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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Ausdehnung des Hochschulunterrichts

abgehalten und in das amtliche Vorlesungsverzeichnis nicht aufgenommen werden,
die Forderung der wissenschaftlichen Ausbildung jener Volkskreise, welchen bisher
die akademische Bildung unzugänglich war, zunächst in Wien und Umgebung,
eventuell aber auch in Niederösterreich und, vorbehaltlich der Genehmigung des
k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht, in den übrigen im Neichsrat
vertretenen Ländern nach Maßgabe der vorhandnen Mittel zu fördern.

Wir könnten uns aber doch denken, daß die Sache in einer deutschen Uni¬
versitätsstadt etwas anders angefangen würde. Nach dem jahrelang erprobten
Vorgang des Münchner Volksbildungsvereins ließen sich neben einer Reihe von
Einzelvorträgen Kurse einrichten, für die ein Bedürfnis nachgewiesen ist; und mit
deren Verbreitung in die mittlern und kleinern Städte der Umgebung sollte
durchaus nicht gezögert werden. Für die Einzelvorträge sollten höhere Eintritts¬
gelder gefordert werden, für die Kurse niedrige oder gar keine. Doch wären Reihen
von unbezahlten Einzelvorträgen nicht auszuschließen, wie sie der Münchner
Verein an je zwei Wochenabenden des Winters in dem städtischen Schrcmnen-
pavillon veranstaltet, der natürlich unentgeltlich dazu hergegeben wird. Der
ästhetische und belehrende Wert der Einzelvorträge muß hochgehalten werden.
Deshalb dürfen sie nicht zum Geschäft herabsinken. Die Erfahrung lehrt, daß
auch die besten Redner für einen guten Zweck ohne Entgelt zu haben sind. Von
ihnen mag in bunter Reihe das Verschiedenste geboten werden. Anders in den
Kursen und zum Teil auch den allgemein zugänglichen Vorträgen, wo das
Belehrende mehr in den Vordergrund tritt. Diese müssen sich an die vor¬
handnen Bedürfnisse anschließe!, und dürfen durchaus uicht als Luxusartikel
geboten werden. Der Wiener Veranstaltung kann der Vorwurf nicht erspart
werden, daß sie den Eindruck eines bunt, ja üppig aufgebauten Stilllebens
macht. In dem für zehn Kreuzer käuflichen Programm, das kürzere und längere
Übersichten des Stoffes von je sechs Vorträgen enthält, liest man diese zu¬
sammengedrängten Darstellungen rin Genuß und kann sich ganz gut hinein¬
denken, wie nützlich sie erst für den Hörer der Vortrüge sein mußten. Aber
die Themata sind viel zu mannichfaltig. Da wird geboten: Das homerische
Zeitalter der Griechen, Geschichte des griechischen Dramas, Römische Geschichte,
Leben und älteste Geschichte der Germanen, Geschichte Österreichs bis zu Rudolf
von Habsburg, Geschichte Frankreichs im achtzehnten Jahrhundert, Erklärung
von Goethes Faust, Lektüre shakespearischer Stücke mit Einleitung über Shake¬
speares Leben, Geschichte der italienischen Malerei, Anatomie, Bakteriologie,
die Pilze, Luft und Wasser, Grundzüge der Geographie, Allgemeine Geologie,
Grundbegriffe der darstellenden Geometrie, erste Hilfe (bei Unfällen), Hygiene,
Einleitung zum Maschinenbau, Physik, Physiologie, Nerven- und Geisteskrank¬
heiten, Österreichisches Verfassungsrecht, Grundzüge des österreichischen Rechts,
Vevölkerungslehre. Einige Kurse wurden durch besondre Vorträge eingeleitet,
so der geographische durch einen Vortrag von Professor Penck Über die Schön-


Ausdehnung des Hochschulunterrichts

abgehalten und in das amtliche Vorlesungsverzeichnis nicht aufgenommen werden,
die Forderung der wissenschaftlichen Ausbildung jener Volkskreise, welchen bisher
die akademische Bildung unzugänglich war, zunächst in Wien und Umgebung,
eventuell aber auch in Niederösterreich und, vorbehaltlich der Genehmigung des
k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht, in den übrigen im Neichsrat
vertretenen Ländern nach Maßgabe der vorhandnen Mittel zu fördern.

