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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Ausdehnung des Hochschulunterrichts

heit der Erde, der bakteriologische durch einen von Professor Weichselbaum usw.
Den Programmen sind übrigens in einigen Fällen auch Verzeichnisse der besten
Bücher über den Gegenstand beigegeben.

Ein Freund, der diese Kurse mit ins Leben gerufen hat, schreibt mir über
den Erfolg: Eine Enttäuschung bereiteten die Kurse denen, die auf den Besuch
der großen Masse rechneten. Die organisirte Arbeiterschaft hält sich, wie auch
vom Volksbildungsverein, fern. Die Besucher sind kleine Bürger, vielfach
auch Lehrer, sowie Leute aus dem Mittelstande, denen andre Vortrüge zu
teuer siud. Allseitig wird die Aufmerksamkeit und der Anstand der Hörerschaft
gerühmt. Von andrer Seite wurde mir mitgeteilt, daß trotz der ablehnende"
Haltung einer nicht kleinen Zahl von Professoren (die wird nirgends fehlen!)
doch die Teilnahme von einer Reihe der bedeutendsten gesichert sei und das
Unternehmen als "glücklich flottgemacht" gelten dürfe.

Es ist das ein schöner Anfang. Anzeichen, daß sich ein engerer Anschluß
einzelner Kurse an vorhandne Bedürfnisse ankündigt, möchten wohl dahin zu
deuten sein, daß mit der Zeit das Passendste aus der reichen Menge aus-
gelesen werden wird. Wohlthuend ist jedenfalls der Gedanke, daß hier der
Allgemeinheit eine Fülle von Kenntnissen und Gedanken dargeboten wird, an
denen sie bisher nicht unmittelbar Anteil haben konnte. Ohne Zweifel hat
das geistige Leben Wiens damit eine Bereicherung und Veredlung erfahren,
die mancher andern deutscheu Stadt noch viel nötiger wäre.

Eine ganz örtliche Frage ist es, ob und wie ein Anschluß an bestehende
Volksbildungsvereine möglich sei. Wir halten ihn nicht für wünschenswert,
besonders auch nicht nach den Wiener Erfahrungen- Diese Vereine haben in
der Regel leider schon eine politische Parteifarbe. Wir möchten aber, daß,
wenn volkstümliche Hochschulkurse in Deutschland eingerichtet werden, sie sich
unter der Bürgschaft unsrer bewährten Hochschulen, ganz frei von politischen,
religiösen und aufklärerischen Einflüssen gestalteten. Was ja gar nicht aus¬
schlösse, daß in einem etwaigen vorbereitenden Ausschuß ebenso gut konservative
Freunde der Sache wie Sozialdemokraten thätig wären. Das wäre im Gegen¬
teil das Wünschenswerte.




Ausdehnung des Hochschulunterrichts

heit der Erde, der bakteriologische durch einen von Professor Weichselbaum usw.
Den Programmen sind übrigens in einigen Fällen auch Verzeichnisse der besten
Bücher über den Gegenstand beigegeben.

Ein Freund, der diese Kurse mit ins Leben gerufen hat, schreibt mir über
den Erfolg: Eine Enttäuschung bereiteten die Kurse denen, die auf den Besuch
der großen Masse rechneten. Die organisirte Arbeiterschaft hält sich, wie auch
vom Volksbildungsverein, fern. Die Besucher sind kleine Bürger, vielfach
auch Lehrer, sowie Leute aus dem Mittelstande, denen andre Vortrüge zu
teuer siud. Allseitig wird die Aufmerksamkeit und der Anstand der Hörerschaft
gerühmt. Von andrer Seite wurde mir mitgeteilt, daß trotz der ablehnende»
Haltung einer nicht kleinen Zahl von Professoren (die wird nirgends fehlen!)
doch die Teilnahme von einer Reihe der bedeutendsten gesichert sei und das
Unternehmen als „glücklich flottgemacht" gelten dürfe.

