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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Reform des Strafprozesses

bestimmungen der Vorlage heben wir als äußerst bedenklich nur die Beschränkung
der deutschen Nado^ vorxus-Akte hervor. Die vorläufige Untersuchungshaft,
die jetzt nur auf eine Woche, dann auf eine zweite Woche und zuletzt noch
einmal auf zwei Wochen angeordnet werden darf, soll sogleich auf zwei Wochen
verhängt und einmal noch um zwei Wochen verlängert werden dürfen. Die
Praxis ist mit den bisherigen Haftfristen, obwohl die Negierungsbegründung
"ihre Unzweckmäßigkeit und Schädlichkeit als unbestritten" bezeichnet, nun schon
sechzehn Jahre ausgekommen. Sie enthalten einen sehr wohlthätigen Zwang
sür die Staatsanwaltschaft, das Verfahren zu beschleunigen, ein Ziel, dem ja
auch der Regierungsentwurf mit allen Kräften zustrebt, und wir Hütten ge¬
wünscht, daß sich die Kommission auf keine Änderungen der zum Schutze der
persönlichen Freiheit der Deutschen aufgerichteten Schranken eingelassen hätte.

Wenn die verbündeten Regierungen für Gewährung der Berufung eine
ganze Reihe von "Kompensationen" verlangen, so könnte, scheint es uns, auch
der Reichstag wohl die Frage aufwerfen, ob er nicht auch außer der Berufung
noch diese oder jene andern dringlichen Forderungen zu erheben hätte. Die Ne-
gierungsbegründung erschöpft sich in Klagen über die Schwerfälligkeit und Lang¬
samkeit des jetzt geltenden Strafprozeßverfahrens. Es gleiche, so heißt es an
einer Stelle wörtlich, "zuweilen mehr einem langsamen und mühevollen Ringen
der gesetzlichen Ordnung mit ihrem Verletzer, als einer raschen und energischen
Unterwerfung desselben unter das Recht, wie sie das öffentliche Wohl fordert."
Mit gleichem, wenn nicht mit bessern: Rechte könnte wohl auch der Reichstag
klagen, daß die Rechtsprechung in manchen Dingen, so z.B. in einer früher
ganz unerhörten Überspannung des Beleidigungs- und namentlich des Majestäts-
beleidignngsbegriffs, in der Ausdehnung des groben Unfugsparagraphen fast
auf alle Gebiete des öffentlichen Lebens, in der Verwertung der politischen
Tendenz angeklagter Zeitschriften, ja des politischen Bekenntnisses der Ange¬
klagten und Zeugen höchst bedenkliche Bahnen eingeschlagen habe. Die Kom¬
mission hat denn auch eine Bestimmung eingefügt, die den ambulanten Gerichts¬
stand der periodischen Presse, der bisher fast bei sämtlichen 172 deutschen
Landgerichten begründet war, bedeutend einschränkt. Sie hatte ferner beschlossen,
Redakteure, Verleger, Drucker und das bei der Herstellung der Druckschriften
verwendete Hilfspersonal vom Zcugniszwang zur Ermittlung des Verfassers
oder Einsenders einer strafbaren Veröffentlichung in der periodischen Presse zu
befreien. Sie hat diese Bestimmung leider wieder preisgegeben, obwohl doch
schon der auf allen diesen Personen lastende Verdacht der Mitthäter- oder
Gehilfenschaft und die nach dem Preßgesetz ihnen drohende eigne Verantwortung
mindestens den Redakteur, den Verleger und den Drucker vor der zengenmäßigen
Befragung schützen sollte. Auch hätte die Zeuguispflicht in den Disziplinar-
strassachen gegen "Unbekannt" endlich geregelt werden sollen, da es eine offen¬
bare Unbilligkeit ist, in einem Verfahren, das dem schuldigen Beamten eine


Die Reform des Strafprozesses

bestimmungen der Vorlage heben wir als äußerst bedenklich nur die Beschränkung
der deutschen Nado^ vorxus-Akte hervor. Die vorläufige Untersuchungshaft,
die jetzt nur auf eine Woche, dann auf eine zweite Woche und zuletzt noch
einmal auf zwei Wochen angeordnet werden darf, soll sogleich auf zwei Wochen
verhängt und einmal noch um zwei Wochen verlängert werden dürfen. Die
Praxis ist mit den bisherigen Haftfristen, obwohl die Negierungsbegründung
„ihre Unzweckmäßigkeit und Schädlichkeit als unbestritten" bezeichnet, nun schon
sechzehn Jahre ausgekommen. Sie enthalten einen sehr wohlthätigen Zwang
sür die Staatsanwaltschaft, das Verfahren zu beschleunigen, ein Ziel, dem ja
auch der Regierungsentwurf mit allen Kräften zustrebt, und wir Hütten ge¬
wünscht, daß sich die Kommission auf keine Änderungen der zum Schutze der
persönlichen Freiheit der Deutschen aufgerichteten Schranken eingelassen hätte.

Wenn die verbündeten Regierungen für Gewährung der Berufung eine
ganze Reihe von „Kompensationen" verlangen, so könnte, scheint es uns, auch
der Reichstag wohl die Frage aufwerfen, ob er nicht auch außer der Berufung
noch diese oder jene andern dringlichen Forderungen zu erheben hätte. Die Ne-
gierungsbegründung erschöpft sich in Klagen über die Schwerfälligkeit und Lang¬
samkeit des jetzt geltenden Strafprozeßverfahrens. Es gleiche, so heißt es an
einer Stelle wörtlich, „zuweilen mehr einem langsamen und mühevollen Ringen
der gesetzlichen Ordnung mit ihrem Verletzer, als einer raschen und energischen
Unterwerfung desselben unter das Recht, wie sie das öffentliche Wohl fordert."
Mit gleichem, wenn nicht mit bessern: Rechte könnte wohl auch der Reichstag
klagen, daß die Rechtsprechung in manchen Dingen, so z.B. in einer früher
ganz unerhörten Überspannung des Beleidigungs- und namentlich des Majestäts-
beleidignngsbegriffs, in der Ausdehnung des groben Unfugsparagraphen fast
auf alle Gebiete des öffentlichen Lebens, in der Verwertung der politischen
Tendenz angeklagter Zeitschriften, ja des politischen Bekenntnisses der Ange¬
klagten und Zeugen höchst bedenkliche Bahnen eingeschlagen habe. Die Kom¬
mission hat denn auch eine Bestimmung eingefügt, die den ambulanten Gerichts¬
stand der periodischen Presse, der bisher fast bei sämtlichen 172 deutschen
Landgerichten begründet war, bedeutend einschränkt. Sie hatte ferner beschlossen,
Redakteure, Verleger, Drucker und das bei der Herstellung der Druckschriften
verwendete Hilfspersonal vom Zcugniszwang zur Ermittlung des Verfassers
oder Einsenders einer strafbaren Veröffentlichung in der periodischen Presse zu
befreien. Sie hat diese Bestimmung leider wieder preisgegeben, obwohl doch
schon der auf allen diesen Personen lastende Verdacht der Mitthäter- oder
Gehilfenschaft und die nach dem Preßgesetz ihnen drohende eigne Verantwortung
mindestens den Redakteur, den Verleger und den Drucker vor der zengenmäßigen
Befragung schützen sollte. Auch hätte die Zeuguispflicht in den Disziplinar-
strassachen gegen „Unbekannt" endlich geregelt werden sollen, da es eine offen¬
bare Unbilligkeit ist, in einem Verfahren, das dem schuldigen Beamten eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/447>, abgerufen am 22.07.2024.