
triebfeder des wirtschaftlichen Fortschritts und der Ansammlung von Wohlstand
hinwegnehmen. Man sehe zu, wo der Reiz des Unternehmens bleiben würde,
wenn man nach solchen Grundsätzen den Geschäftsgewinn zu beschneiden ver¬
stünde. Dadurch, daß viele versuchen, was nur wenigen gelingt, werden die
Kräfte angespannt, wird der Scharfsinn angestrengt, neue Mittel und Wege
des Erwerbs ausfindig zu machen. Daß aber der Unternehmer seine Haut
zu Markte trägt, beachtet der sozialpolitische Neid nicht; er sieht nur auf die
Emporgekommnen und nicht auf die Gefallnen.

Auch ein andrer Vorschlag zur Abhilfe scheint mir auf irrigen Voraus¬
setzungen zu beruhen. Man möchte die Arbeitsuchenden, denen ihre wirt¬
schaftliche Lage erlaubt, ihre Arbeitskraft um einen geringen Preis anzu¬
bieten, vom Arbeitsmarkt fernhalten. Frauen und Mädchen aus den bessern
Ständen, so heißt es, drücken den Preis der weiblichen Handarbeit herab,
meistens nicht durch die Not gezwungen, sondern um ihre Putzsucht zu be¬
friedigen. Hier wird also geradezu der Müßiggang solchen Frauen zur
Pflicht gemacht, die auf diese Art der allgemein menschlichen Bestimmung
zur Thätigkeit doch wenigstens in bescheidnen Maße gerecht werden. Und
wohin kämen wir denn, wenn wir diesen Grundsatz verallgemeinern und auf
alle Art von Thätigkeit ausdehnen wollten, wenn wir jedem Wohlhabenden,
jedem, den nicht die Not des Lebens unmittelbar zur Arbeit zwingt, die Aus¬
übung irgend einer Thätigkeit verbieten wollten, damit nur nicht der Preis
der Arbeit herabgedrückt werde für die, die für ihren Lebensunterhalt darauf
angewiesen sind? Wie viele wertvolle Thätigkeit auf dem Gebiete des geistigen
Schaffens würde unterbleiben müssen, wenn solche Forderungen aufgestellt und
beachtet würden!

Daß sie beachtet werden, ist wohl auch in dem vorliegenden Falle nicht
zu erwarte», und wenn sie es würden, wäre denn damit die Sache gebessert?
Wenn wir auf diese Art die Konkurrenz um die betreffende Arbeit einschränken
oder selbst wenn wir andrerseits die Arbeitsgelegenheit künstlich vermehren
könnten, was würde es helfen, solange die Schar der Arbeitsuchenden hei߬
hungrig über jeden Brocken Arbeit herfüllt, solange diese Schar wächst in dem
Maße, wie die Arbeitsgelegenheit zunimmt, solange mit einem Wort die Be¬
vorzugung dieser besondern Arbeit durch die Arbeitsuchenden selbst trotz ihrer
ungenügenden Bezahlung fortdauert?

Ebenso wenig dürfte die andre aus sozialpolitischen Erwägungen hervor¬
gehende Mahnung Gehör finden, daß beim Einkauf von Lebensbedürfnissen die
Einwirkungen dieses Einkaufs auf die Arbeitsverhälthisse bedacht werden sollten,
und ebenso wenig dürfte auch von ihrer Befolgung Besserung zu erwarten sein.


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[0453] Die Pflicht zur Arbeit wenig verdient. Als ob sich der Unternehmergewinn nach diesem Grundsatz ab¬ messen und im voraus festsetzen ließe! Könnten wir das „Wetten und Wagen," die Unsicherheit des Unternehmens beseitigen, so würden wir auch eine Haupt¬ triebfeder des wirtschaftlichen Fortschritts und der Ansammlung von Wohlstand hinwegnehmen. Man sehe zu, wo der Reiz des Unternehmens bleiben würde, wenn man nach solchen Grundsätzen den Geschäftsgewinn zu beschneiden ver¬ stünde. Dadurch, daß viele versuchen, was nur wenigen gelingt, werden die Kräfte angespannt, wird der Scharfsinn angestrengt, neue Mittel und Wege des Erwerbs ausfindig zu machen. Daß aber der Unternehmer seine Haut zu Markte trägt, beachtet der sozialpolitische Neid nicht; er sieht nur auf die Emporgekommnen und nicht auf die Gefallnen. Auch ein andrer Vorschlag zur Abhilfe scheint mir auf irrigen Voraus¬ setzungen zu beruhen. Man möchte die Arbeitsuchenden, denen ihre wirt¬ schaftliche Lage erlaubt, ihre Arbeitskraft um einen geringen Preis anzu¬ bieten, vom Arbeitsmarkt fernhalten. Frauen und Mädchen aus den bessern Ständen, so heißt es, drücken den Preis der weiblichen Handarbeit herab, meistens nicht durch die Not gezwungen, sondern um ihre Putzsucht zu be¬ friedigen. Hier wird also geradezu der Müßiggang solchen Frauen zur Pflicht gemacht, die auf diese Art der allgemein menschlichen Bestimmung zur Thätigkeit doch wenigstens in bescheidnen Maße gerecht werden. Und wohin kämen wir denn, wenn wir diesen Grundsatz verallgemeinern und auf alle Art von Thätigkeit ausdehnen wollten, wenn wir jedem Wohlhabenden, jedem, den nicht die Not des Lebens unmittelbar zur Arbeit zwingt, die Aus¬ übung irgend einer Thätigkeit verbieten wollten, damit nur nicht der Preis der Arbeit herabgedrückt werde für die, die für ihren Lebensunterhalt darauf angewiesen sind? Wie viele wertvolle Thätigkeit auf dem Gebiete des geistigen Schaffens würde unterbleiben müssen, wenn solche Forderungen aufgestellt und beachtet würden! Daß sie beachtet werden, ist wohl auch in dem vorliegenden Falle nicht zu erwarte», und wenn sie es würden, wäre denn damit die Sache gebessert? Wenn wir auf diese Art die Konkurrenz um die betreffende Arbeit einschränken oder selbst wenn wir andrerseits die Arbeitsgelegenheit künstlich vermehren könnten, was würde es helfen, solange die Schar der Arbeitsuchenden hei߬ hungrig über jeden Brocken Arbeit herfüllt, solange diese Schar wächst in dem Maße, wie die Arbeitsgelegenheit zunimmt, solange mit einem Wort die Be¬ vorzugung dieser besondern Arbeit durch die Arbeitsuchenden selbst trotz ihrer ungenügenden Bezahlung fortdauert? Ebenso wenig dürfte die andre aus sozialpolitischen Erwägungen hervor¬ gehende Mahnung Gehör finden, daß beim Einkauf von Lebensbedürfnissen die Einwirkungen dieses Einkaufs auf die Arbeitsverhälthisse bedacht werden sollten, und ebenso wenig dürfte auch von ihrer Befolgung Besserung zu erwarten sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/453>, abgerufen am 22.07.2024.