Es ist das ein schöner Anfang. Anzeichen, daß sich ein engerer Anschluß
einzelner Kurse an vorhandne Bedürfnisse ankündigt, möchten wohl dahin zu
deuten sein, daß mit der Zeit das Passendste aus der reichen Menge aus-
gelesen werden wird. Wohlthuend ist jedenfalls der Gedanke, daß hier der
Allgemeinheit eine Fülle von Kenntnissen und Gedanken dargeboten wird, an
denen sie bisher nicht unmittelbar Anteil haben konnte. Ohne Zweifel hat
das geistige Leben Wiens damit eine Bereicherung und Veredlung erfahren,
die mancher andern deutscheu Stadt noch viel nötiger wäre.

Eine ganz örtliche Frage ist es, ob und wie ein Anschluß an bestehende
Volksbildungsvereine möglich sei. Wir halten ihn nicht für wünschenswert,
besonders auch nicht nach den Wiener Erfahrungen- Diese Vereine haben in
der Regel leider schon eine politische Parteifarbe. Wir möchten aber, daß,
wenn volkstümliche Hochschulkurse in Deutschland eingerichtet werden, sie sich
unter der Bürgschaft unsrer bewährten Hochschulen, ganz frei von politischen,
religiösen und aufklärerischen Einflüssen gestalteten. Was ja gar nicht aus¬
schlösse, daß in einem etwaigen vorbereitenden Ausschuß ebenso gut konservative
Freunde der Sache wie Sozialdemokraten thätig wären. Das wäre im Gegen¬
teil das Wünschenswerte.




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[0431] Ausdehnung des Hochschulunterrichts heit der Erde, der bakteriologische durch einen von Professor Weichselbaum usw. Den Programmen sind übrigens in einigen Fällen auch Verzeichnisse der besten Bücher über den Gegenstand beigegeben. Ein Freund, der diese Kurse mit ins Leben gerufen hat, schreibt mir über den Erfolg: Eine Enttäuschung bereiteten die Kurse denen, die auf den Besuch der großen Masse rechneten. Die organisirte Arbeiterschaft hält sich, wie auch vom Volksbildungsverein, fern. Die Besucher sind kleine Bürger, vielfach auch Lehrer, sowie Leute aus dem Mittelstande, denen andre Vortrüge zu teuer siud. Allseitig wird die Aufmerksamkeit und der Anstand der Hörerschaft gerühmt. Von andrer Seite wurde mir mitgeteilt, daß trotz der ablehnende» Haltung einer nicht kleinen Zahl von Professoren (die wird nirgends fehlen!) doch die Teilnahme von einer Reihe der bedeutendsten gesichert sei und das Unternehmen als „glücklich flottgemacht" gelten dürfe. Es ist das ein schöner Anfang. Anzeichen, daß sich ein engerer Anschluß einzelner Kurse an vorhandne Bedürfnisse ankündigt, möchten wohl dahin zu deuten sein, daß mit der Zeit das Passendste aus der reichen Menge aus- gelesen werden wird. Wohlthuend ist jedenfalls der Gedanke, daß hier der Allgemeinheit eine Fülle von Kenntnissen und Gedanken dargeboten wird, an denen sie bisher nicht unmittelbar Anteil haben konnte. Ohne Zweifel hat das geistige Leben Wiens damit eine Bereicherung und Veredlung erfahren, die mancher andern deutscheu Stadt noch viel nötiger wäre. Eine ganz örtliche Frage ist es, ob und wie ein Anschluß an bestehende Volksbildungsvereine möglich sei. Wir halten ihn nicht für wünschenswert, besonders auch nicht nach den Wiener Erfahrungen- Diese Vereine haben in der Regel leider schon eine politische Parteifarbe. Wir möchten aber, daß, wenn volkstümliche Hochschulkurse in Deutschland eingerichtet werden, sie sich unter der Bürgschaft unsrer bewährten Hochschulen, ganz frei von politischen, religiösen und aufklärerischen Einflüssen gestalteten. Was ja gar nicht aus¬ schlösse, daß in einem etwaigen vorbereitenden Ausschuß ebenso gut konservative Freunde der Sache wie Sozialdemokraten thätig wären. Das wäre im Gegen¬ teil das Wünschenswerte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/431>, abgerufen am 15.01.2025.