Wir könnten uns aber doch denken, daß die Sache in einer deutschen Uni¬
versitätsstadt etwas anders angefangen würde. Nach dem jahrelang erprobten
Vorgang des Münchner Volksbildungsvereins ließen sich neben einer Reihe von
Einzelvorträgen Kurse einrichten, für die ein Bedürfnis nachgewiesen ist; und mit
deren Verbreitung in die mittlern und kleinern Städte der Umgebung sollte
durchaus nicht gezögert werden. Für die Einzelvorträge sollten höhere Eintritts¬
gelder gefordert werden, für die Kurse niedrige oder gar keine. Doch wären Reihen
von unbezahlten Einzelvorträgen nicht auszuschließen, wie sie der Münchner
Verein an je zwei Wochenabenden des Winters in dem städtischen Schrcmnen-
pavillon veranstaltet, der natürlich unentgeltlich dazu hergegeben wird. Der
ästhetische und belehrende Wert der Einzelvorträge muß hochgehalten werden.
Deshalb dürfen sie nicht zum Geschäft herabsinken. Die Erfahrung lehrt, daß
auch die besten Redner für einen guten Zweck ohne Entgelt zu haben sind. Von
ihnen mag in bunter Reihe das Verschiedenste geboten werden. Anders in den
Kursen und zum Teil auch den allgemein zugänglichen Vorträgen, wo das
Belehrende mehr in den Vordergrund tritt. Diese müssen sich an die vor¬
handnen Bedürfnisse anschließe!, und dürfen durchaus uicht als Luxusartikel
geboten werden. Der Wiener Veranstaltung kann der Vorwurf nicht erspart
werden, daß sie den Eindruck eines bunt, ja üppig aufgebauten Stilllebens
macht. In dem für zehn Kreuzer käuflichen Programm, das kürzere und längere
Übersichten des Stoffes von je sechs Vorträgen enthält, liest man diese zu¬
sammengedrängten Darstellungen rin Genuß und kann sich ganz gut hinein¬
denken, wie nützlich sie erst für den Hörer der Vortrüge sein mußten. Aber
die Themata sind viel zu mannichfaltig. Da wird geboten: Das homerische
Zeitalter der Griechen, Geschichte des griechischen Dramas, Römische Geschichte,
Leben und älteste Geschichte der Germanen, Geschichte Österreichs bis zu Rudolf
von Habsburg, Geschichte Frankreichs im achtzehnten Jahrhundert, Erklärung
von Goethes Faust, Lektüre shakespearischer Stücke mit Einleitung über Shake¬
speares Leben, Geschichte der italienischen Malerei, Anatomie, Bakteriologie,
die Pilze, Luft und Wasser, Grundzüge der Geographie, Allgemeine Geologie,
Grundbegriffe der darstellenden Geometrie, erste Hilfe (bei Unfällen), Hygiene,
Einleitung zum Maschinenbau, Physik, Physiologie, Nerven- und Geisteskrank¬
heiten, Österreichisches Verfassungsrecht, Grundzüge des österreichischen Rechts,
Vevölkerungslehre. Einige Kurse wurden durch besondre Vorträge eingeleitet,
so der geographische durch einen Vortrag von Professor Penck Über die Schön-


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[0430] Ausdehnung des Hochschulunterrichts abgehalten und in das amtliche Vorlesungsverzeichnis nicht aufgenommen werden, die Forderung der wissenschaftlichen Ausbildung jener Volkskreise, welchen bisher die akademische Bildung unzugänglich war, zunächst in Wien und Umgebung, eventuell aber auch in Niederösterreich und, vorbehaltlich der Genehmigung des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht, in den übrigen im Neichsrat vertretenen Ländern nach Maßgabe der vorhandnen Mittel zu fördern. Wir könnten uns aber doch denken, daß die Sache in einer deutschen Uni¬ versitätsstadt etwas anders angefangen würde. Nach dem jahrelang erprobten Vorgang des Münchner Volksbildungsvereins ließen sich neben einer Reihe von Einzelvorträgen Kurse einrichten, für die ein Bedürfnis nachgewiesen ist; und mit deren Verbreitung in die mittlern und kleinern Städte der Umgebung sollte durchaus nicht gezögert werden. Für die Einzelvorträge sollten höhere Eintritts¬ gelder gefordert werden, für die Kurse niedrige oder gar keine. Doch wären Reihen von unbezahlten Einzelvorträgen nicht auszuschließen, wie sie der Münchner Verein an je zwei Wochenabenden des Winters in dem städtischen Schrcmnen- pavillon veranstaltet, der natürlich unentgeltlich dazu hergegeben wird. Der ästhetische und belehrende Wert der Einzelvorträge muß hochgehalten werden. Deshalb dürfen sie nicht zum Geschäft herabsinken. Die Erfahrung lehrt, daß auch die besten Redner für einen guten Zweck ohne Entgelt zu haben sind. Von ihnen mag in bunter Reihe das Verschiedenste geboten werden. Anders in den Kursen und zum Teil auch den allgemein zugänglichen Vorträgen, wo das Belehrende mehr in den Vordergrund tritt. Diese müssen sich an die vor¬ handnen Bedürfnisse anschließe!, und dürfen durchaus uicht als Luxusartikel geboten werden. Der Wiener Veranstaltung kann der Vorwurf nicht erspart werden, daß sie den Eindruck eines bunt, ja üppig aufgebauten Stilllebens macht. In dem für zehn Kreuzer käuflichen Programm, das kürzere und längere Übersichten des Stoffes von je sechs Vorträgen enthält, liest man diese zu¬ sammengedrängten Darstellungen rin Genuß und kann sich ganz gut hinein¬ denken, wie nützlich sie erst für den Hörer der Vortrüge sein mußten. Aber die Themata sind viel zu mannichfaltig. Da wird geboten: Das homerische Zeitalter der Griechen, Geschichte des griechischen Dramas, Römische Geschichte, Leben und älteste Geschichte der Germanen, Geschichte Österreichs bis zu Rudolf von Habsburg, Geschichte Frankreichs im achtzehnten Jahrhundert, Erklärung von Goethes Faust, Lektüre shakespearischer Stücke mit Einleitung über Shake¬ speares Leben, Geschichte der italienischen Malerei, Anatomie, Bakteriologie, die Pilze, Luft und Wasser, Grundzüge der Geographie, Allgemeine Geologie, Grundbegriffe der darstellenden Geometrie, erste Hilfe (bei Unfällen), Hygiene, Einleitung zum Maschinenbau, Physik, Physiologie, Nerven- und Geisteskrank¬ heiten, Österreichisches Verfassungsrecht, Grundzüge des österreichischen Rechts, Vevölkerungslehre. Einige Kurse wurden durch besondre Vorträge eingeleitet, so der geographische durch einen Vortrag von Professor Penck Über die Schön-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/430>, abgerufen am 22.07.2024.